Smarter than a Cow
Für die, die sagen, es gebe keine Cowboys mehr
Vor 42 Jahren reiste Martin Suter im Auftrag des neu gegründeten GEO nach Montana und Wyoming, um eine Reportage über die Cowboys zu schreiben. Davor nahm er ein paar Monate Reitunterricht. Hier das leicht gekürzte, von der Redaktion nicht redigierte Original Manuskript. Etwas wie ein Director’s Cut.
Zwischen Cheyenne und Casper lösen sich die Gewitterwolken auf, weil sie die Big Horn Mountains ungern verbergen. Die Big Horn Mountains tragen nämlich ihre ersten Schneeflecken von gestern Abend, und die Sonne legt mit amerikanischer Großzügigkeit Rouge auf.
Wir fliegen still die Berge entlang. Die Schatten werden langsam dunkelblau, und als sie unser Flugzeug erreichen, knipst die Frau neben mir das Leselicht an. Sie spielt mit ihrer kleinen Tochter ein Würfelspiel, das Way to Bethlehem heißt. Drei Felder vor zur Bergpredigt. Zurück nach Nazareth, zweimal mit Würfeln aussetzen.
Wir landen am Fuß der blauen Berge, in Sheridan, Wyoming. Natürlich ist Vollmond. Und natürlich ist er größer und bleicher als bei uns. Aber das Flughafengebäude ist klein und familiär wie bei uns ein Provinzbahnhof. Sheridan ist eine Viehstadt mit 12.000 Einwohnern. Die zwei oder drei Querstraßen ändern nichts daran, dass Sheridan nur aus einer Straße besteht. An dieser Straße liegen die Bars, die Motels, die beiden Banken, die drei Sattlereien, der Drugstore, die Tankstellen, die beiden Kinos und die paar Geschäfte, die eine Stadt wie Sheridan zum Leben braucht.
Sheridan, Wyoming, ist eine gute Stadt für einen, der wissen will, ob die recht haben, die sagen, es gebe keine Cowboys mehr.
Das Mädchen vom Steak House lacht mich aus, als ich etwas über Cowboys erfahren will: „Cowboys sind dumm, wild, ungehobelt und nehmen zu keiner Gelegenheit den Hut ab.“ Aber wenn ich Cowboys treffen wolle, soll ich ins Torch Light gehen.
Das Torch Light ist eine Baracke etwas abseits der Straße. Beim Eingang leuchtet groß und mondän der Schriftzug, flankiert von zwei aufgeregt flackernden Neonfackeln. Drinnen spielt eine Band Country Music. In den Rauchschwaden vor der Bühne wird getanzt, als ob es das letzte Mal wäre, dass eine Band Country Music spielt.
Wortkarg und mit einem Jim Beam knüpfe ich ein Gespräch an, das mehrere Jim Beams dauert und sich nur um seine Arbeit dreht. Seine Arbeit als Handelsreisender in Sportartikeln, Montana und nördliches Wyoming.
Das Torch Light ist kein guter 0rt für einen, der herausfinden will, ob die recht haben, die sagen, es gebe keine Cowboys mehr.
Die Mint Bar: Ausgekleidet mit lackierten einheimischen Hölzern, übersät von Brandzeichen. An den Wänden hängen Fotos von Rodeos und signierte Porträts von Rodeostars.
Zwischen Bärenfallen, Sporen und Zaumzeug schauen Elche, Polarfüchse, Bergschafe, Bergziegen und Fische glasigherunter, die Theke ist gut zehn Meter lang. Sieben Cowboys sitzen daran. Der neben mir heißt Harry Hampton.
Harry Hampton sieht aus, als hätte er etwa 50 Jahre gelebt. Wie alt er ist, weiß ich nicht. Sein Gesicht ist glattrasiert und straff, nur an den Mundwinkeln hat es Beck’s Beer ein wenig entspannt. Harry erzählt, dass er vor zwei Wochen mit seinem Foreman Streit bekommen hat und davongelaufen ist und seither keinen nüchternen Augenblick hatte.
Harry erzählt, dass er oben in den Bergen eine Braunbärin mit bloßen Händen und einem Messer erlegt hat. Harry steht vom Hocker auf und macht genau vor, wie er mit ihr gerungen hat, wie er das Messer gehalten hat, wie er es ihr in den Pelz gerammt hat, wie er es umgedreht hat, und was die Bärin dazu für ein blödes Gesicht gemacht hat.
Harry erzählt, wie er mit sechzehn den ersten Hurensohn umgelegt hat. Er zieht blitzschnell eine unsichtbare Magnum und feuert. Peng. Mitten ins Herz. Das war der erste. Sechzehn weitere solllten noch auf der Strecke bleiben. „I’m not bullshitting you, du stehst vor dem Mann, der den Sheriff von Long Beach, California, und dessen Sohn im Duell umgelegt hat.“
Ich bin der einzige, der Harry zuhört. Die anderen, es sind inzwischen mehr geworden, stehen in Grüppchen an der Bar, rauchen, trinken und unterhalten sich über Dinge, die mich interessieren würden. Zwischen den Flaschen hängen Ohrenklappen, die man für einen Dollar kaufen kann. Sie heißen Bullshit Guards, Quatsch-Schützer. Ich getraue mich nicht, ein Paar zu kaufen.
Harry erzählt noch, wie seine Frau missbraucht und erstochen wurde, wie ihm sein einziges Kind abhanden kam und davon, dass er nur noch vom Gedanken besessen ist, sich an seinem Todfeind zu rächen
Der Rauch wird so dick, das Bier so flüssig, dass ich mir nichts Angenehmeres mehr vorstellen kann, als Harry Hamptons Geschichten zu hören in der Mint Bar, Main Street, Sheridan, Wyoming.
Ich habe in den Bars von Sheridan noch viele Cowboys getroffen. Und nicht alle waren Bar-Cowboys. Ich habe zum Beispiel Porky getroffen, den verletzten Cowboy, dem oben in den Bergen ein Pferd die Blase zertreten hatte und der 23 Stunden nicht gefunden wurde. Porky war glücklich an jenem Abend und sagte nur, aber immer wieder: „Ich bin so glücklich, dass ich euch alle heute Abend getroffen habe, ihr seid so nette Leute.“
Ich habe den halbblinden Cowboy getroffen, der behauptete, man müsse die Stiere beschneiden, wenn sie erst neun Tage alt seien, dann sei nicht mehr dabei, als den gottverdammten Kronkorken einer gottverdammten Flasche Coors abzuschnippen.
Ich habe den getroffen, der die Geschichte erzählte vom Rancher, der etwas mit der Frau eines anderen hatte und der eines Tages sein 20.000 Dollar Pferd verblutet fand, weil der gehörnte Ehemann zwei große Stücke daraus herausgeschnitten hatte. Anstatt zwei kleine Stücke aus dem Ehebrecher herauszuschneiden.
Und ich habe Pistol getroffen.
Pistol heißt Pistol, weil sein Rodeoname an ihm hängengeblieben ist. Er ist schwer zu beschreiben, wenn man ihn nicht mit den Worten beschreiben will, mit denen man seit jeher Cowboys beschrieben hat. Wettergegerbt, lederhäutig, verwittert, bedächtig, verschmitzt, wachsam sind nämlich nicht die schlechtesten Eigenschaftswörter, die einer verwenden kann, der Pistol kennengelernt hat.
Ich besuche Pistol in seinem Blockhaus. Er schläft, aber Susi, seine Freundin, ist hellwach. Und rothaarig und sommersprossig. Sie erzählt von Pferden, Schwangerschaftstests und Abtreibungen. Und wenn sie lacht, schwingen die Glasmalereien ihrer Schwester am Fenster.
Pistol steht auf, schlaftrunken und zufrieden, und erzählt seine Geschichten. Er erzählt von seinem Freund. Dessen Bein sich im Lasso verfangen hat. (Das andere Ende war am Sattelknauf seines Pferdes befestigt, das Pferd scheute und brannte durch und riss dem armen Teufel das Bein unter dem Knie weg. Der kann aber auch auf einem Bein acht Stunden lang Kälber brennen. Der könnte in einem Satz von dieser Wand des Blockhauses zur anderen springen. Und das sind sechs Meter.)
Pistol war 19 Jahre lang Cowboy Foreman auf der Little Horn Ranch. Er rät mir, dorthin zu fahren, wenn ich Cowboys bei der Arbeit sehen wolle. Ich hätte gerne noch ein wenig mit Pistol geplaudert. Aber der Nebel hat schon die Wälder verschleiert und strömt eilig den Hügel herunter.
Am nächsten Tag fahre ich zur Little Horn Ranch, im Reservat der Crow in Montana.
Um die Arbeit der Cowboys zu verstehen, muss man ein bisschen etwas von der Arbeit einer Ranch wissen: Auf einer Ranch geht es darum, mit dem Land, das zur Verfügung steht, möglichst viele Kälber so weit zu bringen, dass man aus ihnen möglichst viel gutes Fleisch und gutes Leder machen kann. Um also etwas über die Arbeit einer Ranch zu erfahren, kann man ebensogut aus dem Leben eines Kalbes erzählen: Das Schlimmste, was einem Kalb passieren kann, ist, männlichen Geschlechts zu sein, wenn es zur Welt kommt. Wenn es dann nicht gerade der Spross registrierter Eltern ist oder wenn es der Zufall nicht will, dass es der Brandmarkung entkommt und sich so gut entwickelt, dass es ein Zuchtstier werden darf, wird es mit drei Monaten gebrannt und enthornt und kastriert und höchstens zwei Jahre am Leben gelassen.
Es darf etwa sechs bis acht Monate bei der Mutter bleiben, auf unüberschaubaren Weiden und im undurchdringlichen Dickicht der Creeks. Dann wird es von der Mutter getrennt, entwöhnt und, versehen mit den Sakramenten der modernen Veterinärmedizin auf andere unüberschaubare Weiden und ins undurchdringliche Dickicht anderer Creeks entlassen. Dort soll es sich dick und saftig grasen. Wenn das Gras knapp wird, treiben es die Cowboys dorthin, wo es nicht knapp ist. Wenn die Schneedecke hart wird, bringen ihm die Cowboys Heu und Proteinwürfel. Wenn es Läuse hat, treiben es die Cowboys durch ein Lausbad. Wenn es krank wird und ein Cowboy findet es auf einem Kontrollritt, wird es gesundgepflegt. So lebt es, wenn es gutgeht, zwei Jahre und wird langsam wild und menschenscheu. Bis plötzlich, an einem Herbsttag, die Herde, in der es lebt, von Cowboys eingekreist und langsam, damit keine teuren Pfunde verlorengehen, zu den eisernen Verladerampen und in die riesigen Viehtransporter getrieben wird. Dann ist es verkauft: Etwa 900 Pfund schwer. Etwa 250 bis 350 Dollar wert, je nach Marktlage.
In den Transportern, die auf zwei Stockwerken etwa 60 enthornte Zweijährige fassen, wird es auf eine Mastfarmgefahren. Dort sind ihm noch 50 Tage Völlerei gegönnt: Es kann saufen, was die Kehle hält und sich den Bauch bis zum Umfallen mit Mais vollschlagen, und es muss dafür keine 30 Schritte gehen.
Mit etwa 1400 Pfund Lebendgewicht hat es zum letzten Mal ein Lebendgewicht gehabt.
Das Beste, was einem Kalb passieren kann, ist, weiblich zu sein und so attraktiv, dass es später nicht das Schicksal der männlichen Kastraten teilen muss. Dann wird es nämlich nach zwei Jahren nicht geschlachtet, sondern in den privilegierten Kreis der Mutterherde aufgenommen. Dann wird es sich eines Tages an der Biegung eines Creek, in der Kühle eines Wasserlochs oder im Schatten einer Talsohle einem strammen Bullen gegenüber befinden. Und wenn der Schwangerschaftstest, den bald darauf die modernen Cowboys anstellen, positiv ausfällt, wird es ein Kälbchen auf die Welt bringen, das ihm nach sechs bis acht Monaten, wenn es ohnehin langsam lästig ist, weggenommen wird, damit einer neuen Begegnung mit einem neuen strammen Bullen nichts im Wege steht.
Auf den meisten Ranches wird die Mutterherde noch nicht künstlich befruchtet, und eine gute Mutterkuh darf zehn Jahre leben und acht Kälbchen zur Welt bringen, bis sie zu Corned Beef verarbeitet wird.
Immer mehr kleine Ranches werden von großen Gesellschaften aufgekauft, welche die Preisschwankungen auf dem Fleischmarkt kaltlassen und für die eine Ranch eine rentable Investition ist, ob sie rentiert oder nicht.
Die Little Horn Ranch gehört der Hunt Oil Company. Sie umfasst 404 Quadratkilometer Land. 260 davon sind Pachtland und gehören den Crow-Indianern. 12.000 Stück Vieh weiden darauf. Sie hat durchschnittlich 21 Angestellte, zehn davon Cowboys, in der Branding Saison einige mehr.
Die Hauptranch liegt in einer sanften Mulde an einem kleinen Flusslauf am Südende des Weidelandes. Im Schatten alter Bäume gruppieren sich weiße und braune Holzhäuser zu einem kleinen Dorf. Gleich bei der Brücke steht das zweistöckige Haus des Ranchmanagers, Rich Torrens, und seiner hawaiianischen Frau. Der Dorfplatz, so darf man es schon nennen, ist eingerahmt vom Cookhouse (von dessen Dach eine Glocke um sechs Uhr morgens, um zwölf Uhr mittags und um sechs Uhr abends zum Essen läutet), vom Ranch Office, vom weißen Bungalow, in dem der Cowboy Jim George und seine Frau wohnen und von einem kleinen Geräteschuppen, vor dem zwei Tanksäulen stehen.
Geht man die Straße weiter, vorbei an Jims Bungalow, kommt man zu einem zweistöckigen Blockhaus. Das ist das Bunkhouse, die Gemeinschaftswohnung der ledigen Cowboys. Vor der Veranda steht ein Holzbock, auf den eingebleichter Kuhschädel montiert ist. Daran üben die Cowboys manchmal mit dem Lasso. Rechts vom Bunkhouse sind die Pferdeställe. Links vom Bunkhouse sind die sechs Lastwagen der Ranch geparkt. Gegenüber glänzen acht gefüllte Kornsilos aus Wellblech in der Sonne. Dann endet die kleine Straße, weil sich ihr eine riesige Werkstatt in den Weg stellt, in der auch das größte Fahrzeug, das ich mir vorstellen kann, Platz findet.
Am östlichen Ende der Hauptranch liegen noch der Bungalow des Farm Foreman Archie Garrico und das zweistöckige, fast koloniale Gästehaus. Unter mächtigen Tannen und in der Abgeschiedenheit eines fast englischen Rasens.
Die Little Horn Ranch ist ein guter Platz für einen, der herausfinden will, ob die recht haben, die sagen, es gebe keine Cowboys mehr.
Wenn Claire, die Köchin, morgens um sechs die Glocke läutet, bedeutet das nicht: „Das Frühstück ist fertig.“ Das bedeutet: „Du bist zu spät zum Frühstück.“ Wer nicht zu spät sein will, muss vor sechs auf dem Ledersofa im Cookhouse sitzen und auf das Startzeichen warten. Das ist nicht schlimm, denn es riecht nach frischem Kaffee.
Zum Frühstück gibt es: gebratenen Speck, Spiegeleier, Pfannkuchen mit Sirup, Brot, Butter, Marmelade, Milch. Und diesen starken, schwarzen Kaffee.
Im September ist es nach dem Frühstück noch dunkel. Nur am Horizont glüht ein roter Streifen, dort, wo die Sonne aufgehen will.
Rich Torrens, um die Vierzig, stämmig, morgen fröhlich, Nichtraucher, Nichttrinker, Ranchmanager, gibt seine Anweisungen in der Art eines Mannes, der von niemandem etwas verlangt, was er nicht selber könnte.
Wir fahren in Pickups zu einem großen Korral, in dem ein paar hundert Kälber blöken, die gestern von ihren Müttern getrennt worden sind. Sie stehen ratlos in einem großen Gehege, und nur die treulosesten unter ihnen saufen am Bach unten das ungewohnte Wasser und fressen von den Körnern, die man ihnen zur Ablenkung bereitgestellt hat. Die Kälber sind noch nicht sehr abgefeimt, und so haben Jim George und Neil Gupton keine Schwierigkeiten, mit ihren Pferden in das Gehege zu reiten und die Herde in einen kleineren Pferch zu treiben.
Jim George ist ein langer, schlaksiger, blonder junger Mann, der es sich leisten kann zu behaupten, er könne nicht mit Pferden umgehen. Wenn er die Kälber vorwärtstreibt, schwingt er seine lange Peitsche und sagt ruhig und ermunternd: „C’mon Babies.“ Oder galant: „Vorwärts, vorwärts, große schöne Kuh.“
Neil Gupton ist der jüngste Cowboy der Ranch. Er ist erst 21, aber er ist Cowboy, seit er sich erinnern kann. Sein Vater ist Cowboy, und seine Brüder sind Cowboys. Aufgewachsen ist er auf der Paddlock Ranch, etwa 30 Meilen südlich der Little Horn.
Neil trägt einen flachen, abgewetzten Hut, den man Plainsman nennt, weil ihn die Männer der windigen Ebenen tragen.
Über den Jeans trägt er lederne, weite Chaps, die nur bis zum Knie reichen, und die man Batwings, Fledermausflügel, nennt. (Chaps schützen die Beine der Cowboys vor Kälte, Dornen und der Reibungshitze des Lassos, das beim Roping oft den Schenkel des Reiters einklemmt. Shotguns sind Chaps, die bis zu den Absätzen reichen. Woollies sind Chaps, deren Außenseite aus Wolle oder Fell ist.)
Neils Stiefel sind spektakulär. Die Schäfte sind blutrot und reichen bis an die Kniekehle. Die Fußteile sind rabenschwarz. Diese Stiefel sind maßgeschustert und haben 150 Dollar gekostet. Auch die ziselierten silbernen Ausgangssporen sind ihre 100 Dollar wert. Neil verdient nicht mehr als 400 Dollar im Monat.
Jim treibt die Kälber in einen Korridor, etwa 30 Stück aufs Mal, Neil beugt sich über die Brüstung und hilft ab und zu mit einem Stab nach, der elektrische Schläge austeilt, manchmal auch ihm selber.
Der Korridor wird immer enger und endet in einem Eisenkäfig, den man zuklappen kann wie ein Buch, bis sich das Kalb nicht mehr rühren kann. Dort stehen Ron Thomson, Chet Burton und Roy Vizza und impfen Kalb für Kalb gegen Rednose, Blackfoot und Krankheiten, deren Namen ich nicht verstanden habe. Sie spritzen auch ein Entwurmungsmittel und übergießen das Tier mit einem Insektizid.
Manchmal ist ein Kalb darunter, das im Sommer dem Brenneisen entgangen ist. Es wird von den drei Männern zu Bodengerungen, an der Flanke rasiert und gebrannt. Es riecht nach gegrilltem Steak.
Manchmal sprießen einem Kalb Hörner. Aber Hörner sind ein Privileg der Zuchtstiere und der registrierten Mutterkühe. Gewöhnliches Rindvieh darf keine Hörner tragen. Hörner nehmen zu viel Platz weg in den Transportern.
„Die können wir dir nicht lassen, Baby“, sagt dann Chet Burton (traurig, ich schwöre) und sägt sie ab. Fadendünne Blutfontänen spritzen aus den Wunden, bis sie mit einem violetten Desinfektionsmittel zugesprayt werden. Auch zwei kleine Stiere sind darunter, die man im Sommer zu kastrieren vergessen hatte. Niemand hat so richtig Lust, es nachzuholen. „Forget it.“
Wie weiter? Hier klicken.
Gegen Mittag sind die Männer bedeckt mit Schweiß, Staub und Kuhdreck. Im großen Korral stehen 324 belämmerte Kälber, die sich langsam vom Schock erholen und aufs Blöken besinnen. Aber oben, am anderen Ende des Korridors, werden immer neue herangefahren. Es dauert bis zum nächsten Mittag, bis die über tausend Tiere verarztet sind.
Der Arbeitstag eines Cowboys dauert 12 bis 14 Stunden. In der Branding Season (wenn die Kälber auf offener Weidegebrannt werden) und in der Calving Season (wenn die Kälber geboren werden) dauert er oft 20 Stunden. Ein Cowboy verdient 400 bis 600 Dollar im Monat. Plus Fleisch und Unterkunft. (Ein Foreman vielleicht 700 bis 800 Dollar.) Bis ein Cowboy ein vollwertiger Cowboy, a good hand, wird, ist er dreißig. Ein Sattel kostet 600 Dollar, Stiefel kosten mindestens 100, Sporen 50, Chaps 100, ein guter Regenschutz 60, das Zaumzeug 150, lederne Satteltaschen 80, den Hut gibt es ab 10. Allein bis ein Cowboy auf dem Pferd sitzt, hat er weit über 1.000 Dollar ausgegeben. Nur das Pferd stellt die Ranch.
Die meisten Ranches haben lieber verheiratete Männer als ledige, weil die sesshafter sind. Aber es ist nicht ganz einfach, eine Braut zu finden für einen, der auf einer abgelegenen Ranch wohnt, kaum zu Hause ist, 400 Dollar verdient und den Hut zu keiner Gelegenheit abnimmt. Trotzdem gibt es in Amerika etwa 20.000 Männer, die sich kein anderes Leben vorstellen können.
„Ya gotta kind o’ like it to do it“ (Du solltest es ein bisschen mögen, um es zu tun), sagen sie. You bet.
Aber ich treffe auch Cowboys, die ausgestiegen sind.
Archie Carrico ist einer. Er kam als Cowboy auf die Little Horn und ist jetzt Farm Foreman und kümmert sich um den Anbau von Futtergetreide, um das Heu, um die Bewässerung und um die Leute und Maschinen, die es dazu braucht.
Archie genügte das Geld, das er als Cowboy verdiente, nicht. Und die Aufstiegsmöglichkeiten als Cowboy findet er auch nicht sehr verlockend. „Um Cowboy zu werden, musst du nur schlauer sein als eine Kuh.“ („smarter than a cow“)
Mit Ray Hammond, dem Cowboy Foreman, von dem ich noch erzählen muss, rede ich über die Zukunft der Cowboys. Ich frage ihn, was er davon hält, dass auf einigen Ranches zum Roundup Motorräder und Helikopter eingesetzt werden. Ray glaubt nicht, dass den Cowboys von dieser Seite Gefahr droht. Er glaubt eher, dass die Cowboys keine Zukunft haben, weil sich die Fleischproduktion eines Tages auf riesigen Mastfarmen abspielen wird. Er hofft, dass keiner seiner Söhne Cowboy wird. Aber Farmer werden und auf einem Traktor Kreise fahren, bis sie blöd werden, sollen sie auch nicht.
An einem Morgen, so früh, dass die Köchin noch schläft, fahre ich mit Ray zu Barbers Place, einer riesigen Weide, die zur Ranch gehört. Wir fahren in einem Pickup, der einen Trailer mit zwei Pferden zieht. Auf der Laderampe balanciert Rays kleiner Hütehund, und Ray fährt vorsichtig, damit dieser nicht herunterfällt. Die Nacht ist schwarz, und wir wärmen während der Fahrt unsere leeren Mägen mit schwärzerem Kaffee aus der Thermosflasche.
In Wyola steigt ein neuer Cowboy zu. Larry, der Zureiter.
Die Leute bringen ihm nicht genügend Pferde zum Brechen und Zureiten, darum hat er einen Job auf der Ranch angenommen. In guten Zeiten arbeitet er mit zehn Pferden und bekommt für jedes fünf Dollar am Tag plus Futter. Erbraucht etwa sechs Wochen, bis sie zugeritten sind. Ein Pferd, das von ihm zugeritten ist, weiß gar nicht, was bocken ist, weil Larrys Methode so ist, dass es gar nicht auf die Idee kommen kann, zu bocken.
Wenn man Larry anschaut, muss man ihm das glauben. Nicht nur, weil er einen hohen Hut trägt wie Hoss Cartwright.
Wir fahren lange auf der Highway 87. Früher wäre das ein Tagesritt gewesen.
Ray Hammond, der das Gesicht und nicht nur das Gesicht von Huckleberry Finn hat, erzählt seine Geschichten:
Vor ein paar Jahren, als er ein Pferd beschlug, hat ihm ein Eisensplitter das Auge verletzt. Obwohl er nach Denver ins Spital geflogen wurde, verlor er das Auge. „Aber auch mit einem Auge habe ich gesehen, dass es in Denver Männer gibt, die keinen Hut tragen. Da habe ich Tennisschuhe gekauft und meinen Hut an die Wand gehängt, und keiner hat mehr in mir einen Cowboy vermutet.“
Und die Anekdote von Susi, Pistols Freundin (erinnern Sie sich an Susi und Pistol?): „Vor ein paar Jahren waren doch diese durchsichtigen Blusen Mode. An einem Abend kommt doch Susi tatsächlich mit so einem Ding in die Bar in Parkman. Der alte Benny lässt sie keinen Augenblick aus den Augen, bis sie die Nerven verliert und fragt: „Was zur Hölle starrst du hier ständig an?“ Darauf der alte Benny: „Nicht viel, Ma’am, nicht viel.“
Der Morgen beginnt zu dämmern, und links und rechts von der Straße steigt der Nebel auf. Ray sagt noch ein paarmal: „Not much, Ma’am, not much, schüttelt den Kopf und lacht so, dass Larry und ich mitlachen müssen.
Vor dem Pferde-Korral von Barbers Place stehen die Cowboys bereit. Bevor wir losreiten, gibt Ray einem kranken Zugpferd, das mit Koliken im Korral steht, eine Spritze. Es hat Unkraut gefressen. Das andere Zugpferd ist am Vorabend daran zugrunde gegangen.
Die Hügel, auf die wir zureiten, tragen einen purpurroten Heiligenschein. Ray teilt uns in zwei Gruppen auf. Ich bin bei Neil, Larry und Roger, dem Cowboy von Barbers Place. Es geht steil bergauf zum höchsten Gipfel der Hügelkette.
Quarter Horses sind etwas anderes als unsere europäischen Freizeit‑, Sport- und Hobbypferde. Ein Quarter Horse hat seine Arbeit zu leisten. Und die gefälligst gut. Eine Ranch wie die Little Horn besitzt mindestens 50 Sattelpferde und eine Anzahl Stuten und Hengste für den Nachwuchs. Die erfahrenen Cowboys reiten ihre Pferde selber zu. Für die jüngeren besorgt das Ron Thomson. Er arbeitet mit ihnen, bis sie green broke sind, das heißt, bis sie gewöhnt sind, einen Reiter zu tragen und ihm einigermaßen zu gehorchen. Die Feinarbeit muss dann der Cowboy selber machen. Und niemand verlangt, dass er dabei zimperlich ist mit Peitsche und Sporen, solange er sich an das Gesetz jeder Ranch hält: „Zwischen Schulter und Hüfte gehört das Pferd dem Cowboy. Der Rest gehört der Ranch.“
Um ein Quarter Horse zu lenken, zieht man nicht, wie bei uns, am Zügel auf der entsprechenden Seite. Man hält die Zügel nur in einer Hand und steuert wie mit dem Ruder eines Segelbootes. Die andere Hand braucht man zum Arbeiten. Ich habe sie auch ab und zu zum Festhalten gebraucht. (Der schwere, breite, bequeme Westernsattel hat vorne einenmächtigen Knauf, der sich, außer für das Lasso, auch dafür eignet). Ein gutes Quarter Horse reagiert auf jede Bewegung. Auch auf jede falsche.
Die Steigbügel eines Westernsattels hängen so tief, dass man den Galopp aussitzen muss. Wenn man im Trab nicht jeden Schlag mit dem Kreuz abfangen will, kann man in die Bügel stehen und sich so eine halbe Handbreite aus dem Sattel heben.
Ein Quarter Horse hat Fesseln aus Stahl und würde bergauf und bergab galoppieren, wenn man es ließe. Es hat, wenn es zur Rancharbeit abgerichtet ist, einen Wendekreis von nur etwa zwei Metern im Galopp. Und es ist von 40 auf null in null Sekunden.
Oben auf dem Grat trennen wir uns. Jedem ist ein Hügel zugewiesen, den er hinunterreiten muss, um das Vieh, das ihm begegnet, zur Wasserstelle in der Talsohle zu treiben.
Ich reite durch eine Landschaft, die jeder vom Kino kennt: Blaues Firmament, Gras, so hart und dürr, dass man sich wundert, wie es eine Kuh ernähren kann, hier und dort die gebleichten Knochen eines Rindviehs, das einer Krankheit, den Coyoten, dem Winter oder dem Nylon-Fieber zum Opfer gefallen ist. (Das Nylon-Fieber wird durch das Lasso übertragen und zwar nur dann, wenn die Schlinge so fällt und zugezogen wird, dass sie das Tier stranguliert.)
Meine Hügelflanke fällt zu beiden Seiten steil ab in einen kleinen Creek, der dicht mit Unterholz bewachsen ist. Ich begegne sechs Bullen und erfahre, dass es nicht ganz einfach ist, cleverer zu sein als eine Kuh. Aber Billy, mein Pferd, ist cleverer als eine Kuh, und es gelingt uns beiden, vollzählig am Wasserloch anzukommen.
Eine Zeitlang ist es ganz still. Dann hört man aus der Ferne das dumpfe Trommeln von Hufen. Und plötzlich ist Leben überall. Von allen Seiten kommt das Vieh die Abhänge herunter und aus dem Unterholz heraus und wächst zu einer eindrücklichen Herde, die langsam gegen Westen zieht.
An der Spitze reiten zwei Cowboys. Andere passen an den Flanken auf. Der Rest macht den Schluss. Sie lassen ständig ihre Lassos kreisen und verpassen jedem Ausbrecher mit dem Lassoknoten blitzschnell einen Denkzettel.
Hufgetrampel, Muhen, dichtgedrängte Rinderleiber, weit sichtbare Staubfahne, hehehehehehe und yepeeeeeeeee.
Wir treiben die Herde in eine Falle. So nennt man die Umzäunung am Ausgang einer großen Weide. Dort drängen die Reiter die Rinder gegen den Zaun und lassen sie paarweise entkommen, damit Ray sie zählen kann. Für jedes Hundert malt er einen Strich auf den Handrücken. Am Schluss sind es sieben Striche und die Zahl 56. Es fehlen 64 Stück, die Ranch will 820 auf der Winterweide haben. Bevor wir uns auf die Suche machen, gehen wir zum Camp zurück. Barbara hat Lunch gekocht.
Beim Essen sagt keiner viel. Nach dem Essen sagt jeder etwas: „Der junge Tierarzt in Sheridan ist gut. Ich habe einen Hengst, der alle Sehnen der linken Vorderhand zerschnitten hatte. 134 Dollar hat die Operation gekostet. Heute ist er wieder der schnellste gottverdammte Hurensohn, den ich kenne.“
„Mein australischer Schäfer fiel vom Pickup und brach sich die Schulter. Du konntest das rechte Bein auf die linke Seite hinüberlegen. Ich bestand auf einer Operation. Die ganze Nacht ist er in meinen Armen gelegen. Und heute? Kennst Du einen besseren gottverdammten Hund?“
„Hast Du Brandy, den 14-Jährigen auf der Main Ranch schon einmal geritten? Für den würde ich mein linkes Ei geben.“
„Ich freue mich auf die Branding Season. Dann kann man wieder Rocky Mountain Oysters essen.“ (Rocky Mountain Austern sind die Jungstierhoden. Die Cowboys grillen sie an der Glut, in der sie die Brenneisen heizen. Soll eine Delikatesse sein.)
Nach dem Essen machen wir uns in drei Gruppen auf die Suche nach den 64 Rindern. Ich bin bei Larry, dem Zureiter, und Joe, dem freundlichen jungen Mann, der den Sommer alleine auf einem Camp verbracht hat und jetzt heiraten will.
Wir reiten an einem langen Creek entlang und treiben unsere Pferde manchmal ins Dickicht, um Vieh aufzustöbern, das dort Schatten sucht. Mein Gesicht und meine Arme sind bald zerkratzt, weil ich mir nicht anmaße, ein langärmeliges Cowboyhemd und einen soliden Filzhut zu tragen.
Auf einer Weide der Good Luck Ranch finden wir endlich vier Bullen, die der Little Horn Ranch gehören. Wir schneiden sie von der kleinen Herde ab. Sie sind widerspenstig, starrsinnig und flink. Es ist ein Stück Arbeit, sie zur großen Herde zurückzutreiben.
Einmal sagt Joe: „Cowboys sind dumm und arm. Darum haben sie wenigstens dieses gute Leben verdient.“
Nach der Zählung der Herde sind zwanzig Stück zu viel. Ray zeigt, welche er von der Herde getrennt haben möchte.
Es ist ein gutes Gefühl, wenn es einem das erste Mal gelingt, ein einzelnes Rind von einer Herde von über 800 zu trennen.Und wenn man den Cowboys zuschaut, muss man annehmen, dass es auch beim tausendsten Mal noch ein gutes Gefühl ist.
Neil und Virgil fangen einen Bullen ein, der zu einer anderen Ranch gehört. Virgil ist ein grobschlächtiger Bursche, der gut mit dem Lasso umgehen kann. Aber er ist ein Pferdeschinder, zu dem einige Cowboys fast die gleiche Distanz wahren wie die Pferde. Einer hat mir gesagt: „Wer so mit Pferden umgeht, hat Angst vor Pferden.“
Auf der Ranch ist das Abendessen längst gegessen, und Ray lädt mich zu sich ein.
Er wohnt in einem modernen Bungalow mit großen Fenstern, ein paar Meilen von der Hauptranch entfernt. Er hat eine hübsche Frau, die Diana heißt und Gedichte schreibt. Er hat drei süße Kinder in Pyjamas, sie sagen artig gute Nacht. Er hat einen fahrigen Dobermann, der hinausgejagt wird, „weil er sich am Nachmittag mit einem Skunk eingelassen hat“.
Fast wähne ich mich in einer durchschnittlichen amerikanischen middle class Familie, würde Diana nicht erzählen, wie ihr Ray kürzlich aus Jux mit seiner Magnum die Zigarette aus dem Mund geschossen hat.
Ich habe noch ein paar Dinge erlebt im Wilden Westen, den es nicht mehr gibt. Ich war auf Flat Iron, einer Weide, die 280 Quadratkilometer groß ist. Ich traf einen einarmigen Barkeeper, der jeden im Billard schlägt. Ich fuhr im alten Pickup eines besoffenen Cowboys zickzack über den nächtlichen Highway, während neben mir ein Pueblo-Indianer und eine Crow-Squaw, die ihren Mann zum Krüppel geschossen hatte, indianische Totentänze sangen. Ich sah die sechzig Stuten und Fohlen der Pitchfork Ranch in Texas auf mich zugaloppieren.
Ich erlebte, wie widerwillig zehn texanische Cowboys die Sporen auszogen, als sie ein Windrad bauen mussten. Ich wurde Zeuge eines Verhörs, das ein alter Texas-Rancher anstellte, der zwar keinen Pferde- aber immerhin einen Autodieb suchte. Ich sah zu, wie Jimmy Drennen, Benny Butler, Jeff Skipp, Frank Lindley und Larry McHorter im Korral der Pitchfork Pferde einfingen und ihnen die Hufe trimmten. Ich aß Baked Beans mit Speck, Nudeln mit Gehacktem, gebratene Auberginen, eingemachte Birnen mit Quark und Käsestreifen, Bananenpudding mit Biscuits im Cookhouse auf einer der ältesten Ranches in den USA.
Aber soll ich es wirklich noch haarklein beschreiben, wenn Sie es sich doch bei Bonanza und Am Fuss der blauen Berge anschauen können.
Ihr habt ja recht, ihr, die ihr sagt, es gebe keine Cowboys mehr: Die Cowboys sind eine Legende.
Und – you bet – jeder von den 20.000 Cowboys, die es gibt, weiß das auch.