Die Sorgen des Nachwuchses

”Weißt du, was mich am meisten anscheißt an diesen Absahnern?” fragt Meilinger.
”Du meinst die Kassemacher?” Streb nimmt es genau mit Fachausdrücken.
”Ich meine die Selbstbedienungsmentalität im Topmanagement.”
”Die Raffgierproblematik.”
”Dass sie uns die Zukunft verbauen.”
”Wie das?”
”Sie versauen den Markt.”
”Hältst du mal?” Streb versucht, ein Stück von seinem Dönner Kebab aus einheimischem Kalbfleisch abzubeißen und schiebt den Lenker seines Micro Skate Scooters zu Meilinger rüber. Es regnet nicht, sie verbringen die kurze Mittagspause in der Anlage hinter der Bank.
Meilinger hält jetzt beide Micro Skate Scooter und ärgert sich. Er hätte nämlich auch Lust auf ein Dönner Kebab gehabt, aber hatte, weil er weiss, dass man dazu beide Hände braucht, darauf verzichtet. Sein Mittagessen besteht aus einem Laugebrötchen mit drei Scheiben Salami, das man problemlos mit einer Hand verzehren kann. Bis er diese wieder frei hat, bleibt es in seiner rechten Hosentasche.
Streb ist es gelungen, ein Stück abzubeißen, ohne sich nennenswert zu bekleckern, und kaut jetzt mit vollen Backen.
”Angenommen”, fährt Meilinger fort, ”ich wollte mir eine Abgangsentschädigung von, sagen wir, zwei Millionen auszahlen lassen: Das Volk liefe Amok.”
Streb nimmt sich Zeit zu schlucken. ”Nicht ganz zu Unrecht, bei einem Monatslohn von viertausendneunhundert brutto.”
”Ich meine natürlich: später.”
”Bis wir uns eine Abgangsentschädigung von zwei Millionen auszahlen lassen können, sind alle, die sich an die Sache mit Affolter und Konsorten erinnern konnten, tot.” Streb nimmt wieder einen Biss.
”Nicht nach meinem Karriereplan”, entgegnet Meilinger, ”in fünfzehn Jahren bin ich vierzig. Mehr Zeit gebe ich mir nicht.”
”Bis zur Abgangsentschädigung von zwei Millionen?”
”Wie gesagt: Ich fürchte, die liegt dann nicht mehr drin.”
Die Sonne kommt hinter einer Wolke hervor. Die Leute auf den Bänken ziehen sofort die Jacken aus und öffnen die Knöpfe ihrer Blusen und Hemden. Die meisten sind, wie Meilinger und Streb, untere Kader der umliegenden Banken und Versicherungen.
Meilinger schiebt die beiden Micro Skates und legt sich eine Abgangsentschädigungsstrategie für das Jahr 2016 zurecht. Streb geht vornübergebeugt nebenher und beißt ab und zu in den immer mehr saftenden Dönner.
”Man muss die Bezüge so ansetzen, dass sie in überhaupt keinem Verhältnis zu nichts mehr stehen, dann sind sie unangreifbar. 35 Millionen wie Frank Quattrone von Credit Suisse First Boston.”
Streb hat jetzt fertig gegessen und anerbietet sich, Meilingers Micro zu schieben, während dieser sein Sandwich isst. Meilinger klaubt das Salamibrötchen aus der Tasche und popelt es aus der Frischhaltefolie. Jetzt erst sieht er die Sauce an Strebs Hand am Lenker seines Scooters.
Meilinger beschließt, seine Abgangsentschädigung im Jahr 2016 auf 42 Millionen zu erhöhen. Inflationsbereinigt.
23.5.01