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Dies ist ein rie­si­ges Ar­chiv von fast al­lem, was Mar­tin Su­ter ge­macht hat, ge­ra­de macht und noch ma­chen will. Sie ha­ben zu bei­na­he al­lem da­von un­be­schränk­ten Zu­gang. Und wenn Sie Mem­ber wer­den, zu noch et­was mehr.

Eine bedauerliche déformation trop professionelle

An­ne­li­se Beh­rin­ger ist zwar erst zwei­und­drei­ßig, aber den­noch al­te Schu­le. Sie ist die lin­ke und die rech­te Hand von Im­bach, sein Ge­dächt­nis, sein Ali­bi und sein un­durch­dring­li­ches Vorzimmer.

Frau Beh­rin­ger ist ge­pflegt, pünkt­lich, pflicht­be­wusst, höf­lich, dis­zi­pli­niert und kom­pe­tent, kurz: Frau Beh­rin­ger ist al­les, was ihr Chef Im­bach nicht ist. Und in dem Mas­se, wie er ih­re Qua­li­tä­ten zu schät­zen weiß, be­wun­dert sie an ihm de­ren Feh­len. Auf die­ser Ba­sis ist ei­ne lang­jäh­ri­ge, glück­li­che, wenn auch et­was ein­sei­ti­ge Ar­beits­be­zie­hung entstanden.

Sie be­ginnt ih­ren Ar­beits­tag pünkt­lich um acht, denn ab dann ist Im­bach theo­re­tisch er­reich­bar. Prak­tisch trifft er zwar sel­ten vor neun ein, aber für die Schlie­ßung der Lü­cken zwi­schen Theo­rie und Pra­xis ist An­ne­li­se Beh­rin­ger zuständig.

”Oh, da ha­ben Sie Pech, er war ei­ne hal­be Stun­de hier und ist be­reits an sei­nem ers­ten Ter­min”, sagt sie dem ers­ten An­ru­fer um fünf nach acht.

”Eben ha­be ich ihm ein Ge­spräch her­ein­ge­ge­ben. Ich fürch­te, es klingt nach län­ger. Wol­len Sie warten?”

Wenn Im­bach prak­tisch ein­trifft, hat er theo­re­tisch schon zehn Ge­sprä­che ge­führt und ein hal­bes Dut­zend Ter­mi­ne wahr­ge­nom­men. Er setzt sich mit sei­nem Kaf­fee und sei­nen Zei­tun­gen ans Pult und bringt sich à jour. 

”Herr Im­bach hat Ih­ren An­ruf frü­her er­war­tet, jetzt hat die Sit­zung an­ge­fan­gen”, ist ei­ner ih­rer Stan­dards in die­ser Pha­se. Und et­was spä­ter: ”Zwi­schen zehn und elf ist ei­ne schlech­te Zeit, da ru­fen al­le Eng­län­der an.”

An­ne­li­se Beh­rin­ger hat für Im­bach schon so oft ge­lo­gen, dass ihr die ehr­li­chen Ant­wor­ten oft gar nicht mehr ein­fal­len. ”Doch”, kann sie dem Ab­sen­der ei­nes un­be­ant­wor­te­ten Brie­fes aus dem Steh­greif sa­gen, ”ich ha­be das Schrei­ben selbst ge­tippt und auf­ge­ge­ben. Das muss an ih­rer in­ter­nen Post liegen.”

Wenn Im­bach ei­nen Ter­min ver­gisst, schwört sie: ”Neun Uhr, nicht elf Uhr, ist in sei­ner Agen­da ein­ge­tra­gen. Und das stimmt mit mei­ner über­ein. Er hat an­dert­halb Stun­den gewartet.”

So­gar als der net­te Herr Mahler (fünf­und­drei­ßig, eins neun­zig, sport­lich, char­mant, un­schul­dig ge­schie­den)  zum zwei­ten Mal vor­spricht, um mit Im­bach sein fünf Wo­chen al­tes Ex­po­sé, das die­ser noch nicht ein­mal aus dem Um­schlag ge­nom­men hat, zu be­spre­chen, sagt sie: ”Herr Im­bach hat aus dem Au­to an­ge­ru­fen. Er sitzt im Stau und muss Ih­ren Ter­min lei­der verschieben.”

Sie ver­ein­ba­ren ei­nen neu­en Ter­min für nächs­te Wo­che. Herr Mahler hat schö­ne Hän­de, ei­nen hüb­schen Haar­an­satz und ein un­auf­dring­lich her­bes Cologne. 

Wie sie da so Kopf an Kopf über die Agen­den ge­beugt sind, spürt Frau Beh­rin­ger plötz­lich Herr Mahlers Nä­he auf an­de­re als rein ge­schäft­li­che Wei­se. Es muss ihm gleich ge­gan­gen sein, denn sie schau­en in der glei­chen Se­kun­de auf. Ih­re Bli­cke tref­fen sich und er stam­melt: ”Hät­ten Sie die­se Wo­che ir­gend­ein­mal Zeit mit mir zu essen?”

”Die­se Wo­che sieht es schlecht aus”, hört sich An­ne­li­se Beh­rin­ger sa­gen, ”aber viel­leicht kön­nen wir über­nächs­te Wo­che et­was schieben.”29.3.01

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