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Dies ist ein rie­si­ges Ar­chiv von fast al­lem, was Mar­tin Su­ter ge­macht hat, ge­ra­de macht und noch ma­chen will. Sie ha­ben zu bei­na­he al­lem da­von un­be­schränk­ten Zu­gang. Und wenn Sie Mem­ber wer­den, zu noch et­was mehr.

Allmens Welt

Johann Friedrich von Allmen und die Kronjuwelen des Louvre


Cou­ron­ne de l’impératrice Eu­gé­nie, avec son écrin (OA 11160 BIS) (In­ven­tar Num­mer OA 11160 BIS) bei Mu­sée du Louvre

Mo­no­ton trom­mel­te der Herbst­re­gen auf das Glas des Treib­hau­ses. Die Blät­ter­in­seln, die un­gleich­mä­ßig das Dach be­deck­ten, mach­ten den Tag noch dunk­ler, als der graue, schwe­re Him­mel es vermochte.

Sanft spiel­te Vla­di­mir Ho­ro­witz Ser­gei Rach­ma­ni­now, an den lei­ses­ten Stel­len über­tönt vom Ge­räusch, das die Pfer­de­haar­bürs­te auf All­mens rech­ter Stie­fe­let­te machte.

Car­los saß auf sei­nem nied­ri­gen Ho­cker. Auf der blau­en, ver­wa­sche­nen Schür­ze über den Knien lag das wei­che, gel­be Po­lier­tuch be­reit für den letz­ten Ar­beits­schritt. Auf All­mens Knien war die groß­for­ma­ti­ge Le Mon­de aus­ge­brei­tet.

Ein schö­ner Spät­vor­mit­tag. All­men hat­te nie ver­stan­den, was die Leu­te ge­gen sol­che Herbst­ta­ge ha­ben. Er brach­te ganz all­ge­mein kein Ver­ständ­nis auf für Wet­ter­emp­find­lich­keit. Schön­heit be­steht doch aus Ab­wechs­lung. Gut mög­lich, dass die Un­ste­tig­keit sei­nes Lie­bes­le­bens mit die­ser Er­kennt­nis zusammenhing.

Car­los’ kur­zes Klop­fen auf die Schuh­soh­le schreck­te ihn aus sei­nen Ge­dan­ken. Er wech­sel­te den Fuß und wand­te sich wie­der «Le Mon­de» zu.

All­men war ein Zei­tungs­le­ser. Nie wür­de ihm in den Sinn kom­men, di­gi­tal zu le­sen. Die Vor­stel­lung, dass die Hun­der­ten von Bü­chern, die ihn in die­sem Treib­haus um­ga­ben, al­le in ei­nem klei­nen elek­tro­ni­schen Rea­der Platz fän­den, fand er ab­scheu­lich. Das wä­re zwar prak­tisch, aber ver­ach­tens­wert wie al­les Prak­ti­sche. Wie Reiß­ver­schlüs­se am Ho­sen­la­den an­stel­le von Knöp­fen mit hand­ge­näh­ten Knopf­lö­chern, weil es schnel­ler geht. So viel Zeit muss sein.

Ein Buch zu schrei­ben, be­nö­tigt Mo­na­te oder Jah­re. Da darf es auch et­was Platz be­an­spru­chen, et­was wie­gen, nach et­was duf­ten und auch mit der Zeit et­was zerfleddern.

Der ste­te Re­gen trom­mel­te, die wei­che Pfer­de­haar­bürs­te wisperte.

»Viel­leicht soll­te ich nach Pa­ris«, sag­te All­men unvermittelt.

Car­los öff­ne­te die Schnür­sen­kel, half ihm aus bei­den Schu­hen, wähl­te ein an­de­res Paar, nahm den Schuh­löf­fel und half All­men hin­ein. Erst dann frag­te er: «We­gen der Kron­ju­we­len?» Es klang mehr wie ei­ne Fest­stel­lung. Er be­gann, den un­sicht­ba­ren Staub des Ober­le­ders feucht zu entfernen.

«Die Sa­che mit der Kro­ne der Ehe­frau von Na­po­le­on III, der Em­press Eu­gé­nie, ir­ri­tiert mich. Sie nicht?»

«Die die Tä­ter auf der Flucht fallenliessen?»

All­men nick­te nach­denk­lich. «Viel­leicht ei­ne Finte.»

Car­los gab das Klopf­zei­chen, und All­men setz­te den an­de­ren Schuh auf die Fußstütze.

«Was für ei­ne Fin­te, Don John?»

«Weiß nicht. Aber war­um lie­ßen sie die Kro­ne lie­gen? Es hät­te doch nur ein paar Se­kun­den ge­braucht, sie aufzuheben?»

«Viel­leicht ha­ben die nicht be­merkt, dass sie her­un­ter­ge­fal­len ist», schlug Car­los vor.

«Eher un­wahr­schein­lich.»

«Oder viel­leicht, weil sie be­schä­digt war.»

All­men nick­te und wech­sel­te auf Car­los’ Zei­chen den Fuß. Die­ser tauch­te ei­ne Zahn­bürs­te in das Glas mit brau­ner Schuh­creme und ver­teil­te sie auf dem Schuh. Da­zu sag­te er: «Wenn die vor­hät­ten, die Stei­ne her­aus­zu­bre­chen und das Gold ein­zu­schmel­zen, dann wä­re das ja egal.»

«Das wür­de be­deu­ten, die wol­len die Kron­ju­we­len in­takt», fol­ger­te Allmen.

Car­los nahm ei­ne an­de­re Bürs­te und be­gann, das frisch Ein­ge­crem­te zu be­ar­bei­ten. «Oder die wol­len, dass man das glaubt.»

All­men nick­te ent­schie­den. «Ge­nau. Es soll aus­se­hen wie der Auf­trags­job ei­nes Samm­lers. Oder ei­nes Dro­gen­bos­ses. Wie et­was, bei dem es nicht ums Geld geht, son­dern ums Prestige.»

Car­los klopf­te zum Fuß­wech­sel und tauch­te die Zahn­bürs­te wie­der ein. «Al­ler­dings ei­ne teu­re fal­sche Fähr­te», be­merk­te er.

All­men mach­te sei­ne bei Geld­fra­gen üb­li­che weg­wer­fen­de Hand­be­we­gung. «Bei die­sem Ge­samt­wert der Beu­te ist das egal.»

Wie­der klopf­te Car­los zum Schuh­wech­sel. «Sie glau­ben, die­ses Mo­tiv lenkt die Su­che von den üb­li­chen Ver­däch­ti­gen, den Heh­lern und Ver­wer­tern, ab und schränkt das Ri­si­ko ein. Weil es die Wa­re we­ni­ger heiss macht?»

«Ja, das glau­be ich. Sie nicht?»

Car­los be­gann, mit der Pfer­de­haar­bürs­te zu ar­bei­ten. Lan­ge ant­wor­te­te er nicht. Er kann­te All­mens mo­men­ta­ne fi­nan­zi­el­le Si­tua­ti­on und die Sui­ten­prei­se des Ritz. End­lich äu­ßer­te er behutsam:

«Ich möch­te es nicht aus­schlies­sen, Don John. Aber ich glau­be, es reicht nicht als Grund für Paris.»

Mi­nu­ten ver­stri­chen. Rach­ma­ni­now, Pfer­de­haar­bürs­te, Re­gen auf dem Glasdach.

«Ich fürch­te, Sie ha­ben recht, Car­los. Es reicht nicht als Grund für Pa­ris. Ich muss grund­los gehen.»

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