Smarter than a Cow

Für die, die sa­gen, es ge­be kei­ne Cow­boys mehr

Geo Re­por­ter kann ein ein­sa­mer Job sein. Hier por­trä­tiert Mar­tin Su­ter im Jahr 1976 in ei­nem Ho­tel­zim­mer in Den­ver, Co­lo­ra­do sei­nen ein­zi­gen Rei­se­be­glei­ter Mar­tin Suter 

Vor 42 Jah­ren reis­te Mar­tin Su­ter im Auf­trag des neu ge­grün­de­ten GEO nach Mon­ta­na und Wyo­ming, um ei­ne Re­por­ta­ge über die Cow­boys zu schrei­ben. Da­vor nahm er ein paar Mo­na­te Reit­un­ter­richt. Hier das leicht  ge­kürz­te, von der Re­dak­ti­on nicht re­di­gier­te Ori­gi­nal Ma­nu­skript. Et­was wie ein Director’s Cut.

Zwi­schen Che­yenne und Cas­per lö­sen sich die Ge­wit­ter­wol­ken auf, weil sie die Big Horn Moun­ta­ins un­gern ver­ber­gen. Die Big Horn Moun­ta­ins tra­gen näm­lich ih­re ers­ten Schnee­fle­cken von ges­tern Abend, und die Son­ne legt mit ame­ri­ka­ni­scher Groß­zü­gig­keit Rouge auf.

Wir flie­gen still die Ber­ge ent­lang. Die Schat­ten wer­den lang­sam dun­kel­blau, und als sie un­ser Flug­zeug er­rei­chen, knipst die Frau ne­ben mir das Le­se­licht an. Sie spielt mit ih­rer klei­nen Toch­ter ein Wür­fel­spiel, das Way to Beth­le­hem heißt. Drei Fel­der vor zur Berg­pre­digt. Zu­rück nach Na­za­reth, zwei­mal mit Wür­feln aussetzen.

Wir lan­den am Fuß der blau­en Ber­ge, in Sher­i­dan, Wyo­ming. Na­tür­lich ist Voll­mond. Und na­tür­lich ist er grö­ßer und blei­cher als bei uns. Aber das Flug­ha­fen­ge­bäu­de ist klein und fa­mi­li­är wie bei uns ein Pro­vinz­bahn­hof. Sher­i­dan ist ei­ne Vieh­stadt mit 12.000 Ein­woh­nern. Die zwei oder drei Quer­stra­ßen än­dern nichts dar­an, dass Sher­i­dan nur aus ei­ner Stra­ße be­steht. An die­ser Stra­ße lie­gen die Bars, die Mo­tels, die bei­den Ban­ken, die drei Satt­le­rei­en, der Drugs­to­re, die Tank­stel­len, die bei­den Ki­nos und die paar Ge­schäf­te, die ei­ne Stadt wie Sher­i­dan zum Le­ben braucht.

Sher­i­dan, Wyo­ming, ist ei­ne gu­te Stadt für ei­nen, der wis­sen will, ob die recht ha­ben, die sa­gen, es ge­be kei­ne Cow­boys mehr.

Das Mäd­chen vom Steak House lacht mich aus, als ich et­was über Cow­boys er­fah­ren will: „Cow­boys sind dumm, wild, un­ge­ho­belt und neh­men zu kei­ner Ge­le­gen­heit den Hut ab.“ Aber wenn ich Cow­boys tref­fen wol­le, soll ich ins Torch Light gehen.

Das Torch Light ist ei­ne Ba­ra­cke et­was ab­seits der Stra­ße. Beim Ein­gang leuch­tet groß und mon­dän der Schrift­zug, flan­kiert von zwei auf­ge­regt fla­ckern­den Ne­on­fa­ckeln. Drin­nen spielt ei­ne Band Coun­try Mu­sic. In den Rauch­schwa­den vor der Büh­ne wird ge­tanzt, als ob es das letz­te Mal wä­re, dass ei­ne Band Coun­try Mu­sic spielt.

Wort­karg und mit ei­nem Jim Beam knüp­fe ich ein Ge­spräch an, das meh­re­re Jim Beams dau­ert und sich nur um sei­ne Ar­beit dreht. Sei­ne Ar­beit als Han­dels­rei­sen­der in Sport­ar­ti­keln, Mon­ta­na und nörd­li­ches Wyoming. 

Das Torch Light ist kein gu­ter 0rt für ei­nen, der her­aus­fin­den will, ob die recht ha­ben, die sa­gen, es ge­be kei­ne Cow­boys mehr.

Die Mint Bar: Aus­ge­klei­det mit la­ckier­ten ein­hei­mi­schen Höl­zern, über­sät von Brand­zei­chen. An den Wän­den hän­gen Fo­tos von Ro­de­os und si­gnier­te Por­träts von Rodeostars.

Zwi­schen Bä­ren­fal­len, Spo­ren und Zaum­zeug schau­en El­che, Po­lar­füch­se, Berg­scha­fe, Berg­zie­gen und Fi­sche gla­sig­her­un­ter, die The­ke ist gut zehn Me­ter lang. Sie­ben Cow­boys sit­zen dar­an. Der ne­ben mir heißt Har­ry Hampton.

Har­ry Hamp­ton sieht aus, als hät­te er et­wa 50 Jah­re ge­lebt. Wie alt er ist, weiß ich nicht. Sein Ge­sicht ist glatt­ra­siert und straff, nur an den Mund­win­keln hat es Beck’s Beer ein we­nig ent­spannt. Har­ry er­zählt, dass er vor zwei Wo­chen mit sei­nem Fo­re­man Streit be­kom­men hat und da­von­ge­lau­fen ist und seit­her kei­nen nüch­ter­nen Au­gen­blick hatte.

Har­ry er­zählt, dass er oben in den Ber­gen ei­ne Braun­bä­rin mit blo­ßen Hän­den und ei­nem Mes­ser er­legt hat. Har­ry steht vom Ho­cker auf und macht ge­nau vor, wie er mit ihr ge­run­gen hat, wie er das Mes­ser ge­hal­ten hat, wie er es ihr in den Pelz ge­rammt hat, wie er es um­ge­dreht hat, und was die Bä­rin da­zu für ein blö­des Ge­sicht ge­macht hat.

Har­ry er­zählt, wie er mit sech­zehn den ers­ten Hu­ren­sohn um­ge­legt hat. Er zieht blitz­schnell ei­ne un­sicht­ba­re Ma­gnum und feu­ert. Peng. Mit­ten ins Herz. Das war der ers­te. Sech­zehn wei­te­re solll­ten noch auf der Stre­cke blei­ben. „I’m not bull­shit­ting you, du stehst vor dem Mann, der den She­riff von Long Beach, Ca­li­for­nia, und des­sen Sohn im Du­ell um­ge­legt hat.“

Ich bin der ein­zi­ge, der Har­ry zu­hört. Die an­de­ren, es sind in­zwi­schen mehr ge­wor­den, ste­hen in Grüpp­chen an der Bar, rau­chen, trin­ken und un­ter­hal­ten sich über Din­ge, die mich in­ter­es­sie­ren wür­den. Zwi­schen den Fla­schen hän­gen Oh­ren­klap­pen, die man für ei­nen Dol­lar kau­fen kann. Sie hei­ßen Bull­shit Guards, Quatsch-Schüt­zer. Ich ge­traue mich nicht, ein Paar zu kaufen.

Har­ry er­zählt noch, wie sei­ne Frau miss­braucht und er­sto­chen wur­de, wie ihm sein ein­zi­ges Kind ab­han­den kam und da­von, dass er nur noch vom Ge­dan­ken be­ses­sen ist, sich an sei­nem Tod­feind zu rächen

Der Rauch wird so dick, das Bier so flüs­sig, dass ich mir nichts An­ge­neh­me­res mehr vor­stel­len kann, als Har­ry Hamp­tons Ge­schich­ten zu hö­ren in der Mint Bar, Main Street, Sher­i­dan, Wyoming.

Ich ha­be in den Bars von Sher­i­dan noch vie­le Cow­boys ge­trof­fen. Und nicht al­le wa­ren Bar-Cow­boys. Ich ha­be zum Bei­spiel Por­ky ge­trof­fen, den ver­letz­ten Cow­boy, dem oben in den Ber­gen ein Pferd die Bla­se zer­tre­ten hat­te und der 23 Stun­den nicht ge­fun­den wur­de. Por­ky war glück­lich an je­nem Abend und sag­te nur, aber im­mer wie­der: „Ich bin so glück­lich, dass ich euch al­le heu­te Abend ge­trof­fen ha­be, ihr seid so net­te Leute.“

Ich ha­be den halb­blin­den Cow­boy ge­trof­fen, der be­haup­te­te, man müs­se die Stie­re be­schnei­den, wenn sie erst neun Ta­ge alt sei­en, dann sei nicht mehr da­bei, als den gott­ver­damm­ten Kron­kor­ken ei­ner gott­ver­damm­ten Fla­sche Coors abzuschnippen.

Ich ha­be den ge­trof­fen, der die Ge­schich­te er­zähl­te vom Ran­cher, der et­was mit der Frau ei­nes an­de­ren hat­te und der ei­nes Ta­ges sein 20.000 Dol­lar Pferd ver­blu­tet fand, weil der ge­hörn­te Ehe­mann zwei gro­ße Stü­cke dar­aus her­aus­ge­schnit­ten hat­te. An­statt zwei klei­ne Stü­cke aus dem Ehe­bre­cher herauszuschneiden.

Und ich ha­be Pis­tol getroffen.

Pis­tol heißt Pis­tol, weil sein Ro­deo­na­me an ihm hän­gen­ge­blie­ben ist. Er ist schwer zu be­schrei­ben, wenn man ihn nicht mit den Wor­ten be­schrei­ben will, mit de­nen man seit je­her Cow­boys be­schrie­ben hat. Wet­ter­ge­gerbt, le­der­häu­tig, ver­wit­tert, be­däch­tig, ver­schmitzt, wach­sam sind näm­lich nicht die schlech­tes­ten Ei­gen­schafts­wör­ter, die ei­ner ver­wen­den kann, der Pis­tol ken­nen­ge­lernt hat.

Ich be­su­che Pis­tol in sei­nem Block­haus. Er schläft, aber Su­si, sei­ne Freun­din, ist hell­wach. Und rot­haa­rig und som­mer­spros­sig. Sie er­zählt von Pfer­den, Schwan­ger­schafts­tests und Ab­trei­bun­gen. Und wenn sie lacht, schwin­gen die Glas­ma­le­rei­en ih­rer Schwes­ter am Fenster.

Pis­tol steht auf, schlaf­trun­ken und zu­frie­den, und er­zählt sei­ne Ge­schich­ten. Er er­zählt von sei­nem Freund. Des­sen Bein sich im Las­so ver­fan­gen hat. (Das an­de­re En­de war am Sat­tel­knauf sei­nes Pfer­des be­fes­tigt, das Pferd scheu­te und brann­te durch und riss dem ar­men Teu­fel das Bein un­ter dem Knie weg. Der kann aber auch auf ei­nem Bein acht Stun­den lang Käl­ber bren­nen. Der könn­te in ei­nem Satz von die­ser Wand des Block­hau­ses zur an­de­ren sprin­gen. Und das sind sechs Meter.)

Pis­tol war 19 Jah­re lang Cow­boy Fo­re­man auf der Litt­le Horn Ranch. Er rät mir, dort­hin zu fah­ren, wenn ich Cow­boys bei der Ar­beit se­hen wol­le. Ich hät­te ger­ne noch ein we­nig mit Pis­tol ge­plau­dert. Aber der Ne­bel hat schon die Wäl­der ver­schlei­ert und strömt ei­lig den Hü­gel herunter.

Am nächs­ten Tag fah­re ich zur Litt­le Horn Ranch, im Re­ser­vat der Crow in Montana.

Die­ses und al­le an­de­ren Fo­tos hat­te Mar­tin Su­ter für
sei­ne per­sön­li­che Do­ku­men­ta­ti­on gemacht. 

Um die Ar­beit der Cow­boys zu ver­ste­hen, muss man ein biss­chen et­was von der Ar­beit ei­ner Ranch wis­sen: Auf ei­ner Ranch geht es dar­um, mit dem Land, das zur Ver­fü­gung steht, mög­lichst vie­le Käl­ber so weit zu brin­gen, dass man aus ih­nen mög­lichst viel gu­tes Fleisch und gu­tes Le­der ma­chen kann. Um al­so et­was über die Ar­beit ei­ner Ranch zu er­fah­ren, kann man eben­so­gut aus dem Le­ben ei­nes Kal­bes er­zäh­len: Das Schlimms­te, was ei­nem Kalb pas­sie­ren kann, ist, männ­li­chen Ge­schlechts zu sein, wenn es zur Welt kommt. Wenn es dann nicht ge­ra­de der Spross re­gis­trier­ter El­tern ist oder wenn es der Zu­fall nicht will, dass es der Brand­mar­kung ent­kommt und sich so gut ent­wi­ckelt, dass es ein Zucht­stier wer­den darf, wird es mit drei Mo­na­ten ge­brannt und ent­hornt und kas­triert und höchs­tens zwei Jah­re am Le­ben gelassen.

Es darf et­wa sechs bis acht Mo­na­te bei der Mut­ter blei­ben, auf un­über­schau­ba­ren Wei­den und im un­durch­dring­li­chen Di­ckicht der Creeks. Dann wird es von der Mut­ter ge­trennt, ent­wöhnt und, ver­se­hen mit den Sa­kra­men­ten der mo­der­nen Ve­te­ri­när­me­di­zin auf an­de­re un­über­schau­ba­re Wei­den und ins un­durch­dring­li­che Di­ckicht an­de­rer Creeks ent­las­sen. Dort soll es sich dick und saf­tig gra­sen. Wenn das Gras knapp wird, trei­ben es die Cow­boys dort­hin, wo es nicht knapp ist. Wenn die Schnee­de­cke hart wird, brin­gen ihm die Cow­boys Heu und Pro­te­in­wür­fel. Wenn es Läu­se hat, trei­ben es die Cow­boys durch ein Laus­bad. Wenn es krank wird und ein Cow­boy fin­det es auf ei­nem Kon­troll­ritt, wird es ge­sund­ge­pflegt. So lebt es, wenn es gut­geht, zwei Jah­re und wird lang­sam wild und men­schen­scheu. Bis plötz­lich, an ei­nem Herbst­tag, die Her­de, in der es lebt, von Cow­boys ein­ge­kreist und lang­sam, da­mit kei­ne teu­ren Pfun­de ver­lo­ren­ge­hen, zu den ei­ser­nen Ver­la­de­ram­pen und in die rie­si­gen Vieh­trans­por­ter ge­trie­ben wird. Dann ist es ver­kauft: Et­wa 900 Pfund schwer. Et­wa 250 bis 350 Dol­lar wert, je nach Marktlage.

In den Trans­por­tern, die auf zwei Stock­wer­ken et­wa 60 ent­horn­te Zwei­jäh­ri­ge fas­sen, wird es auf ei­ne Mast­farm­ge­fah­ren. Dort sind ihm noch 50 Ta­ge Völ­le­rei ge­gönnt: Es kann sau­fen, was die Keh­le hält und sich den Bauch bis zum Um­fal­len mit Mais voll­schla­gen, und es muss da­für kei­ne 30 Schrit­te gehen.

Mit et­wa 1400 Pfund Le­bend­ge­wicht hat es zum letz­ten Mal ein Le­bend­ge­wicht gehabt.

Das Bes­te, was ei­nem Kalb pas­sie­ren kann, ist, weib­lich zu sein und so at­trak­tiv, dass es spä­ter nicht das Schick­sal der männ­li­chen Kas­tra­ten tei­len muss. Dann wird es näm­lich nach zwei Jah­ren nicht ge­schlach­tet, son­dern in den pri­vi­le­gier­ten Kreis der Mut­ter­her­de auf­ge­nom­men. Dann wird es sich ei­nes Ta­ges an der Bie­gung ei­nes Creek, in der Küh­le ei­nes Was­ser­lochs oder im Schat­ten ei­ner Tal­soh­le ei­nem stram­men Bul­len ge­gen­über be­fin­den. Und wenn der Schwan­ger­schafts­test, den bald dar­auf die mo­der­nen Cow­boys an­stel­len, po­si­tiv aus­fällt, wird es ein Kälb­chen auf die Welt brin­gen, das ihm nach sechs bis acht Mo­na­ten, wenn es oh­ne­hin lang­sam läs­tig ist, weg­ge­nom­men wird, da­mit ei­ner neu­en Be­geg­nung mit ei­nem neu­en stram­men Bul­len nichts im We­ge steht.

Auf den meis­ten Ran­ches wird die Mut­ter­her­de noch nicht künst­lich be­fruch­tet, und ei­ne gu­te Mut­ter­kuh darf zehn Jah­re le­ben und acht Kälb­chen zur Welt brin­gen, bis sie zu Cor­ned Beef ver­ar­bei­tet wird.

Im­mer mehr klei­ne Ran­ches wer­den von gro­ßen Ge­sell­schaf­ten auf­ge­kauft, wel­che die Preis­schwan­kun­gen auf dem Fleisch­markt kalt­las­sen und für die ei­ne Ranch ei­ne ren­ta­ble In­ves­ti­ti­on ist, ob sie ren­tiert oder nicht.

Die Litt­le Horn Ranch ge­hört der Hunt Oil Com­pa­ny. Sie um­fasst 404 Qua­drat­ki­lo­me­ter Land. 260 da­von sind Pacht­land und ge­hö­ren den Crow-In­dia­nern. 12.000 Stück Vieh wei­den dar­auf. Sie hat durch­schnitt­lich 21 An­ge­stell­te, zehn da­von Cow­boys, in der Bran­ding Sai­son ei­ni­ge mehr.

Die Haupt­ranch liegt in ei­ner sanf­ten Mul­de an ei­nem klei­nen Fluss­lauf am Süd­ende des Wei­de­lan­des. Im Schat­ten al­ter Bäu­me grup­pie­ren sich wei­ße und brau­ne Holz­häu­ser zu ei­nem klei­nen Dorf. Gleich bei der Brü­cke steht das zwei­stö­cki­ge Haus des Ranch­ma­na­gers, Rich Tor­rens, und sei­ner ha­wai­ia­ni­schen Frau. Der Dorf­platz, so darf man es schon nen­nen, ist ein­ge­rahmt vom Cook­house (von des­sen Dach ei­ne Glo­cke um sechs Uhr mor­gens, um zwölf Uhr mit­tags und um sechs Uhr abends zum Es­sen läu­tet), vom Ranch Of­fice, vom wei­ßen Bun­ga­low, in dem der Cow­boy Jim Ge­or­ge und sei­ne Frau woh­nen und von ei­nem klei­nen Ge­rä­te­schup­pen, vor dem zwei Tank­säu­len stehen.

Geht man die Stra­ße wei­ter, vor­bei an Jims Bun­ga­low, kommt man zu ei­nem zwei­stö­cki­gen Block­haus. Das ist das Bunk­house, die Ge­mein­schafts­woh­nung der le­di­gen Cow­boys. Vor der Ve­ran­da steht ein Holz­bock, auf den ein­ge­bleich­ter Kuh­schä­del mon­tiert ist. Dar­an üben die Cow­boys manch­mal mit dem Las­so. Rechts vom Bunk­house sind die Pfer­de­stäl­le. Links vom Bunk­house sind die sechs Last­wa­gen der Ranch ge­parkt. Ge­gen­über glän­zen acht ge­füll­te Korn­si­los aus Well­blech in der Son­ne. Dann en­det die klei­ne Stra­ße, weil sich ihr ei­ne rie­si­ge Werk­statt in den Weg stellt, in der auch das größ­te Fahr­zeug, das ich mir vor­stel­len kann, Platz findet.

Am öst­li­chen En­de der Haupt­ranch lie­gen noch der Bun­ga­low des Farm Fo­re­man Ar­chie Gar­ri­co und das zwei­stö­cki­ge, fast ko­lo­nia­le Gäs­te­haus. Un­ter mäch­ti­gen Tan­nen und in der Ab­ge­schie­den­heit ei­nes fast eng­li­schen Rasens.

Mar­tin Su­ter durf­te im Gäs­te­haus woh­nen. Da­vor steht sein Mo­tor­rad. Er hat­te es ge­kauft, weil er kein Au­to mie­ten konn­te. Er wuss­te nicht, dass man in den USA oh­ne Kre­dit­kar­te kein Au­to mie­ten konn­te und die Ho­tel­zim­mer vor­aus­be­zah­len muss­te.

Die Litt­le Horn Ranch ist ein gu­ter Platz für ei­nen, der her­aus­fin­den will, ob die recht ha­ben, die sa­gen, es ge­be kei­ne Cow­boys mehr.

Wenn Clai­re, die Kö­chin, mor­gens um sechs die Glo­cke läu­tet, be­deu­tet das nicht: „Das Früh­stück ist fer­tig.“ Das be­deu­tet: „Du bist zu spät zum Früh­stück.“ Wer nicht zu spät sein will, muss vor sechs auf dem Le­der­so­fa im Cook­house sit­zen und auf das Start­zei­chen war­ten. Das ist nicht schlimm, denn es riecht nach fri­schem Kaffee.

Zum Früh­stück gibt es: ge­bra­te­nen Speck, Spie­gel­eier, Pfann­ku­chen mit Si­rup, Brot, But­ter, Mar­me­la­de, Milch. Und die­sen star­ken, schwar­zen Kaffee.

Im Sep­tem­ber ist es nach dem Früh­stück noch dun­kel. Nur am Ho­ri­zont glüht ein ro­ter Strei­fen, dort, wo die Son­ne auf­ge­hen will.

Rich Tor­rens, um die Vier­zig, stäm­mig, mor­gen fröh­lich, Nicht­rau­cher, Nicht­trin­ker, Ranch­ma­na­ger, gibt sei­ne An­wei­sun­gen in der Art ei­nes Man­nes, der von nie­man­dem et­was ver­langt, was er nicht sel­ber könnte.

Wir fah­ren in Pick­ups zu ei­nem gro­ßen Kor­ral, in dem ein paar hun­dert Käl­ber blö­ken, die ges­tern von ih­ren Müt­tern ge­trennt wor­den sind. Sie ste­hen rat­los in ei­nem gro­ßen Ge­he­ge, und nur die treu­lo­ses­ten un­ter ih­nen sau­fen am Bach un­ten das un­ge­wohn­te Was­ser und fres­sen von den Kör­nern, die man ih­nen zur Ab­len­kung be­reit­ge­stellt hat. Die Käl­ber sind noch nicht sehr ab­ge­feimt, und so ha­ben Jim Ge­or­ge und Neil Gup­t­on kei­ne Schwie­rig­kei­ten, mit ih­ren Pfer­den in das Ge­he­ge zu rei­ten und die Her­de in ei­nen klei­ne­ren Pferch zu treiben.

Jim Ge­or­ge ist ein lan­ger, schlak­si­ger, blon­der jun­ger Mann, der es sich leis­ten kann zu be­haup­ten, er kön­ne nicht mit Pfer­den um­ge­hen. Wenn er die Käl­ber vor­wärts­treibt, schwingt er sei­ne lan­ge Peit­sche und sagt ru­hig und er­mun­ternd: „C’­mon Ba­bies.“ Oder ga­lant: „Vor­wärts, vor­wärts, gro­ße schö­ne Kuh.“

Neil Gup­t­on ist der jüngs­te Cow­boy der Ranch. Er ist erst 21, aber er ist Cow­boy, seit er sich er­in­nern kann. Sein Va­ter ist Cow­boy, und sei­ne Brü­der sind Cow­boys. Auf­ge­wach­sen ist er auf der Padd­lock Ranch, et­wa 30 Mei­len süd­lich der Litt­le Horn.

Neil trägt ei­nen fla­chen, ab­ge­wetz­ten Hut, den man Plains­man nennt, weil ihn die Män­ner der win­di­gen Ebe­nen tragen.

Über den Jeans trägt er le­der­ne, wei­te Chaps, die nur bis zum Knie rei­chen, und die man Bat­wings, Fle­der­maus­flü­gel, nennt. (Chaps schüt­zen die Bei­ne der Cow­boys vor Käl­te, Dor­nen und der Rei­bungs­hit­ze des Las­sos, das beim Ro­ping oft den Schen­kel des Rei­ters ein­klemmt. Shot­guns sind Chaps, die bis zu den Ab­sät­zen rei­chen. Wool­lies sind Chaps, de­ren Au­ßen­sei­te aus Wol­le oder Fell ist.)

Neils Stie­fel sind spek­ta­ku­lär. Die Schäf­te sind blut­rot und rei­chen bis an die Knie­keh­le. Die Fuß­tei­le sind ra­ben­schwarz. Die­se Stie­fel sind maß­ge­schus­tert und ha­ben 150 Dol­lar ge­kos­tet. Auch die zi­se­lier­ten sil­ber­nen Aus­gangs­spo­ren sind ih­re 100 Dol­lar wert. Neil ver­dient nicht mehr als 400 Dol­lar im Monat.

Jim treibt die Käl­ber in ei­nen Kor­ri­dor, et­wa 30 Stück aufs Mal, Neil beugt sich über die Brüs­tung und hilft ab und zu mit ei­nem Stab nach, der elek­tri­sche Schlä­ge aus­teilt, manch­mal auch ihm selber.

Der Kor­ri­dor wird im­mer en­ger und en­det in ei­nem Ei­sen­kä­fig, den man zu­klap­pen kann wie ein Buch, bis sich das Kalb nicht mehr rüh­ren kann. Dort ste­hen Ron Thom­son, Chet Bur­ton und Roy Vi­z­za und imp­fen Kalb für Kalb ge­gen Red­no­se, Black­foot und Krank­hei­ten, de­ren Na­men ich nicht ver­stan­den ha­be. Sie sprit­zen auch ein Ent­wur­mungs­mit­tel und über­gie­ßen das Tier mit ei­nem Insektizid.

Manch­mal ist ein Kalb dar­un­ter, das im Som­mer dem Brenn­ei­sen ent­gan­gen ist. Es wird von den drei Män­nern zu Bo­den­ge­run­gen, an der Flan­ke ra­siert und ge­brannt. Es riecht nach ge­grill­tem Steak.

Manch­mal sprie­ßen ei­nem Kalb Hör­ner. Aber Hör­ner sind ein Pri­vi­leg der Zucht­stie­re und der re­gis­trier­ten Mut­ter­kü­he. Ge­wöhn­li­ches Rind­vieh darf kei­ne Hör­ner tra­gen. Hör­ner neh­men zu viel Platz weg in den Transportern.

„Die kön­nen wir dir nicht las­sen, Ba­by“, sagt dann Chet Bur­ton (trau­rig, ich schwö­re) und sägt sie ab. Fa­den­dün­ne Blut­fon­tä­nen sprit­zen aus den Wun­den, bis sie mit ei­nem vio­let­ten Des­in­fek­ti­ons­mit­tel zu­ge­sprayt wer­den. Auch zwei klei­ne Stie­re sind dar­un­ter, die man im Som­mer zu kas­trie­ren ver­ges­sen hat­te. Nie­mand hat so rich­tig Lust, es nach­zu­ho­len. „For­get it.“

Nein, nein! Wo den­ken Sie hin. Das ist na­tür­lich nicht das ver­miss­te Me­dail­lon des Ju­we­liers Chris­to­phe Gra­ber, Das ist Cow­boy Tand.
Wie wei­ter? Hier kli­cken.

Ge­gen Mit­tag sind die Män­ner be­deckt mit Schweiß, Staub und Kuh­dreck. Im gro­ßen Kor­ral ste­hen 324 be­läm­mer­te Käl­ber, die sich lang­sam vom Schock er­ho­len und aufs Blö­ken be­sin­nen. Aber oben, am an­de­ren En­de des Kor­ri­dors, wer­den im­mer neue her­an­ge­fah­ren. Es dau­ert bis zum nächs­ten Mit­tag, bis die über tau­send Tie­re ver­arz­tet sind.

Der Ar­beits­tag ei­nes Cow­boys dau­ert 12 bis 14 Stun­den. In der Bran­ding Sea­son (wenn die Käl­ber auf of­fe­ner Wei­de­ge­brannt wer­den) und in der Cal­ving Sea­son (wenn die Käl­ber ge­bo­ren wer­den) dau­ert er oft 20 Stun­den. Ein Cow­boy ver­dient 400 bis 600 Dol­lar im Mo­nat. Plus Fleisch und Un­ter­kunft. (Ein Fo­re­man viel­leicht 700 bis 800 Dol­lar.) Bis ein Cow­boy ein voll­wer­ti­ger Cow­boy, a good hand, wird, ist er drei­ßig. Ein Sat­tel kos­tet 600 Dol­lar, Stie­fel kos­ten min­des­tens 100, Spo­ren 50, Chaps 100, ein gu­ter Re­gen­schutz 60, das Zaum­zeug 150, le­der­ne Sat­tel­ta­schen 80, den Hut gibt es ab 10. Al­lein bis ein Cow­boy auf dem Pferd sitzt, hat er weit über 1.000 Dol­lar aus­ge­ge­ben. Nur das Pferd stellt die Ranch.

Kein Blut. Der Film ist ein­fach et­was feucht ge­wor­den.
 

Die meis­ten Ran­ches ha­ben lie­ber ver­hei­ra­te­te Män­ner als le­di­ge, weil die sess­haf­ter sind. Aber es ist nicht ganz ein­fach, ei­ne Braut zu fin­den für ei­nen, der auf ei­ner ab­ge­le­ge­nen Ranch wohnt, kaum zu Hau­se ist, 400 Dol­lar ver­dient und den Hut zu kei­ner Ge­le­gen­heit ab­nimmt. Trotz­dem gibt es in Ame­ri­ka et­wa 20.000 Män­ner, die sich kein an­de­res Le­ben vor­stel­len können.

„Ya got­ta kind o’ li­ke it to do it“ (Du soll­test es ein biss­chen mö­gen, um es zu tun), sa­gen sie. You bet.

Aber ich tref­fe auch Cow­boys, die aus­ge­stie­gen sind.

Ar­chie Car­ri­co ist ei­ner. Er kam als Cow­boy auf die Litt­le Horn und ist jetzt Farm Fo­re­man und küm­mert sich um den An­bau von Fut­ter­ge­trei­de, um das Heu, um die Be­wäs­se­rung und um die Leu­te und Ma­schi­nen, die es da­zu braucht.

Ar­chie ge­nüg­te das Geld, das er als Cow­boy ver­dien­te, nicht. Und die Auf­stiegs­mög­lich­kei­ten als Cow­boy fin­det er auch nicht sehr ver­lo­ckend. „Um Cow­boy zu wer­den, musst du nur schlau­er sein als ei­ne Kuh.“ („smar­ter than a cow“)

Mit Ray Ham­mond, dem Cow­boy Fo­re­man, von dem ich noch er­zäh­len muss, re­de ich über die Zu­kunft der Cow­boys. Ich fra­ge ihn, was er da­von hält, dass auf ei­ni­gen Ran­ches zum Roun­dup Mo­tor­rä­der und He­li­ko­pter ein­ge­setzt wer­den. Ray glaubt nicht, dass den Cow­boys von die­ser Sei­te Ge­fahr droht. Er glaubt eher, dass die Cow­boys kei­ne Zu­kunft ha­ben, weil sich die Fleisch­pro­duk­ti­on ei­nes Ta­ges auf rie­si­gen Mast­far­men ab­spie­len wird. Er hofft, dass kei­ner sei­ner Söh­ne Cow­boy wird. Aber Far­mer wer­den und auf ei­nem Trak­tor Krei­se fah­ren, bis sie blöd wer­den, sol­len sie auch nicht.

An ei­nem Mor­gen, so früh, dass die Kö­chin noch schläft, fah­re ich mit Ray zu Bar­bers Place, ei­ner rie­si­gen Wei­de, die zur Ranch ge­hört. Wir fah­ren in ei­nem Pick­up, der ei­nen Trai­ler mit zwei Pfer­den zieht. Auf der La­de­ram­pe ba­lan­ciert Rays klei­ner Hüte­hund, und Ray fährt vor­sich­tig, da­mit die­ser nicht her­un­ter­fällt. Die Nacht ist schwarz, und wir wär­men wäh­rend der Fahrt un­se­re lee­ren Mä­gen mit schwär­z­e­rem Kaf­fee aus der Thermosflasche.

In Wyo­la steigt ein neu­er Cow­boy zu. Lar­ry, der Zureiter.

Die Leu­te brin­gen ihm nicht ge­nü­gend Pfer­de zum Bre­chen und Zu­rei­ten, dar­um hat er ei­nen Job auf der Ranch an­ge­nom­men. In gu­ten Zei­ten ar­bei­tet er mit zehn Pfer­den und be­kommt für je­des fünf Dol­lar am Tag plus Fut­ter. Er­braucht et­wa sechs Wo­chen, bis sie zu­ge­rit­ten sind. Ein Pferd, das von ihm zu­ge­rit­ten ist, weiß gar nicht, was bo­cken ist, weil Lar­rys Me­tho­de so ist, dass es gar nicht auf die Idee kom­men kann, zu bocken.

Wenn man Lar­ry an­schaut, muss man ihm das glau­ben. Nicht nur, weil er ei­nen ho­hen Hut trägt wie Hoss Cartwright.

Wir fah­ren lan­ge auf der High­way 87. Frü­her wä­re das ein Ta­ges­ritt gewesen.

Ray Ham­mond, der das Ge­sicht und nicht nur das Ge­sicht von Huck­le­ber­ry Finn hat, er­zählt sei­ne Geschichten:

Vor ein paar Jah­ren, als er ein Pferd be­schlug, hat ihm ein Ei­sen­split­ter das Au­ge ver­letzt. Ob­wohl er nach Den­ver ins Spi­tal ge­flo­gen wur­de, ver­lor er das Au­ge. „Aber auch mit ei­nem Au­ge ha­be ich ge­se­hen, dass es in Den­ver Män­ner gibt, die kei­nen Hut tra­gen. Da ha­be ich Ten­nis­schu­he ge­kauft und mei­nen Hut an die Wand ge­hängt, und kei­ner hat mehr in mir ei­nen Cow­boy vermutet.“

Und die An­ek­do­te von Su­si, Pis­tols Freun­din (er­in­nern Sie sich an Su­si und Pis­tol?): „Vor ein paar Jah­ren wa­ren doch die­se durch­sich­ti­gen Blu­sen Mo­de. An ei­nem Abend kommt doch Su­si tat­säch­lich mit so ei­nem Ding in die Bar in Park­man. Der al­te Ben­ny lässt sie kei­nen Au­gen­blick aus den Au­gen, bis sie die Ner­ven ver­liert und fragt: „Was zur Höl­le starrst du hier stän­dig an?“ Dar­auf der al­te Ben­ny: „Nicht viel, Ma’am, nicht viel.“

Der Mor­gen be­ginnt zu däm­mern, und links und rechts von der Stra­ße steigt der Ne­bel auf. Ray sagt noch ein paar­mal: „Not much, Ma’am, not much, schüt­telt den Kopf und lacht so, dass Lar­ry und ich mit­la­chen müssen.

Vor dem Pfer­de-Kor­ral von Bar­bers Place ste­hen die Cow­boys be­reit. Be­vor wir los­rei­ten, gibt Ray ei­nem kran­ken Zug­pferd, das mit Ko­li­ken im Kor­ral steht, ei­ne Sprit­ze. Es hat Un­kraut ge­fres­sen. Das an­de­re Zug­pferd ist am Vor­abend dar­an zu­grun­de gegangen.

Die Hü­gel, auf die wir zu­rei­ten, tra­gen ei­nen pur­pur­ro­ten Hei­li­gen­schein. Ray teilt uns in zwei Grup­pen auf. Ich bin bei Neil, Lar­ry und Ro­ger, dem Cow­boy von Bar­bers Place. Es geht steil berg­auf zum höchs­ten Gip­fel der Hügelkette.

Quar­ter Hor­ses sind et­was an­de­res als un­se­re eu­ro­päi­schen Freizeit‑, Sport- und Hob­by­pfer­de. Ein Quar­ter Hor­se hat sei­ne Ar­beit zu leis­ten. Und die ge­fäl­ligst gut. Ei­ne Ranch wie die Litt­le Horn be­sitzt min­des­tens 50 Sat­tel­pfer­de und ei­ne An­zahl Stu­ten und Hengs­te für den Nach­wuchs. Die er­fah­re­nen Cow­boys rei­ten ih­re Pfer­de sel­ber zu. Für die jün­ge­ren be­sorgt das Ron Thom­son. Er ar­bei­tet mit ih­nen, bis sie green bro­ke sind, das heißt, bis sie ge­wöhnt sind, ei­nen Rei­ter zu tra­gen und ihm ei­ni­ger­ma­ßen zu ge­hor­chen. Die Fein­ar­beit muss dann der Cow­boy sel­ber ma­chen. Und nie­mand ver­langt, dass er da­bei zim­per­lich ist mit Peit­sche und Spo­ren, so­lan­ge er sich an das Ge­setz je­der Ranch hält: „Zwi­schen Schul­ter und Hüf­te ge­hört das Pferd dem Cow­boy. Der Rest ge­hört der Ranch.“

Um ein Quar­ter Hor­se zu len­ken, zieht man nicht, wie bei uns, am Zü­gel auf der ent­spre­chen­den Sei­te. Man hält die Zü­gel nur in ei­ner Hand und steu­ert wie mit dem Ru­der ei­nes Se­gel­boo­tes. Die an­de­re Hand braucht man zum Ar­bei­ten. Ich ha­be sie auch ab und zu zum Fest­hal­ten ge­braucht. (Der schwe­re, brei­te, be­que­me Wes­tern­sat­tel hat vor­ne ei­nen­mäch­ti­gen Knauf, der sich, au­ßer für das Las­so, auch da­für eig­net). Ein gu­tes Quar­ter Hor­se re­agiert auf je­de Be­we­gung. Auch auf je­de falsche.

Die Steig­bü­gel ei­nes Wes­tern­sat­tels hän­gen so tief, dass man den Ga­lopp aus­sit­zen muss. Wenn man im Trab nicht je­den Schlag mit dem Kreuz ab­fan­gen will, kann man in die Bü­gel ste­hen und sich so ei­ne hal­be Hand­brei­te aus dem Sat­tel heben.

Ein Quar­ter Hor­se hat Fes­seln aus Stahl und wür­de berg­auf und berg­ab ga­lop­pie­ren, wenn man es lie­ße. Es hat, wenn es zur Ran­ch­ar­beit ab­ge­rich­tet ist, ei­nen Wen­de­kreis von nur et­wa zwei Me­tern im Ga­lopp. Und es ist von 40 auf null in null Sekunden.

Oben auf dem Grat tren­nen wir uns. Je­dem ist ein Hü­gel zu­ge­wie­sen, den er hin­un­ter­rei­ten muss, um das Vieh, das ihm be­geg­net, zur Was­ser­stel­le in der Tal­soh­le zu treiben.

Ich rei­te durch ei­ne Land­schaft, die je­der vom Ki­no kennt: Blau­es Fir­ma­ment, Gras, so hart und dürr, dass man sich wun­dert, wie es ei­ne Kuh er­näh­ren kann, hier und dort die ge­bleich­ten Kno­chen ei­nes Rind­viehs, das ei­ner Krank­heit, den Co­yo­ten, dem Win­ter oder dem Ny­lon-Fie­ber zum Op­fer ge­fal­len ist. (Das Ny­lon-Fie­ber wird durch das Las­so über­tra­gen und zwar nur dann, wenn die Schlin­ge so fällt und zu­ge­zo­gen wird, dass sie das Tier stranguliert.)

Mei­ne Hü­gel­flan­ke fällt zu bei­den Sei­ten steil ab in ei­nen klei­nen Creek, der dicht mit Un­ter­holz be­wach­sen ist. Ich be­geg­ne sechs Bul­len und er­fah­re, dass es nicht ganz ein­fach ist, cle­ve­rer zu sein als ei­ne Kuh. Aber Bil­ly, mein Pferd, ist cle­ve­rer als ei­ne Kuh, und es ge­lingt uns bei­den, voll­zäh­lig am Was­ser­loch anzukommen.

Ei­ne Zeit­lang ist es ganz still. Dann hört man aus der Fer­ne das dump­fe Trom­meln von Hu­fen. Und plötz­lich ist Le­ben über­all. Von al­len Sei­ten kommt das Vieh die Ab­hän­ge her­un­ter und aus dem Un­ter­holz her­aus und wächst zu ei­ner ein­drück­li­chen Her­de, die lang­sam ge­gen Wes­ten zieht.

An der Spit­ze rei­ten zwei Cow­boys. An­de­re pas­sen an den Flan­ken auf. Der Rest macht den Schluss. Sie las­sen stän­dig ih­re Las­sos krei­sen und ver­pas­sen je­dem Aus­bre­cher mit dem Las­so­kno­ten blitz­schnell ei­nen Denkzettel.

Huf­ge­tram­pel, Mu­hen, dicht­ge­dräng­te Rin­der­lei­ber, weit sicht­ba­re Staub­fah­ne, he­he­he­he­he­he und yepeeeeeeeee.

Wir trei­ben die Her­de in ei­ne Fal­le. So nennt man die Um­zäu­nung am Aus­gang ei­ner gro­ßen Wei­de. Dort drän­gen die Rei­ter die Rin­der ge­gen den Zaun und las­sen sie paar­wei­se ent­kom­men, da­mit Ray sie zäh­len kann. Für je­des Hun­dert malt er ei­nen Strich auf den Hand­rü­cken. Am Schluss sind es sie­ben Stri­che und die Zahl 56. Es feh­len 64 Stück, die Ranch will 820 auf der Win­ter­wei­de ha­ben. Be­vor wir uns auf die Su­che ma­chen, ge­hen wir zum Camp zu­rück. Bar­ba­ra hat Lunch gekocht.

Beim Es­sen sagt kei­ner viel. Nach dem Es­sen sagt je­der et­was: „Der jun­ge Tier­arzt in Sher­i­dan ist gut. Ich ha­be ei­nen Hengst, der al­le Seh­nen der lin­ken Vor­der­hand zer­schnit­ten hat­te. 134 Dol­lar hat die Ope­ra­ti­on ge­kos­tet. Heu­te ist er wie­der der schnells­te gott­ver­damm­te Hu­ren­sohn, den ich kenne.“

„Mein aus­tra­li­scher Schä­fer fiel vom Pick­up und brach sich die Schul­ter. Du konn­test das rech­te Bein auf die lin­ke Sei­te hin­über­le­gen. Ich be­stand auf ei­ner Ope­ra­ti­on. Die gan­ze Nacht ist er in mei­nen Ar­men ge­le­gen. Und heu­te? Kennst Du ei­nen bes­se­ren gott­ver­damm­ten Hund?“

„Hast Du Bran­dy, den 14-Jäh­ri­gen auf der Main Ranch schon ein­mal ge­rit­ten? Für den wür­de ich mein lin­kes Ei geben.“

„Ich freue mich auf die Bran­ding Sea­son. Dann kann man wie­der Ro­cky Moun­tain Oysters es­sen.“ (Ro­cky Moun­tain Aus­tern sind die Jung­stier­ho­den. Die Cow­boys gril­len sie an der Glut, in der sie die Brenn­ei­sen hei­zen. Soll ei­ne De­li­ka­tes­se sein.)

Nach dem Es­sen ma­chen wir uns in drei Grup­pen auf die Su­che nach den 64 Rin­dern. Ich bin bei Lar­ry, dem Zu­rei­ter, und Joe, dem freund­li­chen jun­gen Mann, der den Som­mer al­lei­ne auf ei­nem Camp ver­bracht hat und jetzt hei­ra­ten will.

Wir rei­ten an ei­nem lan­gen Creek ent­lang und trei­ben un­se­re Pfer­de manch­mal ins Di­ckicht, um Vieh auf­zu­stö­bern, das dort Schat­ten sucht. Mein Ge­sicht und mei­ne Ar­me sind bald zer­kratzt, weil ich mir nicht an­ma­ße, ein lang­är­me­li­ges Cow­boy­hemd und ei­nen so­li­den Filz­hut zu tragen.

Auf ei­ner Wei­de der Good Luck Ranch fin­den wir end­lich vier Bul­len, die der Litt­le Horn Ranch ge­hö­ren. Wir schnei­den sie von der klei­nen Her­de ab. Sie sind wi­der­spens­tig, starr­sin­nig und flink. Es ist ein Stück Ar­beit, sie zur gro­ßen Her­de zurückzutreiben.

Ein­mal sagt Joe: „Cow­boys sind dumm und arm. Dar­um ha­ben sie we­nigs­tens die­ses gu­te Le­ben verdient.“

Nach der Zäh­lung der Her­de sind zwan­zig Stück zu viel. Ray zeigt, wel­che er von der Her­de ge­trennt ha­ben möchte.

Es ist ein gu­tes Ge­fühl, wenn es ei­nem das ers­te Mal ge­lingt, ein ein­zel­nes Rind von ei­ner Her­de von über 800 zu trennen.Und wenn man den Cow­boys zu­schaut, muss man an­neh­men, dass es auch beim tau­sends­ten Mal noch ein gu­tes Ge­fühl ist.

Neil und Vir­gil fan­gen ei­nen Bul­len ein, der zu ei­ner an­de­ren Ranch ge­hört. Vir­gil ist ein grob­schläch­ti­ger Bur­sche, der gut mit dem Las­so um­ge­hen kann. Aber er ist ein Pfer­de­schin­der, zu dem ei­ni­ge Cow­boys fast die glei­che Di­stanz wah­ren wie die Pfer­de. Ei­ner hat mir ge­sagt: „Wer so mit Pfer­den um­geht, hat Angst vor Pferden.“

Auf der Ranch ist das Abend­essen längst ge­ges­sen, und Ray lädt mich zu sich ein.

Er wohnt in ei­nem mo­der­nen Bun­ga­low mit gro­ßen Fens­tern, ein paar Mei­len von der Haupt­ranch ent­fernt. Er hat ei­ne hüb­sche Frau, die Dia­na heißt und Ge­dich­te schreibt. Er hat drei sü­ße Kin­der in Py­ja­mas, sie sa­gen ar­tig gu­te Nacht. Er hat ei­nen fah­ri­gen Do­ber­mann, der hin­aus­ge­jagt wird, „weil er sich am Nach­mit­tag mit ei­nem Skunk ein­ge­las­sen hat“.

Fast wäh­ne ich mich in ei­ner durch­schnitt­li­chen ame­ri­ka­ni­schen midd­le class Fa­mi­lie, wür­de Dia­na nicht er­zäh­len, wie ihr Ray kürz­lich aus Jux mit sei­ner Ma­gnum die Zi­ga­ret­te aus dem Mund ge­schos­sen hat.

Ich ha­be noch ein paar Din­ge er­lebt im Wil­den Wes­ten, den es nicht mehr gibt. Ich war auf Flat Iron, ei­ner Wei­de, die 280 Qua­drat­ki­lo­me­ter groß ist. Ich traf ei­nen ein­ar­mi­gen Bar­kee­per, der je­den im Bil­lard schlägt. Ich fuhr im al­ten Pick­up ei­nes be­sof­fe­nen Cow­boys zick­zack über den nächt­li­chen High­way, wäh­rend ne­ben mir ein Pue­blo-In­dia­ner und ei­ne Crow-Squaw, die ih­ren Mann zum Krüp­pel ge­schos­sen hat­te, in­dia­ni­sche To­ten­tän­ze san­gen. Ich sah die sech­zig Stu­ten und Foh­len der Pitch­fork Ranch in Te­xas auf mich zugaloppieren.

Ich er­leb­te, wie wi­der­wil­lig zehn te­xa­ni­sche Cow­boys die Spo­ren aus­zo­gen, als sie ein Wind­rad bau­en muss­ten. Ich wur­de Zeu­ge ei­nes Ver­hörs, das ein al­ter Te­xas-Ran­cher an­stell­te, der zwar kei­nen Pfer­de- aber im­mer­hin ei­nen Au­to­dieb such­te. Ich sah zu, wie Jim­my Dren­nen, Ben­ny But­ler, Jeff Skipp, Frank Lind­ley und Lar­ry McHorter im Kor­ral der Pitch­fork Pfer­de ein­fin­gen und ih­nen die Hu­fe trimm­ten. Ich aß Ba­ked Be­ans mit Speck, Nu­deln mit Ge­hack­tem, ge­bra­te­ne Au­ber­gi­nen, ein­ge­mach­te Bir­nen mit Quark und Kä­se­strei­fen, Ba­na­nen­pud­ding mit Bis­cuits im Cook­house auf ei­ner der äl­tes­ten Ran­ches in den USA.

Aber soll ich es wirk­lich noch haar­klein be­schrei­ben, wenn Sie es sich doch bei Bo­nan­za und Am Fuss der blau­en Ber­ge an­schau­en können.

Ihr habt ja recht, ihr, die ihr sagt, es ge­be kei­ne Cow­boys mehr: Die Cow­boys sind ei­ne Legende.

Und – you bet – je­der von den 20.000 Cow­boys, die es gibt, weiß das auch.

×
Login

Passwort wiederherstellen

Abonnieren
Jahresabo für 60 Franken
Probeabo

Falls Sie einen Code besitzen, geben Sie diesen hier ein.

Gutschein

Martin Suter kann man auch verschenken.
Ein ganzes Jahr für nur 60 Franken.
Versandadresse: