Allmen und die Restriktionen
„Guten Abend, Herr von Allmen“, sagt der Concierge und hält ihm die Zimmerkarte entgegen.
Guten Abend, Herr Klettmann, erwidert Allmen.
Es ist immer noch derselbe alte, hagere, lange Herr, haar- und wimpernlos mit hängendem rechtem Augenlid, den er seit dem Fall mit dem verschollenen Dahliengemälde von Fantin-Latour kennt. Er trägt eine schwarze Schutzmaske mit dem Logo der Schlosshotels.
Das Schlosshotel hat sich etwas verändert. Es ist jetzt weniger überdekoriert und verstaubt. Die Stiftung, die das Vermögen von Dalía Gutbauer geerbt hat, hat viel Geld investiert, um den verlorenen fünften Stern zurückzuerobern. Das Restaurant hat einen neuen Namen. Es heisst jetzt „Le Château“, aber sein Aufstieg zum Gourmet Tempel ist durch die Pandemie jäh unterbrochen worden. Gerd Ollberan, der Sternekoch, hat nach zwei Monaten Lockdown das Handtuch geworfen, weil er keine Lust mehr hatte, für die spärlichen Gäste und die vier Dauergäste seine Delikatessen zuzubereiten. Sein Vorgänger, der alte Joseph Lauer, hat wieder das Zepter übernommen und die früheren Ancienne-Cuisine-Klassiker ins Menu aufgenommen. Den Coq au Vin, das Château Briand, den Sole au Four und die Îles Flottantes, um nur ein paar von Allmens Lieblingen zu nennen.
Er steckt die Zimmerkarte hinter sein Einstecktuch und lässt sich von Herrn Klettmann zu seinem Tisch im «Le Château» bringen, den runden Vierer in der Ecke beim Fenster, mit Blick auf den See.
Die Kastanien entlang der Promenade tragen stolz ihre Blütenkerzen. Auf den Parkbänken sitzen Spaziergänger in coronakonformen Abständen und am Boden im Schneidersitz junge Leute mit Junk Picknicks.
Das Restaurant ist beinahe leer. Eine alte Frau, die Allmen bekannt vorkommt, mit einem voll beladenen Rollator, und ein Geschäftsmann vor einem Laptop. Daneben ein Teller, aus dem er achtlos etwas löffelt.
Allmen setzt sich, und nach kurzer Zeit kommt Oskar angeschlurft, der alte Barman. Auch an seinem Smoking ist die Renovation nicht spurlos vorbeigegangen. Er ist neu, aber sein Sitz lässt mehr denn je zu wünschen übrig. Er bringt Allmen eine Piscine, einen Roederer Cristal in einem Rotweinglas mit zwei Eiswürfeln. Und er murmelt ein gedämpftes «Cheers» durch seine Schutzmaske.
Allmen bedankt sich, legt seine Maske ab, hebt das Glas und trinkt den ersten Schluck. Sobald Oskar gegangen ist, kommt Luca, der junge Kellner aus Calabrien, mit dem Allmen sein Italienisch frisch hält.
Er bestellt eine Portion Spargeln mit Morcheln. Sobald Luca mit der zweiten Piscine zurück ist, verbringen sie die Wartezeit mit einer kleinen Plauderei. Das Thema ist wie immer die Pandemie mit ihren Maßnahmen und die Aussicht, dass diese bald gelockert werden. Allmen hofft darauf, Luca eher nicht. Denn das würde bedeuten, dass sein Lieblingsgast seltener kommt. Allmen würde seine Suite in der Belle Etage aufgeben, die er zum einzigen Zweck gemietet hatte, dieses Restaurant besuchen zu dürfen. Er hatte sich zusätzlich im Rive Bleu mit seinen zwei Restaurants, dem thailändischen und dem italienischen, eingemietet. So war stets für etwas kulinarische Abwechslung gesorgt, die dadurch noch größer wurde, dass er zu Hause immer wieder mit guatemaltekischen und kolumbianischen Spezialitäten verwöhnt wurde.
Die Spargeln waren hervorragend und die Morcheln exzellent. Und er liess es sich nicht nehmen, zur Nachspeise etwas in Zitrone marinierte Erdbeeren mit etwas Crème Fraiche zu geniessen.
Nach dem Essen begab sich Allmen für eine kleine Siesta in seine Suite. Kurz nach vier erwachte er, duschte und verließ das Hotel. Die Zimmerkarte gab er Herrn Klettmann zurück. Die Suite brauchte er nicht, er schlief zu Hause, die Auswahl an Anzügen war dort größer.
Herr Arnold wartete auf der Einfahrt.
Als er sich in die roten Lederpolster des Cadillacs sinken ließ, dachte Allmen: So sind die Restriktionen einigermaßen erträglich.