Wird Allmen alkoholfrei?
Wetten machen Allmen normalerweise nicht nervös. Es geht ja nur um Geld, also um etwas, das er manchmal hat und manchmal nicht, ohne dass dies seine Gemütslage oder sein Wohlbefinden beeinflussen würde. Eine Wette ist nichts als eine Allegorie auf seine Art, zu leben. Und diese hat ihm fast immer gefallen.
Aber dieses Mal ging es um mehr als Finanzielles: Um Gesellschaftliches. Allmen riskierte, für ein halbes Jahr zu einer gesellschaftlichen Randfigur zu werden. In den Kreisen, zu denen ein Gläschen oder zwei zum selbstverständlichen Umgang gehört, sind die, die darauf verzichten, nicht beliebt. Und unverzichtbar für einen Mann, dessen wichtigstes und oft einziges Kapital seine Beliebtheit ist. Er könnte es sich nicht leisten, sechs Monate lang unbeliebt zu sein.
Allmen war also nervös, als er am verabredeten Tag noch vor der offiziellen Öffnungszeit die leere Bar betrat. Er hatte sich leicht verspätet, Herr Arnold war in eine Verkehrsstörung geraten und hatte während der ganzen Fahrt immer wieder Entschuldigungen hervorgebracht.
Die sechs Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter, Bargäste, die beim Abschluss der Wette dabei gewesen waren, hatten sich schon eingefunden. Der Chef de Bar, Christian Heiss, begrüßte ihn auf seine übliche herzlichen Art, aber Allmen glaubte, in seinem Lächeln eine etwas triumphierende Note zu entdecken. Auch die besonders selbstsichere Art, wie er ihm aus dem Mantel half, beunruhigte ihn eine Spur.
Auf der Theke waren elegante Cocktailgläser, Shaker, Messbecher, Flaschen, Fläschchen, Passionsfrüchte und ein Strauß Koriander bereitgestellt. Musik spielte keine.
Allmen begrüßte die Jury und setzte sich auf seinen üblichen Hocker.
Feierlich begann der Chef de Bar seine Arbeit. Seine knappen, eleganten Gesten schienen Allmen noch präziser als sonst, und sein konzentrierter Blick huschte immer wieder kurz zu Allmen, als wollte er dessen Grad der Nervosität prüfen.
Am meiste beängstigte Allmen das kleine Lächeln, das während der ganzen Prozedur Heiss’ Miene prägte. Als würde er bereits das einstimmige Resultat der Jurierung kennen. Und es lauten würde: Ja! Der alkoholfreie Allmen Cocktail ist gelungen!
Allmen versuchte, seinerseits siegessicher zu wirken und die Gewissheit auszustrahlen: Ein Barman kann noch so genial und virtuos sein: Den Allmen Cocktail ohne Alkohol zu kreieren ist undenkbar.
Da kann das Cocktailglas noch so elegant sein.
Da hilft auch die passionierteste Frucht nicht.
Nein, nein, die Schärfe von drei Tropfen Chili-Essenz täuscht nicht über das Fehlen der kleinen Schärfe von etwas Mezcal hinweg.
Da können Sie beim Shaken noch so siegessicher lächeln, lieber Herr Heiss.
Zugegeben, das Schäumchen der Passionsfrucht ist schön. Für das Auge, wohlverstanden.
Nice try, Herr Heiss. Aber ein Zweiglein Koriander macht noch keinen Allmen.
Dieses Jurymitglied ist natürlich voreingenommen.
Die sechs Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter wählten Martin Suter, um das Urteil der Jury zu verkünden:
„Lieber Herr von Allmen, lieber Herr Heiss,
Dieser alkoholfreie Allmen Cocktail ist dem alkoholhaltigen nicht nur ebenbürtig, er übertrifft ihn sogar. Die rauchige Agave harmoniert perfekt mit der tropischen Note der Passionsfrucht, und die Chili-Essenz gibt dem Drink die verhaltene Schärfe, wie das sonst nur ein Schuss Alkohol kann.
Der Sieger der Wette ist folglich Herr Christian Heiss.
Herr Johann Friedrich von Allmen muss die nächsten sechs Monate als dry betrachten und er darf während deren Dauer keinen Tropfen Alkohol zu sich nehmen.“
Allmen führte den Drink an die Nase und wollte so tun, als könne er ihn nicht einmal den Lippen nähern. Aber der Duft war so verführerisch, dass er einen winzigen Schluck nehmen musste.
Der Geschmack, der sich entfaltete, machte es ihm unmöglich, nicht den ganzen Drink mit geschlossenen Augen zu genießen.
Liebe Leserinnen und Leser, den Allmen Cocktail gibt es jetzt in der Kronenhalle Bar an der Rämistrasse in Zürich. Falls Sie Herrn Allmen dort begegnen, geben Sie ihm bitte das Gefühl, er sei auch alkoholfrei beliebt.