Geri und Knuffel (3)

Frau Stein­mer legt Ge­ri das Hünd­chen in die Arme.

„Ach, Knuf­fel“,  seufzt Ge­ri, und reckt das Kinn in die Hö­he, da­mit die klei­ne Zun­ge sei­ne Lip­pen nicht erreicht.

Als Knuf­fel Ge­ris Hals und Un­ter­kie­fer ge­nug ge­leckt hat, be­ginnt sie, sich hef­tig zu win­den, bis Ge­ri sie be­hut­sam absetzt.

Knuf­fel sprin­tet  auf die fürch­ter­li­che Hea­vy-Me­tal-Pla­kat­wand von Hans­pe­ter zu. Sie bremst im letz­ten Mo­ment, wen­det schlit­ternd, spult kurz leer, rast zu­rück zu Ge­ri, springt an ihm hoch, lässt sich aber nicht auf­neh­men, rennt zu­rück zur Hea­vy-Me­tal-Wand und stoppt.

He­chelnd steht sie vor dem Black-Sab­bath-Pos­ter, guckt her­aus­for­dernd Ge­ri an und – sieht to­tal süß aus.

„Komm zu Herr­chen“, rutscht es Ge­ri heraus.

Knuf­fel steht auf den Hin­ter­bein­chen, legt die vor­de­ren ge­streckt vor sich auf den Bo­den und bellt ein­mal kurz. 

Will sie spie­len?, fragt sich Geri.

Knuf­fel bellt wie­der auf.

Ja, sie will spielen.

Ge­ri geht ge­duckt und mit breit schlen­kern­den Ar­men auf Knuf­fel zu. Sie lässt ihn na­he, nä­her, noch nä­her her­an­kom­men, aber stiebt im letz­ten Mo­ment davon.

So ja­gen sie sich durch die Mi­ni­loft, bis Ge­ri er­schöpft aufs So­fa sinkt.

Knuf­fel springt ihm auf den Schoss. Ge­ri lässt sie. Er strei­chelt ge­dan­ken­ver­lo­ren ihr Wu­schel­köpf­chen und nickt da­bei all­mäh­lich ein.

Er träumt von Ai­ra. Sie liegt ne­ben ihm im gro­ßen Bett in der ka­ri­bi­schen Ma­ri­na. Es ist heiss, und sie nur mit ei­nem dün­nen Lein­tuch be­deckt. Sehr lü­cken­haft be­deckt. Sie schläft tief.

Auf den Ell­bo­gen ge­stützt stu­diert er sie aufmerksam.

Manch­mal dringt durch ih­re leicht ge­öff­ne­ten Lip­pen das kaum hör­ba­re win­zi­ge Schnar­chen, das er so liebt, aber das er ihr ge­gen­über na­tür­lich nie, nie er­wäh­nen würde.

Wahr­schein­lich träumt sie von et­was Sü­ßem, denkt er. Viel­leicht von ihm.

Da ver­wan­delt sich das sanf­te Schnar­chen in ein bö­ses Knurren.

Ge­ri er­wacht. Auf sei­nen Knien rap­pelt sich Knuf­fel hoch, blickt ver­wirrt um sich, we­delt kurz und macht es sich wie­der bequem.

Das Licht, das durch das Fens­ter dringt, ist däm­me­rig ge­wor­den. Ge­ri blickt auf die Uhr und er­schrickt. Ein­und­zwan­zig Uhr zwan­zig! In vier­zig Mi­nu­ten ist er im Num­ber­less mit der Cli­que ver­ab­re­det. Al­so nicht di­rekt ver­ab­re­det. Er stand ein­fach in der Nä­he, als Su­si Schläf­li et­was frü­her ging und sag­te „See you mor­gen um zehn.“  Weil er sich in Hör­wei­te be­fand, galt es al­so auch ihm.

Mög­li­cher­wei­se wür­de es nicht groß auf­fal­len, wenn er ver­spä­tet oder über­haupt nicht auf­tauch­te, aber die­se Mög­lich­keit ernst­haft in Be­tracht zu zie­hen, wür­de be­deu­ten…, aber las­sen wir das.

Je­den­falls: Nicht um zwei­und­zwan­zig Uhr im Num­ber­less auf­zu­kreu­zen hie­ße, die­se un­vor­stell­ba­re Mög­lich­keit vor­stell­bar wer­den zu lassen.

Sorg­fäl­tig hebt er die schla­fen­de Knuf­fel vom Schoss, bet­tet sie ne­ben sich aufs So­fa und deckt sie halb mit Hans­pe­ters KIZZ-Kis­sen zu. Dann schleicht er zum Klei­der­schrank und über­legt sich das Styling.

Er ent­schei­det sich für „Mi­ami Vice“, al­so T‑Shirt und Ar­ma­ni Ja­ckett. Das ist wie­der im Kom­men, wenn er den Auf­tritt von Fred­dy Gut vor­ges­tern rich­tig in­ter­pre­tiert. Für den Fall, dass es ei­ne Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on ist, schlingt er ei­nen Schal um den Hals, den er zur Not an­be­hal­ten kann. Schal geht im­mer, sagt Freddy.

„Herr­chen kommt gleich wie­der“, flüs­tert Ge­ri und geht lei­se zur Tür.

Noch be­vor er sie er­reicht hat, um­tän­zelt Knuf­fel ihn freudig.

Viel­leicht muss sie noch mal, denkt Ge­ri, und lässt sie raus.

Er schaut ihr zu, wie sie sich bei den Fahr­rad­stän­dern im Hof zum Pin­keln hin­kau­ert und sieht, dass es nicht pin­keln ist, was sie muss.

Hans­pe­ters Hin­weis auf „Hun­de­beu­tel“ auf dem Zet­tel, den er ihm hin­ter­las­sen hat, fällt ihm ein. Ge­ri hat im Le­ben schon oft Hun­de­be­sit­zer da­mit han­tie­ren se­hen, aber je­des Mal dis­kret weg­ge­schaut. Er kennt die Tech­nik der Hun­de­beu­tel-Hand­ha­bung nicht. Und hat auch nie be­ab­sich­tigt, sie sich anzueignen.

Ge­ri über­lässt das Häuf­chen der Dun­kel­heit und lockt Knuf­fel zu­rück in die Loft. „Schön war­ten“, sagt er und schließt die Tür vor der klei­nen Hundenase.

So­fort er­tönt ein Win­seln, das nach kur­zer Zeit in Bel­len übergeht.

Ge­ri zö­gert kurz und ent­schei­det sich, zu gehen.

Noch in Hör­wei­te ver­nimmt er, wie Knuf­fels Bel­len in herz­zer­rei­ßen­des Jau­len übergeht.

Das Jau­len wird zum Heu­len. Dann zum lau­ten Wei­nen.  Zum Schluchzen!

 Er bleibt ste­hen. Ge­hen? Blei­ben? Blei­ben? Gehen?

Ein hirn­ver­brann­ter Kom­pro­miss fällt ihm ein: Mitnehmen!

Ge­ri malt sich die Si­tua­ti­on aus, wie er mit ei­nem Schoß­hünd­chen an der Lei­ne im Num­ber­less auf­taucht. Das brül­len­de Ge­läch­ter, das ihn dort emp­fängt. Der Spott, der sich über ihn ergießt.

Viel­leicht wird Su­si Schläf­li ein schril­les „Jööö!“  au­s­to­ßen. Und Fred­dy Gut wird sa­gen: „Wenn schon, dann ein Bo­lon­ka. Die haa­ren we­nigs­tens nicht.“ Und Carl Schnell mah­nen: „Wisst Ihr, wie vie­le Men­schen man er­näh­ren könn­te, wenn man kein Haus­tier­fut­ter her­stel­len müss­te?“ Und Ro­bi Mei­li: „Ein Hund? War­um nicht we­nigs­tens ei­ne Katze?“

Pe­ter und Ri­ta wür­den sich an­schau­en, und sie wür­de ihm zu­rau­nen: „Ge­ris Ersatzkind.“

Und Char­ly? Char­ly wür­de sa­gen: „Sor­ry, Hund, ich muss drau­ßen bleiben.“

 Sie er­rei­chen das Num­ber­less. Ge­ri fasst den Chrom­stahl Halb­mond, der als Tür­öff­ner dient. Durch das Glas der Tür sieht er die Cli­que an Char­lys Bar hän­gen. Su­si Schläf­li, Ro­bi Mei­li, Fred­dy Gut, Carl Schnell, Pe­ter und Ri­ta und – sieht er rich­tig? – Hanspeter!

Ge­ri schaut zu Knuf­fel hinunter.

Sie blickt zu ihm her­auf. Das Köpf­chen schräg ge­legt und auf ei­ne Art, wie ihn schon lan­ge nie­mand mehr an­ge­schaut hat. Viel­leicht noch nie.

Ge­ri er­wi­dert den Blick, auch mit schräg ge­leg­tem Kopf.

Er lässt die Ein­gangs­tür los und wen­det sich ab. Fröh­lich we­delnd trip­pelt Knuf­fel ne­ben ihm nach Hause.

In der Loft fin­det er ei­nen Zet­tel von Hans­pe­ter vor: „Hab ein paar Sa­chen ge­holt, bin zwei, drei Ta­ge on the road. Al­les kuul mit dem Hund? See you – HP.“

Ge­ri schreibt auf Hans­pe­ters Zettel:

„Ha­be mei­ne Loft ge­kün­digt,  mei­ne Kla­mot­ten wer­den abgeholt.

Leckt uns al­le am Arsch.

Knuf­fel und Geri“ 

Da­mit ver­ab­schie­den sich Ge­ri und Knuf­fel auch von sei­nen Le­se­rin­nen und Le­sern. Aber na­tür­lich herz­lich und oh­ne Schimpf­wort. Und wie wir Ge­ri ken­nen, wür­de es uns nicht wun­dern, wenn er ei­nes Ta­ges wie­der auftaucht.

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