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Dies ist ein rie­si­ges Ar­chiv von fast al­lem, was Mar­tin Su­ter ge­macht hat, ge­ra­de macht und noch ma­chen will. Sie ha­ben zu bei­na­he al­lem da­von un­be­schränk­ten Zu­gang. Und wenn Sie Mem­ber wer­den, zu noch et­was mehr.

Habermachers schwache Momente

Zu­ge­ge­ben: Es kommt sel­ten vor. Ha­ber­ma­cher ist kein Weich­ling. Un­ter­neh­men ab ei­ner ge­wis­sen Grös­se wer­den nicht von Schmu­se­ka­tern ge­führt. Und Ent­schei­dun­gen oh­ne Här­ten sind kei­ne. Aber den­noch hat auch er sie: die schwa­chen Momente. 

Frü­her hat er sie ge­fürch­tet und al­les ge­tan, ih­nen nicht nach­zu­ge­ben. Aber je äl­ter und rei­fer er wur­de, des­to kla­rer wur­de ihm, dass es bei­des braucht: Stär­ke und Schwä­che. Weich­heit und Här­te. Yin und Yang. In­zwi­schen gibt er sich ih­nen hin, den schwa­chen Mo­men­ten (nichts Leich­tes für den Win­ner: Hin­ga­be), so kurz sie auch sind.

Nicht dass er sie sucht, das nicht. Aber er ist sich be­wusst (auch wich­tig: Be­wusst­sein), dass sie je­der­zeit ein­tref­fen kön­nen, und dass er dann be­reit sein muss, los­zu­las­sen (Los­las­sen­kön­nen, et­was vom über­haupt Per­sön­lich­keits­bil­dends­ten). Ha­ber­ma­cher ist in­zwi­schen so weit, dass er oh­ne Zö­gern Schwä­che zei­gen wür­de, selbst ge­gen­über Zweit­per­so­nen, falls zu­fäl­lig an­we­send. Wenn es sich nicht ge­ra­de um Wei­nen han­del­te oder Bett­näs­sen. Aber so ei­ne klei­ne, nor­ma­le Schwä­che wie ei­ne Ent­schei­dung auf­schie­ben oder ei­ne Mass­nah­me ab­schwä­chen oder ei­ner leicht über­trie­be­nen For­de­rung nach­ge­ben, war­um nicht? Es gibt ja im­mer Mög­lich­kei­ten, so et­was wie­der geradezubiegen.

Heu­te, mit drei­und­fünf­zig, wä­re Ha­ber­ma­cher in­ner­lich oh­ne Wei­te­res be­reit, je­man­dem nach­zu­ge­ben, der (oder die!) ihn in ei­nem schwa­chen Mo­ment an­trifft. Dass es bis jetzt noch nie da­zu ge­kom­men ist, ist ein­zig dem Zu­fall zu ver­dan­ken, der Ha­ber­ma­chers schwa­che Mo­men­te schlecht ko­or­di­niert. Denn so­weit, die schwa­chen Mo­men­te de­nen nach­zu­wer­fen, die da­von pro­fi­tie­ren könn­ten, ist Ha­ber­ma­cher nun auch wie­der nicht. Im Ge­gen­teil: Er hat an sich be­ob­ach­tet, dass be­reits der un­aus­ge­leb­te schwa­che Mo­ment so­zu­sa­gen au­to­gen sei­nen Teil zur Ab­run­dung ei­ner et­was gar kan­ti­gen Per­sön­lich­keit bei­trägt. Ha­ber­ma­cher denkt zum Bei­spiel: Wenn mich Kel­ler­hals jetzt um die Auf­sto­ckung sei­nes Per­so­nal­bud­gets bit­ten wür­de, ich wür­de sie ihm glatt be­wil­li­gen. Ob­wohl ei­ne Auf­sto­ckung von Kel­ler­hals’ oh­ne­hin schon über­höh­tem Per­so­nal­bud­get ein durch und durch un­ver­nünf­ti­ges, ge­ra­de­zu hirn­ver­brann­tes und un­ter nor­ma­len Um­stän­den auch völ­lig aus­sichts­lo­ses An­lie­gen wä­re: hät­te Kel­ler­hals jetzt, in ge­nau die­sem Au­gen­blick, die Frech­heit, ihn dar­um zu bit­ten, Ha­ber­ma­cher wä­re im­stan­de und be­wil­lig­te es ihm. 

Dass Kel­ler­hals der In­stinkt ab­geht, die­sen schwa­chen Mo­ment zu ah­nen und aus­zu­nüt­zen, ist ers­tens nicht Ha­ber­ma­chers Pro­blem und bringt zwei­tens al­le tech­ni­schen Vor­tei­le mit sich, die nun ein­mal nicht be­gan­ge­ne Feh­ler mit sich bringen. 

Aber manch­mal plagt Ha­ber­ma­cher halt doch die Un­ge­wiss­heit. Wür­de er die nö­ti­ge Nach­gie­big­keit und Weich­heit, die Por­ti­on Fri­vo­li­tät im Ernst­fall auch wirk­lich auf­brin­gen? Oder wür­de er, Au­ge in Au­ge mit de­nen, die sei­nen schwa­chen Mo­ment aus­nüt­zen wol­len, kläg­lich ver­sa­gen und in sei­ne ge­wohn­te Sach­be­zo­gen­heit zurückfallen? 

Zu­wei­len ist Ha­ber­ma­cher drauf und dran, die Ent­schei­dung künst­lich her­bei­zu­füh­ren. Mit­ten in ei­ner wich­ti­gen Sit­zung ei­nen schwa­chen Mo­ment vor­zu­täu­schen, Kom­pro­mis­se ein­zu­ge­hen, die nie­mand ge­for­dert hat, Ent­schei­dun­gen auf­zu­schie­ben, die gar nicht an­ste­hen. Ein­fach nur um die letz­te Ge­wiss­heit zu be­sit­zen, dass er fä­hig ist, auch in der Pra­xis ei­nem schwa­chen Mo­ment nachzugeben.

Aber wie ge­sagt: Es kommt sel­ten vor.

Nur ein­mal er­schie­nen am 22.6.95


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