20.7.00 Führungskraft Dössegger
Dössegger geht meistens kurz vor sieben aus dem Haus. So verliert man erstens keine Zeit im Stau und hat zweitens den psychologischen Vorteil, schon da zu sein, wenn die anderen eintreffen. Stärkt die Autorität. Obwohl Dössegger damit eigentlich keine Probleme hat. Die Abteilung spurt. Hundertzweiundvierzig Nasen Ist, hundertachtundzwanzig Soll. Letztere Zahl hat Dössegger vor einiger Zeit durchsickern lassen. Es entlastet von der Führungsarbeit.
Und Entlastung kann Dössegger brauchen. Jede Menge davon. Das Management der eigenen Karriere blockiert auch bei Dössegger einen großen Teil der Managementkapazität. Vielleicht einen noch größeren als bei anderen Führungskräften. Dössegger wurde weiss Gott nichts geschenkt.
Offiziell beginnt der Arbeitstag erst um acht. Dösseggers persönliche Assistentin trifft aber meist schon um halb acht ein. Diese halbe Überstunde dient Dösseggers Tagesplanung und taucht nach einer stummen Übereinkunft nicht auf den Arbeitsrapporten der Assistentin auf. Sie gehört zum freiwilligen Zeitbonus, der nach Dösseggers Auffassung engagierte Mitarbeiter dem Unternehmen schulden.
Solche Extraleistungen liefert die ganze Abteilung. Sie verbessern – zumindest auf dem Papier – deren Effizienz. Und damit Dösseggers Chancen auf den nächsten Karriereschritt. Es ist nun einmal die Aufgabe der Geführten, für das Weiterkommen der Führenden gewisse Opfer zu erbringen.
Selbst das des Jobs, wie im vorliegenden Fall. Die Reduktion des Sollbestandes um vierzehn Kostenstellen geht nämlich auf eine Initiative Dösseggers zurück. Sie hat sich weniger aus betriebswirtschaftlichen als aus taktischen Gründen aufgedrängt. Gugler, Dösseggers härtester Konkurrent im Kampf um die Unit-Leitung, beantragt seit Monaten an jeder Abteilungsleitersitzung eine Aufstockung um elf Stellen. Legt mehrseitige Exposés vor, die belegen, dass dies das absolute Minimum darstellt, mit dem die Abteilung noch halbwegs funktionsfähig sein kann. Und da kommt Dössegger mit einem Streamlining-Konzept. Verkauft es als konstruktiven Beitrag zu Guglers Plänen. Man muss sich das einmal vorstellen: Dössegger reduziert den Personalbestand, damit Gugler seinen erweitern kann. Ein Manöver, von dem sich dieser nicht so schnell erholen wird.
Zu Dösseggers Beliebtheit bei den unteren Chargen tragen solche Schachzüge natürlich nicht bei. Aber mit Beliebtheit bei den unteren Chargen hat noch niemand Karriere gemacht. Von den Untergebenen gefürchtet, von den Gleichgestellten respektiert, von den Vorgesetzten geliebt, das ist Dösseggers Devise. Auch in dieser Beziehung unterscheidet sich Dössegger nicht von anderen Führungskräften.
Wie auch in sonst kaum einer. Der Wagen: sportlich. Die Kleidung: klassisch. Die Arbeitstage: lang. Die Wochenenden: kurz. Die Familie: fremd. Die Entscheidungen: tough.
Dössegger ist eine Führungskraft, wie wir sie alle kennen. Außer, dass sie ein wenig anders aussieht und vielleicht ein wenig besser riecht.
Und den Vornamen Jolanda trägt.