Die Nachwuchsfrage
In Geri Weibels Kreisen hat man keine Familie. Geri Weibels Kreise SIND eine Familie. Die Vorstellung ist absurd, dass zum Beispiel Robi Meili sich jeden Dienstag um viertel nach sechs in der SchampBar mit den Worten verabschieden könnte: „Tschau zusammen, hab heute die Kinder, ihr wisst schon: Isabelles Hexenabend.“
Oder dass das Fisch&Vogel neben dem Seeteufel-Carpaccio und dem Mistkratzerli au Prosecco einen Pingi Teller für den Nachwuchs der Stammgäste auf der Karte führte.
Es hält sich zwar hartnäckig das Gerücht, dass der verstockte Vierzehnjährige, mit dem Alfred Huber manchmal an Donnerstagen zu Mittag isst und dabei den Stammtisch meidet, ein geheimgehaltener Sohn aus einem früheren Leben sei und nicht der Sohn des Hauswarts, den er aus Gutmütigkeit in Berufswahlfragen berät. Der selbe Alfred Huber übrigens, den alle IZMIR nennen, weil er damals aufgrund der Prospektinformation, „keine speziellen Einrichtungen für Kinder“ versehentlich Clubferien in der TÜRKEI gebucht hat. Er ist der einzige, der etwas gegründet haben könnte, was allenfalls entfernt mit einer eigenen Familie zu tun hat. Der Rest der Szene erhält sich dadurch jung, dass er keine Kinder hat.
Geri Weibel ist froh um diese einzige Konstante in seiner sonst so trendbestimmten Welt. Und dankbar, dass ihm die Vergrösserung seines Fehlerpotentials um wenigstens dieses Gebiet erspart bleibt. Er hakt also das Thema ab und konzentriert sich auf die Krisenherde Fussball (gegen die Deutschen sein gleich bünzlig, für die Brasilianer sein gleich klischiert beginnt sich abzuzeichnen), SMART („The MINI was SMARTER“ hat er Robi Meili sagen hören) und Night Moor („Für mich spiegelt die Honorardiskrepanz Moor-Baumann genau das Qualitätsgefälle zwischen den beiden Sendungen“ liess sich Freddy Gut kürzlich vernehmen.)
Derart abgelenkt passiert ihm an einem Abend in der SchampBar der folgende Lapsus: Er geht nach dem Fisch&Vogel (wie immer) zu Charly an die Bar auf ein (wie seit neustem) Schlummer-Guiness und verpasst (wie so oft) den Abgang. Gerade als er gehen will brechen nämlich Freddy Gut und Izmir auf, und Geri muss noch eins bestellen, um nicht den Eindruck zu erwecken, er wolle sich aufdrängen. Er bleibt also an der Bar stehen und versucht, um nicht den Anschein von Unbeliebtheit zu erwecken, die Lücken zu schliessen, die sich neben ihm auftun.
Aber die Reihen lichten sich rasch, Geri ist gezwungen, sich immer näher an Susi Schläfli heranzuschmuggeln, die Robi Meili und Carl Schnell die Hausgeburt einer entfernten Bekannten schildert, als hätte sie ihr persönlich beigewohnt. Es dauert eine Weile, bis ihr auffällt, dass Geri mithört. Sie bricht ihre Schilderung mitten im Satz „die Hebamme ist zweiundsiebzig und kommt noch mit dem Velo…“ ab und schliesst mit „Anyway: drei Kilo einhundertvierzig und kerngesund.“
Um das Schweigen zu überbrücken, das sich nach dem abrupten Abbruch ausbreitet, seufzt Geri „armes Würstchen“ und fühlt sich dabei sicher auf dem Boden der Hausdoktrin der Szene, die besagt, dass niemand das Recht haben dürfte, weiteren Generationen ungefragt diese Welt zuzumuten.
Susi Schläfli murmelt etwas, das für Geri wie „Astloch“ klingt und verlässt das Lokal. Robi Meili schüttelt den Kopf und Carl Schnell seufzt „Ach Gerigeri“. Beide gehen ihr nach.
Es bleibt Charly überlassen, Geri jedesmal, wenn er beim Aufräumen bei ihm vorbeikommt, in kleinen Portionen aufzuklären. Susi ist schwanger. Ja, sie ist ganz sicher. Nein, sie sagt nicht von wem. Ja, es ist ein Wunschkind.
Dass Susi sich ihm nicht persönlich anvertraut hat, mag ja noch damit zu erklären sein, dass sie sich die Chancen bei ihm nicht verderben wollte. (Geri ist sich nämlich fast sicher, dass sie eine uneingestande Schwäche für ihn überspielt.) Aber dass ihn das sonst flächendeckende Informationsnetz der Szene offenbar gezielt ausgespart hat, gibt ihm schon sehr zu denken. Hält man ihn für einen Kinderhasser?
Geri legt sich ins Zeug für eine der grössten Imagekorrekturen seiner Laufbahn. Er abonniert zwei Elternzeitschriften, wälzt kinderpsychologische Laienliteratur, schmuggelt sich in einen Pflegekurs für angehende Väter, taucht mit seinem dreijährigen Neffen im Fisch&Vogel auf und beeindruckt die Stammgäste mit Fachkenntnis und psychologischem Enfühlungsvermögen. So gut macht Geri seine Sache, dass er, als Tonito auf die Welt kommt (zwei Kilo achthundert und kerngesund), Susis bevorzugter Babysitter wird, wenn sie ihren Freiraum braucht.