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Dies ist ein rie­si­ges Ar­chiv von fast al­lem, was Mar­tin Su­ter ge­macht hat, ge­ra­de macht und noch ma­chen will. Sie ha­ben zu bei­na­he al­lem da­von un­be­schränk­ten Zu­gang. Und wenn Sie Mem­ber wer­den, zu noch et­was mehr.

Der Reisejournalist und Publizist

Jürg Ramspecks Laudatio

Jürg Ramspeck, 17.9.36 – 27.12.17.
Fo­to Marc Wetli©

Ein schwü­ler Tag An­fang Sep­tem­ber 1997. Die Luft im voll be­setz­ten Thea­ter am Neu­markt in Zü­rich ist sti­ckig. Hin­ter dem Vor­hang des Büh­nen­pro­spekts steht Mar­tin Su­ter und linst ab und zu durch ein klei­nes Loch im Stoff. In der Mit­te der Haupt­büh­ne sitzt Jürg Ramspeck, der Chef­re­dak­teur der ehe­ma­li­gen Welt­wo­che, an ei­nem klei­nen Tisch und war­tet, bis sich der Haupt­vor­hang vor ihm öff­net. Mar­tin Su­ter hofft, dass es noch lan­ge dau­ern wird. Es ist sei­ne ers­te Le­sung, und er ist schreck­lich ner­vös. Im­mer wie­der wischt er sich den Schweiß von der Stirn. Da­bei be­merkt er, dass sei­ne Hän­de zit­tern. Er nimmt sich vor, auf kei­nen Fall zu ver­su­chen, Was­ser aus dem Glas auf dem klei­nen Tisch­chen zu trin­ken. Plötz­lich ebbt das Ge­mur­mel im Zu­schau­er­raum ab, und ein höf­li­cher Ap­plaus steigt. Jürg Ramspeck liest sei­ne Lau­da­tio. Und als er ge­en­det hat, ist der Ap­plaus nicht mehr nur höf­lich. Und Su­ter noch ner­vö­ser. So hoch hat Ramspeck die Lat­te gelegt: 

Mei­ne Da­men und Herren

Es ist mir ein gros­ses Ver­gnü­gen, den Auf­tritt ei­nes ganz neu­en Schwei­zer Schrift­stel­lers an­sa­gen zu dürfen. 

Be­son­ders, weil die­ser ganz neue Schwei­zer Schrift­stel­ler ein Buch ge­schrie­ben hat, das al­le Leu­te, die ich ken­ne, schon ge­le­sen ha­ben, be­vor es er­schie­nen ist. 

Und weil al­le Leu­te, die es ge­le­sen ha­ben, in­klu­si­ve ich selbst, die Mei­nung be­kun­det ha­ben, sie hät­ten ein bril­lant ge­schrie­be­nes, hoch­in­tel­li­gen­tes Buch mit ei­nem phä­no­me­na­len Plot ge­le­sen. Wel­cher Mei­nung auch ei­ni­ge Kri­ti­ken Aus­druck ga­ben, die vor dem Er­schei­nen des Bu­ches in Zei­tun­gen er­schie­nen sind. 

Ich kann mich des­halb re­la­tiv kurz fas­sen und mich voll auf das merk­wür­di­ge Phä­no­men kon­zen­trie­ren, dass die­ser ganz neue Schwei­zer Schrift­stel­ler – ehe al­so sein Opus I in den Buch­hand­lun­gen auf­liegt – be­reits ein ar­ri­vier­ter Schrift­stel­ler ist. 

Si­cher ist es zum Bei­spiel ein vom Dio­ge­nes-Ver­lag hin­ter­lis­tig ge­lenk­ter Zu­fall, dass die­se Buch­pre­mie­re hier im Neu­markt-Thea­ter statt­fin­det. Die Ab­sicht ist mit den Hän­den zu grei­fen: Hier wird be­reits dis­kret der Ver­kauf der Ne­ben­rech­te ein­ge­fä­delt. Ich se­he „Small World“ ir­gend­wie work­shop­ar­tig, aus der En­sem­ble-Dis­kus­si­on her­aus ent­wi­ckelt, ein brand­ak­tu­el­les The­ma ge­sell­schaft­lich re­le­vant auf­grei­fend, schon dem­nächst auf die­ser Bühne. 

Falls nicht die Film­re­gis­seu­re un­ter Ih­nen Vol­ker Hes­se zu­vor­kom­men – und ei­ner von Ih­nen sich die dra­ma­ti­schen Ex­klu­siv­rech­te er­stei­gert. Ich se­he „Das Ka­bi­nett des Dr. Alz­hei­mer“ min­des­tens schon auf ei­nem deut­schen Privatsender. 

Ja Alz­hei­mer. Das ist in un­se­rem Zu­sam­men­hang zwei­fel­los ein wich­ti­ges Stich­wort. Da Sie „Small World“ ja schon ge­le­sen ha­ben, wis­sen Sie na­tür­lich war­um. Nun kann mir aber nie­mand weis­ma­chen, der Dio­ge­nes-Ver­lag ha­be die­se heu­ti­ge Buch­pre­mie­re nicht ak­ku­rat auf den Tag ter­mi­niert, an dem in Deutsch­land – end­lich – der 1. me­di­zi­ni­sche Alz­hei­mer-Kon­gress be­ginnt. Da wer­den selbst­ver­ständ­lich klug auch Syn­er­gien genutzt. 

Nun möch­te ich aber nicht be­haup­ten, der Au­tor ha­be nicht auch sel­ber et­was zum Er­folg sei­nes Bu­ches bei­getra­gen, der vor sei­nem Er­schei­nen be­reits fest­steht. Er hat es schliess­lich, wie wir aus der Pres­se er­fah­ren, gleich zwei­mal ge­schrie­ben, weil die ers­te Fas­sung sei­ner Frau nicht ge­fal­len hat. So­viel Gat­ten­lie­be in ei­nem Zeit­al­ter zer­fal­len­der Ehe­mo­ral muss ja be­lohnt werden. 

Dann hat der Au­tor – an­ders als die meis­ten Schrift­stel­ler, die es schon als Jüng­lin­ge in die Li­te­ra­tur drängt – ver­nünf­ti­ger­wei­se erst mal den Be­ruf ei­nes Wer­be­tex­ters ge­lernt. Es ist, seit We­de­kind, si­cher das no­ble­re Schick­sal, als Wer­be­tex­ter zu be­gin­nen und als Schrift­stel­ler zu en­den, als um­ge­kehrt. Je­den­falls ist mir kein Fall be­kannt, in dem sich ein ge­schei­ter­ter Wer­be­tex­ter, bloss um sei­nen nack­ten Le­bens­un­ter­halt zu be­strei­ten, zäh­ne­knir­schend her­ab­las­sen muss­te, Ro­ma­ne auf Dio­ge­nes-Ni­veau zu schreiben. 

Wei­te­re Er­fah­run­gen, ehe er zu sei­nem ul­ti­ma­ti­ven Leis­tungs­be­weis aus­hol­te, hat der Au­tor in den Be­rei­chen Klein­kunst, Fern­seh-Dreh­buch und Ge­brauchs­li­te­ra­tur ge­sam­melt. Es ist nicht zu über­se­hen, wie er in sich das Poin­ten­set­ze­ri­sche, das Dia­lo­gi­sche und das Mi­lieu­kri­ti­sche sys­te­ma­tisch auf das Ziel hin ent­wi­ckelt hat, der­einst ein mi­lieu­kri­ti­sches Werk zu schaf­fen, das un­ter an­de­rem durch sei­ne poin­tier­ten Dia­lo­ge be­sticht. Man kann ihm durch­aus nach­sa­gen, dass er mit Ta­len­ten ver­schwen­de­risch be­dacht ist; aber man kann ihm nicht nach­sa­gen, dass er sei­ne Ta­len­te un­be­dacht verschwendet. 

Man wird mir er­lau­ben, zur Spar­te „Ge­brauchs­li­te­ra­tur“, un­se­ren Au­tor be­tref­fend, ein paar pri­va­te­re Wor­te zu sa­gen. Er schreibt ja in der „Welt­wo­che“ seit fünf Jah­ren die wö­chent­li­che Ko­lum­ne „Busi­ness Class“, für de­ren Druck­le­gung ich kraft ver­schie­de­ner Äm­ter die längs­te Zeit end­ver­ant­wort­lich war. Ein­mal von der bran­chen­un­üb­li­chen Zu­ver­läs­sig­keit ab­ge­se­hen, mit wel­cher uns der Au­tor sei­ne Bei­trä­ge sprach­feh­ler­los, zei­len­ge­nau und ter­min­ge­recht selbst aus Welt­ge­gen­den, die wir uns als pos­ta­lisch un­ter­ent­wi­ckel­te Ur­wäl­der vor­stel­len, über­mit­tel­te, emp­fand ich sei­ne Ko­lum­ne stets als ei­ne enor­me Ent­las­tung mei­ner be­ruf­li­chen Tä­tig­keit. Denn sie ent­hob mich Wo­che für Wo­che der quä­len­den Ver­pflich­tung, zum The­ma Wirt­schaft even­tu­ell doch auch noch ei­nen ei­ge­nen Ein­fall zu ha­ben. Ich ha­be das je­weils mit fol­gen­den Wor­ten um mich ge­streut: Egal, was wir in der nächs­ten „Welt­wo­che“ über die Wirt­schaft brin­gen – in der „Busi­ness Class“ steht es so­wie­so viel ge­nau­er. Und Gott­sei­dank auch noch viel lustiger. 

Jetzt aber zu­rück zu „Small World“. Al­le Per­so­nen, de­nen ich in den letz­ten vier, fünf Wo­chen be­geg­net bin und die das Buch, wie ge­sagt, be­reits ge­le­sen ha­ben, weil sie beim Dio­ge­nes-Ver­lag auf der Emp­fän­ger­lis­te für Vor­aus-Ex­em­pla­re fi­gu­rie­ren, wa­ren von ihm an sich to­tal be­geis­tert. Sie ha­ben mich aber aus­nahms­los al­le ge­fragt, ob viel­leicht ich ih­nen er­klä­ren kann, war­um es so heisst. 

Ich ha­be auf die­se Fra­ge bis­her nichts wirk­lich Stich­hal­ti­ges er­wi­dern kön­nen. Nach län­ge­rer me­di­ta­ti­ver Ver­sen­kung in die Ti­tel­sei­te des Schutz­um­schla­ges bin ich aber auf ei­ne Ver­mu­tung ge­stos­sen: Ent­we­der woll­te Da­ni­el Keel, dass der Ro­man so heisst, oder der Ge­stal­ter des Schutz­um­schla­ges hat nach­ge­wie­sen, dass die zehn Buch­sta­ben von „Small World“ – kur­siv und im glei­chen Schrift­grad – ge­nau un­ter die elf Buch­sta­ben pas­sen, aus de­nen der Na­me des Au­tors be­steht. Da­mit muss ich die­sen Na­men schon aus ty­po­gra­fi­schen Grün­den jetzt end­lich nen­nen – und an­kün­di­gen, dass sein Trä­ger im nächs­ten Au­gen­blick die Büh­ne be­tre­ten und Ih­nen aus sei­nem Buch zwei­fel­los Ih­re Lieb­lings­stel­len vor­le­sen wird: … Mar­tin Suter! 

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