Das Comeback
Nein sagen ist nicht Geris Stärke. Sonst würde er nicht immer wieder in Situationen wie diese geraten:
Es ist kurz nach sechs. Zeit für einen Apéro in der SchampBar, bevor er ins Fisch&Vogel essen geht, um danach in der SchampBar den Abend ausklingen zu lassen. Ein Tag wie jeder andere, ausser dass es stärker regnet als sonst.
Geri zirkelt seinen Schirm durch den Strom von Schirmen, der in der Gegenrichtung durch die Fussgängerzone fliesst. Eine Aufgabe, die seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt und ihn daran hindert, Leute wie Esteban rechtzeitig zu erkennen und ihnen aus dem Weg zu gehen.
Esteban steht plötzlich vor ihm, in einem dünnen Regenmäntelchen, ohne Schirm und ohne Kopfbedeckung, jeder Zoll ein stummer Vorwurf. „Hallo, Geri“, sagt er, „wie geht’s?“
Hinter Esteban stauen sich kurz die Schirme und fliessen dann links und rechts an ihm vorbei. Geri sagt: „Solala, und dir?“
Esteban lächelt tapfer und gibt keine Antwort. Geri schämt sich sofort für die Frage. Wie soll es Esteban schon gehen? Natürlich schlecht. Und das haben alle zu verantworten, die das Mucho Gusto verraten und zum Fisch&Vogel übergelaufen sind. Also auch Geri.
„Hast du einen Moment Zeit?“, fragt Esteban im Tonfall von einem, der im voraus weiss, dass die Antwort nein sein wird.
„Ja“, sagt Geri.
Die Antwort überrascht beide. Geri findet als erster die Sprache wieder:: „Worum handelt es sich?“
„Nicht hier“, sagt Esteban. „Ich dachte, wir könnten irgendwo in der Nähe..“
In der Nähe sind die SchampBar, das Fisch&Vogel und das Mucho Gusto. Das einzige Lokal, wo Geri einigermassen sicher sein kann, nicht von seiner Clique mit dem Wirt des Mucho Gusto gesehen zu werden, ist das Mucho Gusto. Er sagt also: „Warum gehen wir nicht kurz zu dir?“
Esteban nickt nur. Er kann nicht sprechen, so sehr bewegt ihn der Vorschlag.
Geri möchte nicht mit Esteban unter einem Schirm gesehen werden. Aber es würde auch seltsam aussehen, wenn er unter dem Schirm und Esteban daneben gehen würde. Er löst das Problem, indem er den Schirm schliesst und die fünfzig Meter bis zum Mucho Gusto im Regen zurücklegt.
Esteban öffnet Geri die Tür wie ein armer aber ehrlicher Mann einem hohen Gast die Tür zu seiner bescheidenen aber sauberen Hütte.
Früher war um diese Zeit das Mucho Gusto gestossen voll gewesen. Es jetzt fast leer zu sehen gibt Geri einen Stich. Esteban geleitet ihn zum Tisch, der früher ihr Stammtisch gewesen war. Er kommt kurz darauf mit zwei Coronas mit Zitronenschnitz im Flaschenhals zurück.
Corona mit Zitronenschnitz! 1999!
Geri lässt sich nichts anmerken. Er nuckelt an der Flasche als ob er keine Ahnung hätte von den urbanen Getränke-Trends der Jahrtausendwende, und hört sich Estebans Anliegen an.
Esteban redet etwas um den Brei herum. Aber dann begreift Geri, was er von ihm will: Er soll als Schlepper für das Mucho Gusto arbeiten.
Das Angebot ist so unanständig, dass es Geri für einen Moment die Sprache verschlägt. Dass er nicht sogleich aufsteht und das Lokal verlässt, liegt an der Art, wie Esteban es formuliert. „Ich brauche die Trendwende und die braucht die Trendsetter und du bist der einzige, der sie mir bringen kann.“
Die Honorierung ist einfach: Alles, was Geri mit einem Trendsetter, den er bringt, isst und trinkt wird ihm von Esteban diskret zurückerstattet.
Geri sagt nicht ja. Aber er sagt auch nicht so richtig nein.
Natürlich fällt es Geri Weibel nicht im Traum ein, für ein Gratis-Essen seinen Ruf als einigermassen trendsicheres Mitglied der Szene aufs Spiel zu setzen. Im Gegenteil, als Robi Meili eines Tages sein Seafood-Taco mit der Bemerkung stehen lässt „Da bekommt man ja Heimweh nach dem Mucho Gusto“, hakt Geri nicht nach.
Auch als ihn Meili auf dem Weg von der SchampBar ins Fisch&Vogel fragt:: „Hast du auch manchmal Lust aufs Mucho Gusto?“, hält es Geri für einen von Meilis gefürchteten Lifestyle-Tests und schüttelt den Kopf.
Aber als dann Carl Schnell, Susi Schläfli und Freddy Gut mit Robi Meili tatsächlich eines Tages spontan ins Mucho Gusto statt ins Fisch&Vogel gehen, schliesst er sich an.
Als er später bei Esteban auftaucht, um seine Rückerstattung abzuholen, sieht er Robi Meili am Stammtisch an einer Corona suckeln. Esteban schiebt ihm gerade ein Kuvert über den Tisch.