Lila, Lila fortgesetzt!
Diesen Bestseller von Martin Suter sollten Sie vielleicht gelesen haben, bevor Sie sich seiner Fortsetzung widmen.
Die Vorgeschichte
Der junge Kellner, David, findet ein Manuskript in einem alten Nachttisch und gibt es als sein eigenes aus, um Marie zu beeindrucken, in die er sich verliebt hat. Das Buch wird ein Bestseller, die literarisch interessierte Marie verliebt sich in David und er verstrickt sich immer tiefer in seinem Lügengewebe.
Und so geht es weiter:
1. Kapitel
Halb zehn Uhr früh ist eine gute Tramzeit. Immer fand sie einen Sitzplatz, fast immer einen einzelnen. Die doppelten mochte sie nicht wegen der Sitznachbarn. Neugierige Rentnerinnen, die in das Manuskript schielten, das sie gerade las, müde Schichtarbeiter auf dem Nachhauseweg, denen beim Einnicken manchmal der Kopf auf ihre Schulter sank, oder die sich breitbeinig neben sie setzten, obwohl es noch genügend Plätze gab.
Aber zur guten Zeit konnte sie nur zweimal die Woche Tram fahren, dienstags und donnerstags. An den anderen Tagen hatte sie um acht Uhr in der Vorlesung oder im Seminar zu sein. Dann musste sie die überfüllte Siebenuhrachtzehn nehmen. Wenn sie in der noch einen Sitzplatz finden wollte, musste sie die Sechsuhrneunundfünfzig nehmen und drei Haltestellen zurück zur Endstation Gubstein fahren und in die noch halbleere Tram umsteigen, die dort wartete. Das tat sie sich nur an, wenn sie mit Lesen so weit im Rückstand war, dass sie es sich nicht leisten konnte, die fünfundzwanzigminütige Tramfahrt nicht lesend zu verbringen.
An diesem Morgen war dies der Fall.
Marie war am Abend im Esquina gewesen, erstmals seit- sie wusste nicht wie langer Zeit. Sabrina, die Freundin, zu der sie nach der Trennung von David für ein paar Monate gezogen war, hatte sie überredet. „Schwester Marie“ hatte Sabrina sie bei jedem Anruf genannt und damit nicht Krankenschwester gemeint. Sondern Nonne, in Anspielung auf ihre klösterliche Lebensführung.
Marie hatte immer abgelehnt mit der Begründung, der nächtliche Ausgang fehle ihr nicht. Aber diesmal war es anders gewesen. Vor ein paar Tagen waren die Uhren auf Sommerzeit umgestellt worden, das Wetter war strahlend und ungewöhnlich warm gewesen, und sie hatte den ganzen Tag etwas in sich gespürt, vielleicht den Frühling.
Es hatte Sabrina nicht viel Mühe gekostet, sie zu einem Essen im Shi Su zu überreden, Maries Lieblings-Sushi-Restaurant. Vor allem, weil sie ihre Freundin einlud. Sie war finanziell bedeutend bessergestellt als Marie, die sich als freie Lektorin bei einem kleinen Verlag ihr Studium finanzierte.
Nach dem Essen schlug Sabrina vor, noch ins Esquina zu gehen.
„Ins Esquina?“, fragte Marie, „geht man da noch hin?“
„Wieder“, belehrte sie Sabrina.