Das stille Zimmer
Francine de M. war eine zufällige Begegnung gewesen. Eine glückliche.
Allmen war in Paris während der Fashion Week zum Empfang von Luc d’Auvergne eingeladen, seinem Schulkollegen aus dem Charterhouse, der Boarding School, in der er seinen ersten Upperclass Schliff und einen Teil seines Beziehungsnetzes erhialten hatte.
Luc hatte ihn beeindruckt. Sein perfektes Englisch war mit einem zarten französischen accent parfümiert, dabei beherrschte er ein absolut akzentfreies U‑English, very posh. Es war ihm in Allmens Gegenwart im angetrunkenen Zustand im Pub einmal herausgerutscht. Als Allmen ihn später ausgenüchtert fragte, weshalb er nicht immer so spreche, hatte der geantwortet: „Less special“.
Luc war „special“ geblieben. Er erbte später die Weingüterseiner Familie im Bordeaux, um die sich der Önologe kümmerte, den noch sein Vater engagiert hatte, und wohnte als Exzentriker im Chateau, dessen Name seine Weine tragen, oder im Familie-Stadtpalais in Paris. Er kleidete sich in Spezialanfertigungen der jungen Modedesigner, deren Labels er großzügig sponserte.
Luc war eine gesellschaftliche Schlüsselfigur und gab während der Fashion Week Empfänge für tout Paris. Dazu einmal nicht eingeladen gewesen zu sein, war eine empfindliche gesellschaftliche Niederlage, die man später besser verschwieg.
Allmen war eingeladen.
Er hatte Luc seit dem Charterhouse nicht aus den Augen verloren. Auch sonst kaum jemanden aus jener Zeit. Allmen war kein ausgesprochen pflichtbewusster Mensch, aber was die Pflege seines Beziehungsnetzes anging, war er von vorbildlicher Gewissenhaftigkeit. Von Geld verstand er nicht viel, aber von seinem einzigen Kapital schon: seinem Beziehungsnetz.
Beim Dinner jenes Empfangs saß er am langen Tisch mit sechzig Gästen, dreißig auf jeder Seite. Ihm gegenüber Laurent de M., der momentane Lieblings-Textilfabrikant der Haute Couture, rechts von ihm Francine, dessen spektakuläre Frau. Sie erklärte ihm unauffällig die Gäste, die er nicht kannte. Und sie tat dies auf so witzige Weise, dass der Abend für Allmen zu einem der amüsantesten seit Langem wurde.
Einmal, als er sich verpflichtet fühlte, wieder einmal mit ihrem Mann vis-à-vis ein wenig Konversation zu führen, presste sie ihren Oberschenkel gegen seinen, und er erwiderte den Druck. Von da an tat sie das jedes Mal, wenn er mit ihrem Mann ein paar Worte wechselte.
Einmal verließ sie den Tisch für eine Weile. Als sie zurückkam, und Allmen sich erhob und ihr den Stuhl bereithielt, steckte sie ihm einen Zettel zu. Morgen 13:15 stand darauf, und eine Telefonnummer.
Allmen wohnte wie immer im Ritz, keinem geeigneten Ort für ein diskretes Tête-à-tête mit einer Dame von gewisser Prominenz. Er machte sich gleich am nächsten Morgen auf die Suche nach etwas hübschem Verborgenem. Jean-Claude Charonne half ihm dabei, ein Kenner der Pariser Unterkunfts-Szene, den er aus seinem Studienjahr an der Sorbonne kannte. Damals war er ihr Mann fürs Diskrete.
Mit ein paar Anrufen – es brauchte mehrere, die Hotelsituation war während der Paris Fashion Week etwas angespannt – arrangierte ihm Jean-Claude ein stilles Zimmer in einem Hotel im Marais, dessen Name Allmen für sich behalten will, damit es ein Geheimtipp bleibt.
Direkt von der Zimmertür führte eine kleine Treppe hinauf zu einem kleinen Salon mit einer Tür zum Bad, einer zu einer Terrasse über den Dächern von Paris und einer zum Schlafzimmer mit einem nicht nur zum Schlafen einladenden Bett.
Bei der kurzen Besichtigung war Allmen so angetan von der Stille und der, er fand kein anderes Wort dafür – Erotik des Raumes, dass er sich vornahm, Carlos zu beauftragen, ein längerfristiges Arrangement mit der Direktion zu vereinbaren.
Als er Francine um 13:15 anrief und ihr die Adresse angab, wusste er, dass das Verhältnis zu ihr wohl nicht von Dauer sein würde. Aber das zu diesem stillen Zimmer schon.