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Dies ist ein rie­si­ges Ar­chiv von fast al­lem, was Mar­tin Su­ter ge­macht hat, ge­ra­de macht und noch ma­chen will. Sie ha­ben zu bei­na­he al­lem da­von un­be­schränk­ten Zu­gang. Und wenn Sie Mem­ber wer­den, zu noch et­was mehr.

Die Gewaltfrage

Ganz tief in Ge­ri drin schlum­mert ein Le­der­na­cken, der al­les nie­der­ma­chen wür­de, was sich ihm in den Weg stellt, wenn er ihn lies­se. Ge­ri kennt ihn seit dem Sandkastenalter.

Er sass ver­tieft vor ei­ner sau­ber aus­ge­rich­te­ten Rei­he Sand-Gu­gel­höp­fen, die er vor­sich­tig, ei­nen nach dem an­de­ren, aus sei­nem Kes­se­li ge­stürzt hat­te. Plötz­lich be­gann Syl­ve­li Frei oh­ne An­lass ei­nen nach dem an­de­ren ka­putt­zu­schla­gen. Fünf Gu­gel­höp­fe lang schau­te er dem Ge­met­zel sprach­los zu, beim sechs­ten er­wach­te der Le­der­na­cken in ihm. Der hob sein grü­nes Schü­fe­li und schlug es Syl­ve­li Frei über die dün­nen blon­den Löck­li. Acht Stiche.

Da­mals lern­te Ge­ri den Un­ter­schied zwi­schen Ge­walt ge­gen Sa­chen und Ge­walt ge­gen Per­so­nen. Und er er­fuhr, wie es ist, wenn man vom Sand­kas­ten aus­ge­schlos­sen wird. Seit­her passt er ge­nau auf, an wel­che Re­geln man sich hal­ten muss, um im Sand­kas­ten ge­dul­det zu sein. Ei­ne lau­tet: Den in­ne­ren Le­der­na­cken ruhigstellen.

So ent­wi­ckelt sich Ge­ri zu ei­nem ar­ti­gen Kind, füg­sa­men Jun­gen und har­mo­nie­be­dürf­ti­gen Er­wach­se­nen. Nie­mand ahnt, dass in sei­nem dau­nen­wei­chen In­nern ein Le­der­na­cken schlum­mert, be­reit, Tram­kon­trol­leu­ren ins Ge­sicht zu sprin­gen, klei­ne Hun­de zu tre­ten, bla­sier­te Ver­käu­fe­rin­nen nie­der­zu­ma­chen und al­te Da­men an ver­kehrs­rei­chen Kreu­zun­gen im Stich zu lassen.

Nur ganz sel­ten spiel­te ihm der ge­zähm­te Le­der­na­cken ei­nen Streich. Zum Bei­spiel da­mals, als er ihn in „Ein Mann sieht rot“ schlepp­te und Ge­ri sich von Carl Schnell beim Ver­las­sen des Ki­nos er­wi­schen liess. Oder da­mals, als er ihn bei der Ar­mee­ab­schaf­fungs­in­itia­ti­ve mit vor­ge­hal­te­nem Sturm­ge­wehr zwang, ein „Nein“ in die Ur­ne zu wer­fen. Aber meis­tens hat er ihn im Griff.

Das ist auch nö­tig, denn die Ge­walt­frei­heit ist ei­ne der we­ni­gen Kon­stan­ten im sonst doch eher trend­be­stimm­ten Zu­sam­men­le­ben von Ge­ris Sze­ne. „Ich fän­de es jetzt wirk­lich fair, wenn ihr mich Schluss ma­chen lies­set“, ist das Äus­sers­te an Druck, das Char­ly, der Bar­man der Schamp­Bar an­wen­det, wenn die letz­ten Gäs­te auch bei El­vis’ drit­tem „Muss i denn, muss i denn zum Stä­de­le hin­aus“ kei­ne An­stal­ten zum Aus­trin­ken ma­chen. Und zu här­te­ren Aus­drü­cken als „fin­dest du das gut?“ wird selbst dann nicht ge­grif­fen, wenn im Fisch&Vogel ei­ne Drei­vier­tel­stun­de nach der Be­stel­lung des Me­nu 1 der Be­scheid kommt, es sei nur noch das Me­nu 2 da.

Auch Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen den Stamm­gäs­ten, wer­den zi­vi­li­siert aus­ge­tra­gen. Als Al­fred IZMIR Hu­ber in ei­ner Dis­kus­si­on über das Me­di­ta­ti­ve im Tech­no Su­si Schläf­li vor­wirft, sie las­se wie­der ein­mal nur Scheis­se raus, wird er von ihr we­gen „An­wen­dung von ver­ba­ler Ge­walt“ so lan­ge ge­schnit­ten, bis ihr Carl Schnell nach­weist, dass sie da­mit ih­rer­seits ei­nen „Akt so­zia­ler Ge­walt“ begeht.

Auch auf dem in­ter­na­tio­na­len Par­kett ver­fol­gen Fisch&Vogel und Schamp­Bar ei­ne pa­zi­fis­ti­sche Li­nie. Carl Schnell hegt im Zu­sam­men­hang mit der UNO/NATO In­ter­ven­ti­ons­po­li­tik erns­te Be­den­ken hin­sicht­lich de­ren völ­ker­recht­li­cher Le­gi­ti­ma­ti­on, die auch von Ge­ri ge­teilt wer­den. Ge­ri, des­sen in­ne­rer Le­der­na­cken da­mals wäh­rend der Ope­ra­ti­on DESERT STORM fas­zi­niert die IMPACTS der in­tel­li­gen­ten Waf­fen­sys­te­me rein­ge­zo­gen hatte.

Aber in letz­ter Zeit glaubt Ge­ri ei­ne Auf­wei­chung der pa­zi­fis­ti­schen Front im Fisch&Vogel und in der Schamp­Bar zu be­ob­ach­ten. Es sind, wie im­mer bei gros­sen Trend­wen­den, win­zigs­te An­zei­chen, die nur das ge­schul­te Au­ge wahr­nimmt: Char­ly muss an der Es­pres­so­ma­schi­ne ei­ne Gum­mi­dich­tung er­set­zen und hat kei­nen Kreuz­schlitz­schrau­ben­zie­her zur Hand – Al­fred IZMIR Hu­ber hilft ihm mit ei­nem LEATHERMAN aus, der High­tech-Ver­si­on des Rambomessers.

Ro­bi Mei­li kom­men­tiert das Ul­ti­ma­tum an Mi­lo­se­vic mit ei­nem bei­läu­fi­gen „ge­wis­se Leu­te ver­ste­hen nun ein­mal kei­ne an­de­re Spra­che“ – und Carl Schnell wi­der­spricht ihm nicht.

Fred­dy Gut taucht an ei­nem nicht ein­mal be­son­ders rau­hen De­zem­ber­tag mit Schu­hen auf, die wie Fall­schirm­stie­fel aus­se­hen – nur schwerer.

Es sind die­se un­trü­ge­ri­schen Hin­wei­se auf ei­nen Wan­del hin zu ei­nem un­ver­krampf­te­ren Um­gang mit der Ge­walt, die Ge­ri er­mu­ti­gen, in der Spiel­wa­ren­ab­tei­lung sei­nes Lieb­lings­wa­ren­hau­ses dem Drän­gen sei­nes in­ne­ren Le­der­na­cken nach­zu­ge­ben. Er schenkt Su­si Schläf­lis Söhn­chen To­ni­to zu Weih­nach­ten ei­ne klei­ne aber täu­schend ech­te Was­ser-Ma­schi­nen­pis­to­le. Wie zur Be­stä­ti­gung der ver­mu­te­ten Trend­wen­de in der Ge­walt­ver­zichts­fra­ge schlägt sie ihm Su­si Schläf­li über den Kopf. Zehn Stiche.

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