Geiser ist nicht neidisch
Geiser ist nicht neidisch. Auch nicht, wenn er an Grossmanns Maserati 3200 GT V8 denkt. Selbst wenn er es sich leisten könnte: Nie würde er sich mit einem solchen Auto auf die Straße wagen. Und auch noch auberginefarben! Ein Auto mit einer solchen Form sollte nicht auch noch eine solche Farbe haben. Eine mit Grossmann gefüllte Aubergine, kommt ihm da in den Sinn. Und bestimmt nicht nur ihm. Das kommt jedem in den Sinn, der zuschaut, wie Grossmann sich aus dem niedrigen Coupé schält. Und zehn Meter braucht, bis er sich wieder ganz aufgerichtet hat.
Aber bitte: Es muss jeder selber wissen, wie lächerlich er sich machen will. Das ist freiwillig. Wenn Grossmann sich dem Verdacht aussetzen will, er habe sich ein Auto gekauft, von dem aus er den Mädchen unter den Mini gucken kann, bitte sehr. Wenn Grossmann mit knapp vierzig bereits aussehen will wie ein Sugar Daddy: Sein Problem. Da kann er sich gleich mit Gujer zusammentun. Der hat zwar keinen Maserati, aber eine zwanzig Jahre jüngere Frau. Im Vergleich zu der muss Grossmanns Maserati geradezu günstig sein. Allein die Kleider. Geiser versteht zwar nicht viel von Kleidern, aber darauf, dass die, die Gujers Frau trägt, teuer sind, hat ihn Ursula aufmerksam gemacht. „Was die anhat, kostet mehr als der Inhalt meines ganzen Kleiderschranks“, hat sie gesagt. Eine Bemerkung, die zu einer Szene geführt hatte. Nicht wegen ihres Inhalts, mehr wegen ihres Timings. Er hatte gerade erwähnt, dass er dem Herrgott jeden Tag auf den Knien danke, dass ihm damals Gujer als Vizedirektor vorgezogen worden war. Ehrlich. Dazu steht er heute noch. Die Vizedirektion führt geradewegs in die Regionaldirektion. Und wie die einen auffrisst, das sieht er an Gujer. Was nützt dir die jüngste Frau, wenn du nie vor Mitternacht aus dem Büro kommst? Nicht geschenkt, dabei bleibt er.
Und wohin die Regionaldirektion führt, sieht man am Beispiel Grossmann: in die Generaldirektion. Und zu einem auberginefarbenen Maserati. Reine Kompensation. Nichts anderes. Da fragt man sich doch sofort: Was hat einer denn zu kompensieren, der alles erreicht hat? Da stimmt doch etwas nicht. Worauf soll man denn da neidisch sein? Nicht vors Haus geschissen würde Geiser den auberginefarbenen Maserati wollen! Da bleibt er lieber Prokurist und hat nichts zu kompensieren. Macht seinen Job, hat Zeit für die Familie und braucht niemandem etwas vorzumachen. Nein, kein Neid. Im Gegenteil: Wenn jemand jemanden beneiden sollte, dann Grossmann und Gujer ihn.
Wetten, dass die am liebsten mit ihm tauschen würden? Was würden die darum geben, wenn sie am Abend auch einmal bei Büroschluss den Griffel fallen lassen und auf dem Heimweg kurz im Express bei einem Bier auf die neusten Beschlüsse der Geschäftsleitung fluchen könnten! Einiges würden die darum geben. Wenn nicht sogar alles.
Und solche Leute soll er beneiden? Leute mit auberginefarbenen Maseratis und zwanzig Jahre jüngeren Frauen, die am liebsten mit Geiser tauschen möchten?
Und wenn sie ihn auf Knien darum bitten: Geiser wird nicht neidisch.
15.6.2000