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Dies ist ein rie­si­ges Ar­chiv von fast al­lem, was Mar­tin Su­ter ge­macht hat, ge­ra­de macht und noch ma­chen will. Sie ha­ben zu bei­na­he al­lem da­von un­be­schränk­ten Zu­gang. Und wenn Sie Mem­ber wer­den, zu noch et­was mehr.

Die Eltern

Die Schamp­bar und das Fisch&Vogel sind ent­fa­mi­lia­ri­sier­te Zo­nen. Wer dort ver­kehrt wird nicht nach sei­nem Hin­ter­grund ge­fragt. Und wenn dar­über Ge­rüch­te kur­sie­ren – wie im Fall von Su­si Schläf­li, von der es heisst, ihr Va­ter be­sit­ze meh­re­re Pa­ten­te auf dem Be­fes­ti­gungs­tech­nik­sek­tor – wer­den sie nicht ein­mal de­men­tiert. Im Fisch&Vogel und in der Schamp­Bar kann je­der sein, wie er ist. Oder wie im Fall von Ge­ri Wei­bel, wie er glaubt, sein zu müssen.

Es wür­de, zum Bei­spiel, nie­man­dem ein­fal­len, sich mit sei­ner Mut­ter in der Schamp­Bar zum Apé­ro zu tref­fen oder den Sech­zigs­ten des Va­ters im Fisch&Vogel zu be­ge­hen. Für sol­che Zwe­cke gibt es an­de­re Lokale.

Die­se De­mar­ka­ti­ons­li­nie ist für Ge­ri ei­ne sol­che Selbst­ver­ständ­lich­keit, dass er nie auf die Idee ge­kom­men ist, sie ge­gen­über sei­nen El­tern zu erwähnen.

Man kann al­so Ger­trud Wei­bel kei­nen Vor­wurf ma­chen, dass sie ei­nes Ta­ges ih­rem Mann Alo­is den Vor­schlag macht, im Fisch&Vogel zu es­sen. Man hat Zeit, man ist pen­sio­niert und Alo­is soll­te we­gen sei­nem Blut­druck mehr Fisch und Ge­flü­gel essen.

Sie sind die ers­ten Mit­tags­gäs­te und be­kom­men zwei Plät­ze an ei­nem net­ten Sech­ser­tisch in Fens­ter­nä­he. Ger­trud Wei­bel setzt sich so, dass sie den Ein­gang im Au­ge be­hal­ten kann. Könn­te ja sein, dass zu­fäl­lig Ge­ri heu­te auch hier isst. Viel­leicht, wenn Ge­ri ih­nen ge­gen­über er­wähnt hät­te, dass er prak­tisch im­mer hier isst, könn­te man Wei­bels un­ter­stel­len, sie hät­ten es auf ein Zu­sam­men­tref­fen ab­ge­se­hen. Aber Ge­ri hat­te da­mals, als ihn sei­ne Mut­ter auf das Zünd­holz­brief­chen mit dem Fisch und dem Vo­gel an­sprach, die Be­deu­tung des Lo­kals in sei­nem Le­ben her­un­ter­ge­spielt. Es sei okay wenn man ein­mal Lust auf Fisch oder Ge­flü­gel habe.

Lang­sam träu­feln die Gäs­te her­ein und ver­tei­len sich auf die Ti­sche. Zwei, drei Mal schnellt Ger­trud Wei­bels Hand in die Hö­he, weil sie Ge­ri zu er­ken­nen glaubt. „Die se­hen auch al­le gleich aus, glei­che Fri­sur, gleich an­ge­zo­gen“, sagt sie zu ih­rem Mann.

Der schaut von der Spei­se­kar­te auf und wun­dert sich. „Hüh­ner­brust mit Dörrpflaumenfüllung?“

Ger­trud Wei­bels Hand schnellt em­por. „Uhu, Ge­ri!“ ruft sie. Am Stamm­tisch dre­hen sich ein paar Köpfe.

Ge­ris ers­ter Im­puls, als er die Stim­me sei­ne Mut­ter hört ist um­keh­ren. Ein­fach rechts­um­kehrt und ab. Sein zwei­ter: Um­fal­len und sich tot stel­len. Sein drit­ter: Lä­chelnd auf den Tisch zu­ge­hen, von dem die Stim­me kommt. Er ent­schei­det sich für den drit­ten. We­nigs­tens hat sie ihn nicht Ge­ge­li gerufen.

„Was macht den IHR da?“, rutscht es Ge­ri her­aus, als er sei­ne Mut­ter mit ei­nem ar­ti­gen Kuss be­grüsst und sei­nem Va­ter die Hand schüttelt.

„Zu Mit­tag es­sen“ ant­wor­tet sei­ne Mut­ter. Im de­fen­si­ven Ton­fall, der Ge­ri seit Kind auf die Ner­ven geht.

„Wie ist Hüh­ner­brust mit Dörr­pflau­men­fül­lung?“, fragt sein Vater.

„Ei­ne Art Cor­don Bleu aber mit Dörr­pflau­men ge­füllt“, ant­wor­tet Ge­ri. Er steht im­mer noch un­ent­schlos­sen ne­ben dem Tisch.

„War­um setzt du dich nicht? Bist du ver­ab­re­det?“, fragt sei­ne Mut­ter. Ge­ri setzt sich mit dem Rü­cken zum Stammtisch.

„Pa­niert?“, fragt der Vater.

„Sind das Freun­de von dir?“ Ger­trud Wei­bel deu­tet auf den Stammtisch.

„Nein“, ant­wor­tet Geri.

„War­um schau­en die denn im­mer so hierher?“

„Nein, nicht pa­niert mei­ne ich.“

„Cor­don Bleu ist aber pa­niert“, er­wi­dert Alo­is Weibel.

Ge­ris schaut in die Me­nu­kar­te sei­nes Va­ters. „Dann nimm doch Lachstran­che auf Lauch­bett.“ Sei­ne Mut­ter hat sei­ne kur­ze Un­auf­merk­sam­keit aus­ge­nützt und je­man­den herangewunken

Ge­ris Mut­ter be­sitzt ei­ne Art, Leu­te her­an­zu­win­ken, die kei­nen Wi­der­spruch dul­det. Au­gen­blick­lich steht Fred­dy Gut am Tisch. „Wol­len Sie sich nicht zu uns set­zen? Wir sind Ge­ris Eltern.“

„Freut mich“, ant­wor­tet Fred­dy, „aber ich bin dort mit zwei Kollegen.“

„Brin­gen Sie sie mit, hier sind drei Plät­ze frei“, be­fiehlt Ge­ris Mut­ter. Kurz dar­auf kommt Fred­dy mit Ro­bi Mei­li und Su­si Schläf­li zurück.

Wäh­rend des gan­zen Es­sens (Hüh­ner­brust mit Dörr­pflau­men­fül­lung) sitzt Ge­ri auf Na­deln. Aber sei­ne El­tern zei­gen sich von ih­rer bes­ten Sei­te. Nach dem Kaf­fee ist Ge­ri so ent­spannt, dass er es ris­kiert, sie ei­nen Toi­let­ten­be­such lang al­lein zu las­sen. Als er zu­rück­kommt, ha­ben sei­ne El­tern für den gan­zen Tisch be­zahlt. Am Abend in der Schamp­Bar sagt Fred­dy Gut: „Echt cool, dei­ne El­tern, Gegeli.“

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