Ambachs Ablösungsprozess

Es war ein Akt nationaler Solidarität. Ambach hätte die BA 709 nehmen können, wie jeder vernünftige Mensch. Er wäre um neun in Heathrow gelandet, die einzige stilgerechte Zeit, in London einzutreffen. Und zwar im übersichtlichen, verkehrstechnisch ideal gelegenen Terminal eins.
Aber nein: Er musste die SR 800 nehmen. Eine halbe Stunde früher aus den Federn. Eine halbe Stunde zu früh in London. Terminal zwei!
Und weshalb? Weil die ihm leid taten. Er hatte sich gesagt: Alles hackt auf der armen Swissair herum, es wird langsam Zeit, dass jemand ein Zeichen setzt. Warum nicht er? Hatten sie nicht auch schöne Zeiten zusammen erlebt, Ambach und die Swissair? Zeiten, in denen sie stolz waren, miteinander zu fliegen. War es ihnen nicht warm ums Herz geworden, wenn sie sich – Ambach nach einem unerfreulichen Tag, die Swissair nach einem unruhigen Flug – in Warschau wieder ”Grüezi” sagen durften? Hatten sie nicht als Letzte noch so getan, als wäre Fliegen eine halbwegs menschenwürdige Art, sich von A nach B zu bewegen? Gläser, Porzellan, Tafelbesteck, mehr Beinfreiheit, mehr Ellbogenfreiheit, one less abreast?
Eingedenk dieser gemeinsamen Vergangenheit hatte Ambach auf der Achthunderter gebucht. Und auf der Achthundetsiebner zurück. Siebzehn Uhr fünfundzwanzig. Eine halbe Stunde zu früh in London, eine Stunde zu früh zurück. Aus Solidarität!
Und beide Wege Airbus! Anstatt entspannt in einer bewährten Boeing, in der die Piloten noch direkt auf die Flugbewegungen Einfluss nehmen können, würde er in einem computergesteuerten Politikum sitzen, in dem die Piloten nur noch als Alibi für menschliches Versagen mitfliegen. Und versuchen, nicht daran zu denken, wie viele Systemabstürze sein eigener Computer allein in der letzten Woche gemeldet hat.
Das alles hätte Ambach auf sich genommen. Klaglos. Ohne ein Zeichen des Danks zu erwarten. Eine Geste eines alten Freundes, auf den man sich verlassen kann, wenn es einem dreckig geht. Mehr nicht.
Und jetzt überbuchen die.
”Tut uns leid, Herr Ambach, wir haben einen schönen Sitz in der zweitvordersten Eco-Reihe.”
”Wenn ich Eco fliegen wollte, würde ich Eco buchen”, hatte er geantwortet, ”tun Sie mich auf die BA 709.”
Auch Ambachs Solidarität kannte Grenzen. Und die waren soeben überschritten worden. Er hatte zwar nichts gegen overbooking. Wer im Konkurrenzkampf überleben wollte, musste es tun, das sah er ein. Aber musste es, verdammt nochmal, ausgerechnet einen Sympathisanten treffen? Hätten sie nicht einen Zufallspassagier nach hinten setzen können? Einen, der seine Flüge nach Flugplan bucht statt nach nationalem Engagement?
Die BA 709 war ausgebucht. Und alle anderen Flüge, die ihn noch rechtzeitig nach London gebracht hätten, auch.
Jetzt sitzt Ambach hasserfüllt in der zweiten Ecoreihe der Achthunderter nach London. Den seatbelt unter der Financial Times trägt er während des ganzen Fluges aus Protest geöffnet.
12.4.01