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Dies ist ein rie­si­ges Ar­chiv von fast al­lem, was Mar­tin Su­ter ge­macht hat, ge­ra­de macht und noch ma­chen will. Sie ha­ben zu bei­na­he al­lem da­von un­be­schränk­ten Zu­gang. Und wenn Sie Mem­ber wer­den, zu noch et­was mehr.

Der Privatmann

Das große Martin-Suter-Interview

Foto ©Marco Grob
Fo­to ©Mar­co Grob

Der Jour­na­list und Fil­me­ma­cher Nor­bert Je­nal hat im letz­ten Spät­som­mer mit dem Schrift­stel­ler ein sehr gro­ßes und sehr per­sön­li­ches In­ter­view ge­führt. Wir ver­öf­fent­li­chen es  hier ex­klu­siv in vier Tei­len. Dies­mal geht es um Ent­schei­dun­gen tref­fen, Iden­ti­tä­ten wech­seln und ernst blei­ben können.

Nor­bert Je­nal: Die ers­te Fra­ge: Wer bist du?

Su­ter: Das ist ei­ne Fra­ge, die mich im­mer be­schäf­tigt hat. Es ist das The­ma mei­ner Bü­cher, mei­ner Ko­lum­nen „Busi­ness Class“ und „Rich­tig le­ben mit Ge­ri Wei­bel“. Es geht im­mer um die Iden­ti­tät. Und in der Iden­ti­tät geht es ja im­mer wie­der um Schein und Sein. 

Ich kann aber die Fra­ge nicht be­ant­wor­ten. Die Fra­ge ist mein The­ma, nicht die Ant­wort. Wer bin ich? Und wer könn­te ich noch sein? Das ist auch das The­ma mei­ner Romanfiguren.

Je­nal: Wenn du sagst, wer könn­test du noch sein, wer wä­rest du denn gerne?

Su­ter: Man kann ja heut­zu­ta­ge fast al­les sein. Wer man ist, ist nicht mehr et­was so De­fi­ni­ti­ves, wie es das frü­her war. Da war man halt Schnei­der oder Land­vogt und blieb das dann auch. 

Je­nal: Das ist dann die be­ruf­li­che Sei­te. Und die per­sön­li­che Sei­te? Wie wür­dest du dich denn um­schrei­ben so, wie du dich kennst? 

Su­ter: Auch das ist nichts De­fi­ni­ti­ves. Ich ha­be in mei­nem Le­ben ver­schie­de­ne Iden­ti­tä­ten ge­habt. Manch­mal am glei­chen Tag ver­schie­de­ne. Ich er­in­ne­re mich an die Zei­ten in der Wer­bung. Wir wa­ren oft bei Be­spre­chun­gen oder Prä­sen­ta­tio­nen in den Ge­schäfts­eta­gen mit dem Ma­nage­ment. Da war man ganz an­ders als da­nach. Bei schö­nem Wet­ter gin­gen wir nach­her in die Gar­ten­wirt­schaft, häng­ten die Kra­wat­te über die Stuhl­leh­ne und aßen ei­nen Wurst­kä­se­sa­lat und tran­ken ein Bier oder zwei. 

Als wir in Ibi­za leb­ten, ha­be ich Wein ge­kel­tert, Oli­ven­ern­ten or­ga­ni­siert, aber da­ne­ben auch Bü­cher ge­schrie­ben. Das sind schon an­de­re Iden­ti­tä­ten. Ich woll­te zwar im­mer schrei­ben und Schrift­stel­ler wer­den und blei­ben, aber ich ha­be auch das im­mer wie­der ge­än­dert, weil ich von der Schrift­stel­le­rei nicht le­ben konn­te oder glaub­te, nicht le­ben zu kön­nen. Des­we­gen ha­be ich im­mer wie­der Wer­bung ge­macht. Spä­ter Geo­re­por­ta­gen oder Fern­seh­stü­cke. An­de­re Tä­tig­kei­ten sind auch im­mer wie­der an­de­re Iden­ti­tä­ten. Aber wenn ich mich auf ei­ne fest­le­gen muss, dann bin ich Ge­schich­ten­er­zäh­ler und ‑er­fin­der.

Je­nal: Dann iden­ti­fi­zierst du dich mit dem je­wei­li­gen be­ruf­li­chen Alltag?

Su­ter: Nicht nur dem be­ruf­li­chen. Als wir spät im Le­ben un­se­rer Kin­der ad­op­tiert hat­ten, gab es da plötz­lich zwei klei­ne We­sen, die mich Pa­pa nann­ten. Das ist ja auch kein Be­ruf, das ist ei­ne Iden­ti­tät. Dann bin ich ein Pa­pa. Dar­an muss­te ich mich gewöhnen. 

Je­nal: Wie kam es da­zu, dass ihr in die­sem Al­ter noch Kin­der wolltet?

Su­ter: Wir woll­ten im­mer Kin­der, aber das hat nicht ge­klappt. Wir leb­ten schon vie­le Jah­re in Gua­te­ma­la und plötz­lich wur­de uns klar, dass es, vor al­lem in der Drit­ten Welt, nicht die Kin­der sind, die feh­len. Es sind die El­tern. Wir ha­ben uns nach lan­ger Zeit kurz­fris­tig ent­schlos­sen, zwei Kin­der zu ad­op­tie­ren. Das war nicht ein Um­den­ken, son­dern es war plötz­lich mög­lich. Weil wir in Gua­te­ma­la nie­der­ge­las­sen wa­ren, durf­ten wir dort Kin­der ad­op­tier­ten. Wir wur­den El­tern von zwei Kin­dern mit gua­te­mal­te­ki­schen Pässen.

Wenn wir die Schweiz be­such­ten mit un­se­ren Kin­dern, dann hat­ten sie nur ein Tou­ris­ten­vi­sum. Wir muss­ten mit Ih­nen auch das Schwei­zer Ad­op­ti­ons­pro­ze­de­re durch­lau­fen. Da wir uns schon vor der Ad­op­ti­on mit de­nen be­ra­ten hat­ten, lief das dann ziem­lich verständnisvoll. 

Je­nal: Das war ein Zwil­lings­paar, oder? 

Su­ter: Sie wa­ren fast am glei­chen Tag ge­bo­ren und wuch­sen auf wie Zwil­lin­ge. Wenn man gleich alt ist und im glei­chen Zim­mer schläft und zu­sam­men­lebt, dann ist der Un­ter­schied nicht spür­bar. So wie er nicht spür­bar ist zwi­schen ei­ge­nen und ad­op­tier­ten Kindern. 

Je­nal: Ist er nicht spürbar?

Su­ter: Nein. Ich kann mir nicht vor­stel­len, dass man Kin­der mehr lie­ben könn­te wie wir un­se­re lieben.

Je­nal: Ich wür­de kurz noch ei­nen Bo­gen zu­rück ma­chen zu dei­ner ei­ge­nen Kind­heit. Du bist ja viel ge­reist, du warst in vie­len Län­dern. Und hast als Kind auch schon an ver­schie­de­nen Or­ten ge­lebt, al­so in Zü­rich, in Fri­bourg, in Ba­sel. Wie hast du die­se Wech­sel je­weils erlebt? 

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