Warum fliegen die?
Ein kalter, klarer Tag Ende Februar. Carlos hat schon früh Feuer gemacht im Schwedenofen der Bibliothek und den kleinen runden Art-Déco-Tisch für das Frühstück gedeckt. Im über-möblierten Wohnzimmer ist es noch zu kalt.
Es ist Pochiertes-Ei-auf-Toast-Tag, Mittwoch. Das Wasser in der verzinkten Gießkanne vor dem ersten Treibhausfenster hat eine hellgraue Eisschicht, und im Raureif des Plattenwegs, der zum Kompost führt, sieht Allmen ein paar Fußspuren des Stadtfuchses, der den Park der Villa Schwarzacker zu seinem Revier gemacht hat. Auf der Anlage läuft Chopin.
Allmen trägt Weste und Hose eines seiner englischen braunen Tweed Anzüge und darüber einen Kaschmir Hausmantel.
Maria betritt den Raum und räumt die Teller und das Besteck der Eierspeise ab. Sie schweigt, denn el patrón liest.
Er liest wieder einmal einen seiner Lieblinge: Gottfried Keller, diesmal «Martin Salander», den er immer ein wenig seltsam, aber auf eigenartige Weise faszinierend gefunden hat. Kein typischer Gottfried Keller und – um ausnahmsweise ein Wort zu gebrauchen, das er sonst tunlichst meidet – irgendwie «modern».
Draußen schrillt der vorwitzige Pfiff einer Meise, und das Geräusch passt zu beidem: dem Blau dieses Wintertags und der Lektüre. Martin Salander spaziert nämlich gerade durch eine Waldidylle mit seiner Familie. Er ist endlich zurück aus Brasilien und konnte Frau und Kinder in die Arme schließen.
«So hatten sie einen beträchtlichen Weg zurückgelegt», liest Allmen, «und stiegen in ein Waldtälchen hinunter, durch das ein schöner klarer Bach floss, der sein reichliches Wasser über das bunte Geschiebe und Gerölle wälzte, wie es der Berg abließ. In einer rundlichen Ausbuchtung ergoss sich über einige bemooste Steinblöcke ein kleiner Wasserfall, unmittelbar aus jungem Buchenschlage hervor, und Martin Salander erkannte sogleich den anmutigen Winkel von früher her.»
Allmen kennt den Ort. Er liegt, wenn er gemächlich spaziert, eine knappe Viertelstunde entfernt von der Villa Schwarzacker, deren Gärtnerhaus er bewohnt und die Welt glauben lässt, er sei noch immer der Hausherr der Villa. Es war Gottfried Kellers Lieblingsort in Zürich, ein romantisches Tobel, das in vielen Büchern des Dichters beschrieben ist.
Im Sommer macht Allmen gelegentlich Spaziergänge durch das Wolfbachtobel, bei denen der Weg zwar auch das Ziel, aber begehrenswert ist: The Grand Hotel.