×

Dies ist ein rie­si­ges Ar­chiv von fast al­lem, was Mar­tin Su­ter ge­macht hat, ge­ra­de macht und noch ma­chen will. Sie ha­ben zu bei­na­he al­lem da­von un­be­schränk­ten Zu­gang. Und wenn Sie Mem­ber wer­den, zu noch et­was mehr.

Geris Antwort

Da steht Ge­ri nun und kann es nicht glau­ben. Ai­ra, die Un­be­rühr­ba­re, hat so­eben ge­sagt: „Lass uns noch ei­ne Gre­na­di­ne trin­ken. An ei­nem Tag wie heute.“

Aus­ser ih­nen ist nur noch Re­to im Lo­kal. Er steht ge­bannt vor der Kas­se, die seit ein paar Mi­nu­ten ge­räuschvoll die Ta­ges­ab­rech­nung aus­druckt. Es hat viel Be­trieb ge­herrscht in die­ser ers­ten lau­en Nacht des Jahres.

Und vor ihm steht Ai­ra, die er sich den gan­zen Abend sys­te­ma­tisch und gründ­lich aus dem Kopf ge­schla­gen hat, und lä­chelt aus ih­ren eins vier­undachzig auf ihn herunter.

Ge­ri kennt kei­nen Men­schen, der nicht ger­ne nach Lo­kal­schluss mit Ai­ra ei­ne Gre­na­di­ne ge­trun­ken hät­te, aus­ser viel­leicht Su­si Schläf­li. Und kei­nen mit ge­rin­ge­ren Aus­sich­ten, je­mals in die­sen Ge­nuss zu kom­men, als ihn selbst.

Wahr­schein­lich träumt er. Da­mit wä­re auch er­klärt, dass sich seit Ai­ras Fra­ge al­les in Zeit­lu­pe ab­spielt. Und auch, dass er, wie in fast al­len sei­nen Träu­men, wie ge­lähmt ist. Selbst wenn er wüss­te was, könn­te er nicht antworten. 

In sei­nem Kopf hin­ge­gen rast es: War­um er? Wenn sie doch ei­nen hät­te fra­gen kön­nen, der aus­sieht wie Fred­dy Gut. Oder ei­nen, der Be­scheid weiss, wie Ro­bi Mei­li. Oder ei­nen, der sen­si­bel ist, wie Carl Schnell. War­um stürzt sie den ein­zi­gen in die­ses Di­lem­ma, für den es ei­nes ist? Viel­leicht ge­nau aus die­sem Grund. Schö­ne Frau­en kön­nen bos­haft sein, weiss Ge­ri. Be­son­ders ihm ge­gen­über. Wahr­schein­lich will sie sich über ihn lus­tig ma­chen. Fra­gen, ob er mit ihr ei­ne Gre­na­di­ne trin­ken wol­le und dann tat­säch­lich nur ei­ne Gre­na­di­ne trin­ken. ”Was hast Du ges­tern ge­macht, Ge­ri, als Du als Letz­ter noch im Club81 ge­blie­ben bist?”

”Mit Ai­ra ei­ne Gre­na­di­ne getrunken.”

”Und?”

”Und nichts.”

Aber wer soll­te ihn das fra­gen? Er ist der letz­te Gast im Lo­kal. Und viel­leicht will sie ja wirk­lich mehr, als ein­fach nur ei­ne Gre­na­di­ne trin­ken. Im­mer­hin hat sie ”an ei­nem Tag wie heu­te” hin­zu­ge­fügt. Kaum anzuneh­men, dass Ai­ra fin­det, der ers­te Tag, an dem es nach Som­mer riecht, die er­ste Nacht, in der die Tür des Club81 bis Lo­kal­schluss of­fen­steht, sei wie ge­schaf­fen für nichts wei­ter als ei­nen Schlum­mer­trunk mit ei­nem Stammgast.

Und falls doch? Dann hät­te er mit Ai­ra nach Lo­kal­schluss et­was getrun­ken. Das ist mehr als die an­de­ren Stamm­gäs­te für sich in An­spruch neh­men dür­fen. Ob­wohl: Für sich in An­spruch neh­men wür­de er es auch nicht dür­fen. Denn man wird ihn fra­gen: ”Und?”

Aber viel­leicht wird er ja die Fra­ge nicht mit ”Und nichts” be­ant­wor­ten müs­sen. Viel­leicht wird er bedeu­tungsvoll schwei­gen können. 

Da fällt ihm ein: Das wird er ohne­hin kön­nen. Ob es nun bei ei­ner Gre­nadine bleibt oder nicht. Lass sie dar­über spe­ku­lie­ren. Was kann ihm Bes­se­res pas­sie­ren, als dass die Sze­ne dar­über rät­selt, was sich zwi­schen Ge­ri und Ai­ra ab­ge­spielt hat in je­ner ers­ten Früh­som­mer­nacht des Jah­res, als sie nach Lo­kal­schluss noch Lust ver­spür­ten, zu­sam­men ei­ne Grena­dine zu trin­ken. Selbst wenn ei­nes Ta­ges ans Licht kä­me, dass sich nichts wei­ter ab­ge­spielt hat, könn­te er im­mer noch durch­bli­cken las­sen, dass er aus So­li­da­ri­tät mit Ro­bi Mei­li, Fred­dy Gut und Carl Schnell, die Ai­ra al­le hat ab­blit­zen las­sen, auf al­les, was über die Gre­na­di­ne hin­aus­ging, ver­zich­tet ha­be. Ge­nau be­trach­tet wä­re es so­gar viel günsti­ger, wenn sich wei­ter nichts abspie­len würde.

Ai­ra nimmt jetzt ei­nen Aschen­be­cher von der The­ke und kippt des­sen In­halt weg. Noch ein paar Au­gen­bli­cke, und sie wird Ge­ris Zö­gern falsch ausle­gen. Er öff­net den Mund zu ei­nem freu­di­gen ”Hey, gu­te Idee”, da fällt ihm ein: Was, wenn es doch nicht bei ei­ner Gre­na­di­ne oder zwei bleibt? Wie kann er dann ver­hin­dern, dass Ro­bi Mei­li, Fred­dy Gut und Carl Schnell es nicht als per­sön­li­chen, ge­ziel­ten Af­front ge­gen sie aus­le­gen. Viel­leicht ist es ja ge­nau das, was Ai­ra beab­sichtigt. Viel­leicht will sie Ge­ri miss­brau­chen als Werk­zeug zur Demüti­gung der drei Leu­te, von de­ren Aner­kennung er am meis­ten abhängt.

Ge­ri sieht sich schon mit den ande­ren beim Apé­ro sit­zen, und Ai­ra zer­zaust ihm im Vor­bei­ge­hen zärt­lich das Haar. Ein­fach, um Ro­bi Mei­li, Fred­dy Gut und Carl Schnell fer­tig zu machen. 

Über­haupt: Was hin­dert Ai­ra dar­an, ihn nach der Gre­na­di­ne nach Hau­se zu schi­cken und ihn am nächs­ten Tag den­noch vor al­len an­de­ren mit ei­nem Kuss auf den Mund zu begrüssen?

Ge­ri hät­te Ai­ras Gre­na­di­ne abge­lehnt, wenn Sie, lie­be Le­se­rin­nen und Le­ser, ihn nicht mit gros­ser Mehr­heit da­vor be­wahrt hätten. 

Herz­li­chen Dank.

Ge­ri Wei­bel und Mar­tin Suter

×
Login

Passwort wiederherstellen

Member werden
Member werden für 50 Franken pro Jahr
Probezugang

Falls Sie einen Code besitzen, geben Sie diesen hier ein.

Gutschein

Martin Suter kann man auch verschenken.
Ein ganzes Jahr für nur 50 Franken.
Versandadresse: