Beim Essen an Bord geht es nicht ums Essen
Das Essen an Bord dient nicht dem Zweck, Sie auf möglichst genussvolle Art zu sättigen. Auf diese Erkenntnis sollten Sie sich vor Antritt jeder Flugreise besinnen. Das Essen an Bord hat andere Aufgaben zu erfüllen. In erster Linie pädagogische.
Wenn der nach Kaffee?, Speck?, Ei?, heißem Fett?, kaltem aufgewärmtem Fett? duftende Trolley an Ihnen vorbeigefahren wird und Sie, wenn Sie den Hals recken, sehen können, wie weit vorne wichtigere Menschen aufreizend langsam bedient werden, will Ihnen die Fluggesellschaft damit sagen: Hätten Sie den vollen Tarif bezahlt dann müssten Sie jetzt nicht beim Pex‑, Apex‑, Superpex, Graumarkt‑, Last-Minute-Pack hinten sitzen und auf Ihr Frühstück warten.
Auch für voll zahlende Passagiere ist die Bordverpflegung vor allem ein pädagogisches Instrument. Deshalb verstecken Sie das trockene, halbgefrorene Brötchen, das auf dem Tablett liegt, im Sitzpolster, bevor das Kabinenpersonal mit den duftenden, frisch aufgebackenen durch den Gang kommt. Und falls es am Vorabend spät geworden ist und Sie nur Durst und keinen Hunger verspüren, lassen Sie nicht durchblicken, dass Sie beabsichtigen, nur den Orangensaft zu trinken und das Frühstück stehenzulassen. Sonst gibt’s nämlich gar nichts.
Die Verpflegung an Bord dient dazu, Sie fügsam zu machen. Jemand, der zehn Minuten braucht, um ein trockenes Schmelzkäsesandwich aus einem Meter Frischhaltefolie zu popeln, beschwert sich nicht über die Geschwätzigkeit des Piloten. Und wie soll jemand, der nicht einmal weiß, wie man 10’000 Meter über Meer den vom Überdruck bombierten Aludeckel eines Döschens künstlicher Sahne öffnet, ohne sich von oben bis unten zu bekleckern, etwas von der richtigen Einstellung einer Flugzeugheizung verstehen?
Sie sollten wissen, dass es sich für die Fluggesellschaft nicht rechnet, Sie mit Essen bei Laune zu halten. Sie mit Essen beschäftigen muss reichen: Wohin mit dem soßenverschmierten Aludeckel, wenn Sie ihn glücklich ohne ernsthafte Verbrennungen vom Hauptgericht entfernt haben? Wohin mit dem Besteck, wenn Sie es ohne Zwischenfälle aus der Serviette gewickelt haben? Wohin mit dem Glas, das in der Tasse steht, wenn der Kaffee kommt? Wie stellen Sie es an, wenn Sie aus dem kombinierten Salz-Pfeffer-Tütchen nur die Hälfte des Salzes aus dem oberen Abteil und nur eine Viertel des Pfeffers aus dem unteren auf dem Ragoût de volailles aux fines herbes haben wollen?
Das Tablett auf dem wackligen Tischchen vor Ihnen dient nicht der Nahrungsaufnahme. Es ist ein Geschicklichkeitsspiel, das nicht zu gewinnen ist. Es soll Ihr Selbstbewusstsein so weit erschüttern, dass Sie widerspruchslos zu sich nehmen, was es enthält.
Jemand, der ein Zahnputzglas mit eiskaltem Dôle in der Kaffeetasse stehen hat, der aus einem Schöppchen mit Schraubverschluss stammt, welcher in der gestockten Soße eines Aluminiumdeckels liegt, hat sich die kulinarische Kompetenz verscherzt, ein Ragoût de volailles aux fines herbes von einem Sauté de mouton de lait au champagne zu unterscheiden. (Tipp: Beim Huhn ist auf den Brokkoli etwas schleimig Gelbliches. Beim Lamm ist auf den Brokkoli etwas schleimig Bräunliches.)
Wenn Sie die Mahlzeiten an Bord mit Würde überstehen wollen, lassen Sie die schwierigen Sachen stehen und essen nur das Dessert. (Es ist das Viereckige, Weißliche mit dem roten Diagonalstreifen.)
Oder Sie bestellen vor der Reise ein Spezialmenü. Zum Beispiel Asian vegetarian. Das ist zwar nicht einfacher zu essen und schmeckt auch nicht besser.
Aber es hat den Vorteil, dass es sich meistens nicht an Bord befindet.