Tropicana Revival
Das Mucho Gusto hat sein Comeback Geri Weibel und den Amerikanern zu verdanken. Ohne Embargo hätten sich die kubanische Musik und ihre Interpreten nicht so gut konserviert, dass sie vierzig Jahre nach Batista ein solches Revival erleben konnten. Auf Geris Rolle kommen wir später zurück.
Als Esteban vor zwölf Jahren das Lokal gründete, hiess es Traube. Ein Name, mit dem er glaubte, leben zu können. „Wie man kocht ist wichtig, nicht wie man heisst“, war sein Leitsatz, von dem er schon nach wenigen Monaten abrückte. Robi Meili, der sich damals für kurze Zeit als Corporate Identity Berater versuchte, überzeugte Esteban davon, dass der Name eines Lokals Programm sein müsse. Er schlug ihm Mucho Gusto vor und verkaufte ihm Schriftzug und Corporate Design für sechshundert Tagesmenüs.
Mucho Gusto war Robi Meilis Art, weltläufig auszudrücken, dass die Speisekarte etwas für jeden Geschmack enthält. Sein Spanisch ist etwas rudimentär. Und das von Esteban überhaupt nicht vorhanden. Sein spanischer Vorname ist in Wirklichkeit ein Spitzname, den ihm einst sein Lehrmeister verpasst hatte, um ihn vom anderen Kochlehrling zu unterscheiden, der ebenfalls Stefan hiess.
Das Mucho Gusto war bis zur Trendwende, wie Esteban den Moment nennt, an dem sich die Clique von ihm abwandte, ein Multikultilokal gewesen, das immer ein wenig an seinem Alternativimage herumzukorrigieren hatte.
Und als solches wäre es auch trotz Estebans verzweifelten Comeback-Bemühungen in die Geschichte der vergessenen In-Lokale eingegangen.
Wenn Geri Weibel nicht die kubanische Musik neu entdeckt hätte.
Ja, Geri Weibel – das lässt sich belegen – hat schon kubanische Boleros gehört, als der Rest der Szene noch auf Techno abfuhr. Er hatte sich 1995 bei einem Taxichauffer nach der Musik erkundigt, die während der Heimfahrt lief und sich die Kassette, eine angeblich unter grossen Gefahren in Havanna gezogene Raubkopie kubanischer Boleros, für 32 Franken aufschwatzen lassen.
Die Kassette war rasch amortisiert. Wenn er spät aus der SchampBar nach Hause kam, legte er sie ein und hörte ein paar Stücke vor dem Einschlafen. Er ist sicher, dass diese frühe Begegnung mit der kubanischen Musik ihm den Zugang zum kubanischem Lebensgefühl wesentlich erleichtert hat. Heute kommt ihm das zustatten, wo das Mucho Gusto im Begriff ist, zum lokalen Zentrum des kubanischen Musik-Revivals zu werden.
Geri Weibels Einfluss auf diese Entwicklung ist eher indirekt. Seine Art, neue Trends zu entdecken und durchzusetzen, ist bekanntlich sehr unaufdringlich. Im Fall Kuba beschränkte er sich darauf, die Kassette spät nachts einer Zufallsbekanntschaft namens Jasmin vorzuspielen, in der SchampBar den Refrain von Dos Gardenias zu summen und in Anwesenheit von Freddy Gut einen Cuba Libre zu bestellen. Aber das reichte, um den Virus freizusetzen.
Kein Jahr später produziert Ry Cooder die CD Buena Vista Social Club. Kurz darauf nimmt der kubanische Pianist Rubén González mit fast achtzig sein erstes Album auf. Und jetzt rettet sich auch noch das Mucho Gusto aufs Trittbrett des kubanischen Musikexpress.
An den Wänden hängen jetzt Schwarzweiss-Fotos von karibischen Stränden und zerbeulten amerikanischen Limousinen aus den fünfziger Jahren. Dort, wo früher der Garderobeständer stand, sorgt jetzt eine Kübelpalme für tropische Atmosphäre.
Das Mucho Gusto strahlt heute die schäbige Eleganz einer Zweistern Hotelbar in Ost Havanna aus. Und klingt wie ein kubanischer Nightclub für amerikanische Mafiabosse in den fünfziger Jahren.
Die Speisekarte hat sich nicht gross geändert. Der Gemüsevollreis heisst jetzt Arroz a la Cubana und hat Bananen drin, das scharfe Poulet nennt sich jetzt Pollo Criollo.
Susi Schläfli trägt wieder Décolletées. Robi Meili, Carl Schnell, Freddy Gut und Alfred Huber unterscheiden schlafwandlerisch zwischen Bolero, Son, Guajira, Guagancó und Danzón. Sie bewegen sich mit der gemessenen Schlaksigkeit greiser Soneros, trinken Mojitos (Rum, Zitrone, Zucker, Soda, Eis und frische Minze) und ahnen nicht, dass sie das neue Lebensgefühl nicht nur dem Embargo sondern vor allem Geri Weibel zu verdanken haben. Der bereitet sich inzwischen auf ein Comeback des Fisch&Vogel vor. Er tippt auf ein Re-Revival der Schweizer Volksmusik. Ein Taxichauffeur hat ihm kürzlich eine Raubkopie einer seltenen Aufnahme des Trio Eugster aufgeschwatzt.