Topfner und Wedlinger
Andere Leute haben Vorbilder, von denen sie geleitet, Idole, von denen sie inspiriert, Leitfiguren, von denen sie motiviert werden. Topfner hat Wedlinger, diesen Mistkerl.
Jeden Morgen, wenn ihn seine innere Uhr kurz vor dem Wecker aus dem Schlaf holt, ist Topfner versucht, sich noch einmal umzudrehen. Aber dann treibt ihn jedes Mal der Gedanke aus den Federn, Wedlinger könnte schon auf den Beinen sein. Nicht, dass Wedlinger in irgendeinem direkten Konkurrenzverhältnis zu ihm steht. Aber die Vorstellung, wehrlos zwischen Wachen und Träumen zu dämmern, während Wedlinger eventuell schon alle sieben Sinne beisammen hat, lässt ihn nicht weiterschlafen.
Sobald Topfner aus den Federn ist, ändern sich die Vorzeichen. Er rasiert sich im Bewusstsein, dass auf Wedlingers Fresse noch die grauen Stoppeln wuchern. Er duscht in der Überzeugung, dass Wedlinger noch im Schweiss seines unruhigen Schlafes liegt. Er kämmt sich im Hochgefühl, dass es bei Wedlinger nicht mehr viel zu kämmen gibt.
Wenn Topfner den Wagen frühmorgens an den stillen Einfamilienhäusern seines Quartiers vorbeisteuert, hat er einen Vorsprung auf Wedlinger, diesen Vollidioten, den er den ganzen Tag nicht mehr abzugeben gedenkt.
Wenn der ihn jetzt gesehen hätte, wie er seinen BMW in die leere Tiefgarage fährt und exakt auf dem ”DI” von ”DIREKTION” parkiert, fünf Meter neben dem Lifteingang, der würde sich glatt in die Stelle beissen, an der andere, schöner gewachsene Leute einen Arsch haben, denkt Topfner und lächelt böse. Nein, Wedlinger, du Pfeife, nicht im Zweiten, nicht im Dritten, nicht im Vierten, nicht im Fünften, nicht im Sechsten, nicht im Siebten, nicht im Achten, nicht im Neunten, im Zehnten steigt der Topfner aus, murmelt er, wie jeden Morgen im Lift.
Die Stunde bis zum Eintreffen seines Vorzimmers (meines Vorzimmers, Wedlinger!) macht Topfner sich heiss. Er holt sein persönliches Pressedossier aus der privaten Schublade und legt es vor sich auf die blassgrüne Glastischplatte. Die ersten Clippings überblättert er – kleine Firmennachrichten, Beförderungen, Handelsregisterauszüge, Firmenzeitungsbeiträge. Erst bei einem Beitrag aus dem Jahr 1987 hält er inne. Die People-Seite einer Wirtschaftszeitung über ein Prominenten-Golfturnier. Auf einem der achtzehn Schnappschüsse lächelt Topfner in die Kamera. Zwar nur mit dem Sponsoring-Verantwortlichen der veranstaltenden Grossbank, aber mit der Legende ”…mit Robert Topfner, dem kommenden Mann bei P+H.”
Topfner liest die Legende mehrmals mit Wedlingers Augen und kostet aus, wie sie ihn fertig macht. Dann blättert er weiter. Er konfrontiert Wedlinger im Geiste mit seinen vier mit gelben Leuchtstiften hervorgehobenen Zitaten in einem Artikel über Diversifikation, quält ihn mit dem Gruppenporträt des neuen Managements von P+H und spannt ihn auf die Folter seines halbseitigen Interviews im Handelsblatt.
So aufgepeitscht macht sich Topfner ans Tageswerk.
Lieber Gott, halt ihm Wedlinger gesund.
14.9.00