Eugster schlägt zurück

Eu­gs­ter war dies­mal in Mi­ami. Der Fa­mi­lie zu­lie­be. Sie hat­te die ewi­gen Win­ter­fe­ri­en oh­ne Schnee satt. Ihm per­sön­lich hät­te es nichts aus­ge­macht. Kein Schnee ist im­mer noch die bes­te Ent­schul­di­gung, nicht ski­fah­ren zu müs­sen. Aber ei­ne Fa­mi­lie ist ein Team, er ist nur der Coach. Auch der muss sich manch­mal fü­gen kön­nen. Sagt Yvonne, der Co-Coach.

Das Wet­ter in Mi­ami war schlecht. Stür­mi­sche Win­de, Aus­läu­fer der nord­ame­ri­ka­ni­schen Re­kord­käl­te­front, un­sai­son­mäs­si­ge Dau­er­re­gen. Eu­gs­ter ver­brach­te viel Zeit vor dem Fern­se­her auf der Su­che nach Bil­dern vom eu­ro­päi­schen Jahr­hun­dert-Win­ter, wie er sich aus­drück­te. „Jah­re­lang füt­te­re ich die Schwei­zer Ho­tel­le­rie durch ih­re schnee­ar­men Win­ter und jetzt, wo sie sich mit Son­ne und Pul­ver re­van­chiert, ho­cke ich in Mi­ami und frie­re mir die Ha­xen ab“, maul­te er. Die Air­con­di­ti­on kühl­te das gan­ze Ho­tel auf et­was un­ter acht­zehn Grad, aber Eu­gs­ter war ge­zwun­gen, in Ber­mu­das her­um­zu­lau­fen. Der Smo­king, den ihm Yvonne für Sil­ves­ter ein­ge­packt hat­te, war ihm für je­den Tag zu for­mell, und die ka­rier­ten Golf­ho­sen aus sei­ner Gol­fer-Zeit (Früh­ling 1992 bis Som­mer 1992) wa­ren ihm zu eng. So fror er eben an den Bei­nen. Drau­ßen wä­re es zwar ein paar Grad wär­mer ge­we­sen, aber die Fens­ter lie­ßen sich nicht öff­nen. Security. 

Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, sich et­was auf­zu­wär­men, war ein hei­ßes Bad. Er muss­te es je­weils im Zim­mer von Pat (10) und Jens (12) neh­men, weil das Ja­cuz­zi in sei­ner und Yvonnes Ju­ni­or Suite meis­tens von Pat und Jens be­setzt war. „Sei doch froh, dass sie sich be­schäf­ti­gen“, hat­te Yvonne ge­sagt. „In Aro­sa könn­ten sie jetzt snö­bern bis zur Er­schöp­fung“, hat­te er geantwortet. 

Wenn Eu­gs­ter sich nicht ge­ra­de in der Ba­de­wan­ne auf­wärm­te oder am Fern­se­hen dem ark­ti­schen Win­ter in Eu­ro­pa nach­trau­er­te, war er da­mit be­schäf­tigt, der lau­ten Grup­pe Schwei­zer aus dem Weg zu ge­hen, die die Lob­by be­herrsch­te. „Ich ver­ste­he dich nicht“, be­kam er von Yvonne zu hö­ren, „in Aro­sa be­klagst du dich im­mer, es ha­be kaum noch Schwei­zer.“ Über­haupt wur­de Yvonne täg­lich spit­zer. Sie be­gann lang­sam die Ver­ant­wor­tung für das Fi­as­ko auf Eu­gs­ter ab­zu­wäl­zen. „Wenn du un­be­dingt nach Aro­sa woll­test, war­um hast du dich dann nicht durchgesetzt?“

In der zwei­ten Wo­che freun­de­ten sich die Kin­der mit den Kin­dern ei­nes Ost­schwei­zer Fens­ter­fa­bri­kan­ten an. Eu­gs­ter muss­te sei­ne Tar­nung, den „Mi­ami He­rald“, fal­len las­sen und sich als Lands­mann zu er­ken­nen ge­ben. Noch am sel­ben Abend wa­ren sie per du (Ja­cky und Lil­ly) und am nächs­ten Tag mach­te ihm Yvonne so lan­ge ei­ne Sze­ne, bis er zu ei­nem ge­misch­ten Ten­nis-Dop­pel ein­wil­lig­te, bei dem er sich von ihr, Ja­cky und Lil­ly wäh­rend zwei Stun­den de­mü­ti­gen las­sen muss­te. Zum Glück wa­ren we­gen der bö­igen Win­de kaum Zu­schau­er anwesend.

Am Abend be­kämpf­te er die Er­käl­tungs-Symp­tome in der Ho­tel­bar mit Ja­ckys Ge­heim­re­zept: hei­ßem Jack Da­ni­els mit Li­me. Der Hei­lungs­er­folg war so frap­pant, dass er sich nach der fünf­ten An­wen­dung mit Ja­cky zum Hoch­see­fi­schen ver­ab­re­de­te. Blue Marlin.

Sie fin­gen nichts, aber ei­ne wild ge­wor­de­ne Lei­ne riss Eu­gs­ter den Na­gel des rech­ten klei­nen Fin­gers aus. Das star­ke Schmerz­mit­tel, das ihm der Ho­tel­arzt ver­schrieb, ka­schier­te sei­ne Hals­schmer­zen so lan­ge, bis sie sich zu ei­ner schwe­ren An­gi­na ent­wi­ckelt hat­ten. Den Rest der Fe­ri­en ver­brach­te er mit An­ti­bio­ti­ka im Bett. We­nigs­tens fror er nicht.

Am ers­ten Ar­beits­tag des neu­en Jah­res er­zähl­te der braun­ge­brann­te Fred Stauf­fa­cher, des­sen Be­för­de­rung in die Ge­schäfts­lei­tung nur noch ei­ne Form­sa­che war, sei­nem CEO Eu­gs­ter mit glän­zen­den Au­gen vom dies­jäh­ri­gen Jahr­hun­dert­win­ter in Aro­sa. Das hät­te er bes­ser blei­ben lassen.


Nur ein­mal ver­öf­fent­licht am 9.1.97

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