Der generöse Star
An den Swiss Music Awards hat Stephan Eicher soeben den Outstanding Achievement Award erhalten. Er wurde ihm von seinen Songtextern, den Schriftstellern Martin Suter und Philippe Dijan überreicht. Vor zehn Jahren erhielt Stephan Eicher den Kulturpreis der Stadt Zürich. Martin Suter hielt damals die Laudatio. Sie gilt heute nicht nur immer noch sondern mehr denn je:
Frau Stadtpräsidentin, sehr verehrte Damen und Herren, lieber Stephan
Möglicherweise wird Ihnen diese Laudatio auf Stephan Eicher ein wenig schnell geschrieben vorkommen. Ich habe aus Gründen der Effizienz erst damit angefangen, als feststand, dass der zu Lobende nicht bei der Einreise verhaftet worden ist. (Eine Anspielung auf Roman Polanski, der bei seiner Reise nach Zürich, wohin er vom Zürcher Filmfestival für eine vergleichbare Ehrung eingeladen war, auf Wunsch der amerikanischen Justiz verhaftet worden war.)
Stephan Eicher unterschreibt nie einen Freundschaftsvertrag, ohne das Kleingedruckte genau gelesen zu haben. In dem von uns steht zum Beispiel: Bei Ehrungen des Schriftstellers hat der Musiker zu singen, bei Ehrungen des Musikers spricht der Schriftsteller. Bis jetzt haben wir uns beide streng daran gehalten.
Die Klausel ist sehr praktisch. Es erspart uns beiden und den Organisatoren viel Kopfzerbrechen, wenn dieser Programmpunkt von Anfang an geregelt ist. Stephan hat übrigens im Wissen um die kulturelle Einseitigkeit von uns Schriftstellern die Laudatiofrage noch in einem anderen Freundschaftsvertrag geregelt: Im französischen Sprachraum lobt jeweils Philippe Djian. Das Singen übernimmt Stephan selbstverständlich für beide Sprachräume.
Dafür wollen wir ihn als erstes loben. Dass er ein französischer Star ist, der uns nicht nur nicht verleugnet, sondern uns an seinem Erfolg teilnehmen lässt, indem er uns das Gefühl gibt, sein Erfolg sei auch ein wenig derjenige von uns.
Wenn das ausverkaufte Pariser Olympia den Refrain „Wiu si Hemmige hei“ mitsingt, dann fühlen wir uns von dieser sonst übermächtigen Kulturnation so voll akzeptiert wie sonst nie. Und wenn das Publikum dies mit Akzent und nicht ganz fehlerfrei tut, fühlen wir uns ihr für einen glücklichen Moment sogar ein bisschen überlegen.
Ein Gefühl, das uns in diesen Tagen nicht oft vergönnt ist. Danke, Stephan.
Nun ist es ja nicht so, dass einer mit einem Mani-Matter-Lied aus den Siebziger Jahren in Frankreich einen Hit landen kann, weil die Franzosen uns und unsere Sprache so putzig finden. Um so etwas überhaupt zu versuchen, braucht es die Autorität und Akzeptanz eines Stars.
Es wird bei uns immer wieder unterschätzt – und deshalb muss ich in meiner Eigenschaft als Vertragslaudator daran erinnern – was Stephan in Frankreich für ein Star ist. Das ist er bei uns ja auch. Aber weil in Paris nicht die Sitte herrscht, sofort diskret wegzublicken, wenn man einem Star begegnet, fällt es einem dort viel mehr auf. Mit Stephan Eicher in Paris gesehen zu werden, ist etwas vom Nachhaltigsten, was man für sein Selbstbewusstsein tun kann.
Wem das nicht vergönnt ist, der sollte wenigsten versuchen, sich auf andere Art mit ihm in Verbindung zu bringen. Wir Schweizer werden in Frankreich besser bedient, behandelt und respektiert, wenn wir Stephan Eicher ins Spiel bringen, anstatt unsere Nationalität. Ab sofort müssen Sie nicht mehr sagen: „Gerade kürzlich habe ich zu Stephan, Stephan Eicher, gesagt: Hallo Stephan.“ Als Zürcher können Sie jetzt sagen: „Gerade kürzlich haben wir Stephan, Stephan Eicher, den Kunstpreis unserer Stadt überreicht.“
Ich sage nicht, dass dies der Hauptgrund für den Entscheid zur Verleihung gewesen ist. In seinem Werk gibt es immer wieder Bezüge zu dieser Stadt. Zum Beispiel hat er den filles du Limmatquai ein musikalisches Denkmal gesetzt. Das allein müsste der Stadt ein paar Kunstpreise wert sein.
Und sogar sprachlich hat er unlängst ein Zugeständnis an unseren Dialekt gemacht: Er hat sich bereit erklärt, in einem Lied anstatt das Berner kömmerle das Zürcher poschte zu verwenden. Zwar mehr aus rhythmischen als aus idiomatischen Gründen, aber es darf durchaus auch als der Beginn einer sprachlichen Ausweitung weg vom rein Bernerischen hin zum durchaus auch Zürcherischen gedeutet werden.
Trotzdem ist vielleicht das Verdankenswerteste am Entscheid der Stadt Zürich, Stephan Eicher mit ihrem Kunstpreis zu ehren, die Tatsache, dass ihn dieser ein bisschen zum Zürcher macht – und uns Zürcher damit automatisch ein bisschen zu Stephan Eicher.
Ein bisschen Stephan Eicher sein ist keine schlechte Voraussetzung, weder persönlich noch künstlerisch. Ich will mich hier auf das Persönliche konzentrieren, denn es ist bei Stephan entscheidend für das Künstlerische.
Für mich persönlich war Stephan Eicher immer ein Star. Nicht einfach ein guter Musiker, Songwriter, Performer wie viele andere Schweizer Künstler. Was er machte hatte von Anfang an diesen internationalen Touch. Nicht nur, weil seine Texte französisch, englisch, italienisch, hochdeutsch waren. Auch wenn er im breiten Berndeutsch sang, schwang für mich die grosse, weite Welt mit.
Schon in den achtziger Jahren hatte ich manchmal gedacht, es wäre schön, für ihn einmal einen Text zu schreiben. Aber ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte, ich besass keine Erfahrung im Umgang mit Stars.
Vor fünf Jahren begegnete ich dem Star endlich persönlich, in einem Postauto zwischen Leukerbad und Leuk. Und es war zu meiner Überraschung wie eine Begegnung zwischen zwei alten Bekannten.
Von da an habe ich immer wieder beobachtet, mit welcher Beiläufigkeit er die Aura abschüttelt, mit der ihn jemand, der ihm zum ersten Mal begegnet, zu umgeben versucht. Dass das bei ihm weder aufgesetzt noch anbiedernd wirkt, liegt daran, dass er sich ehrlich interessiert für andere Leute. Es gibt nicht viele Stars, die das tun. Die meisten sind Stars geworden, weil sie alles andere von sich fernhalten. Stephan ist es, weil er alles andere miteinbezieht.
Um das zu können, braucht es etwas für einen kreativen Menschen sehr Atypisches: Man muss frei sein von kreativem Neid.
Stephan hört zum Beispiel das neue Album des französischen Sängers Dominique A und gesteht: „Genau so hätte mein nächstes Album werden sollen.“
Ich bin in meinem Leben vielen Kreativen begegnet, und darunter gibt es auch ein paar, die ebenfalls so reagieren, wenn ihnen jemand kreativ zuvorgekommt. Aber Stephan ist der einzige, den ich kenne, der sich auch noch aufrichtig darüber freut.
Stephan hört ein Album von Tinu Heiniger, schreibt ihm eine Postkarte, wie gut es ihm, vor allem das „Lied vo de Bärge“ gefallen habe. Und produziert ihm das nächste Album.
Stephan hört die noch kaum bekannte Sophie Hunger und lädt sie ein ins Vorprogramm seines Konzerts in Paris und singt mit ihr ein Duett auf ihrem nächsten Album.
Dem jungen Sänger Raphael, von dem es auch noch heisst, er sei der neue Stephan Eicher, macht er Platz für einen Song auf seinem Album Eldorado und produziert dessen nächstes Album.
Stephan besucht ein Konzert des amerikanischen Avant-Garde-Komponisten Moondog und wird danach für eine Weile sein Sänger.
Dieser kreative Austausch ist für Stephan die Basis seines Berufs. „Und das geht in der Musik am besten“, hat er mir einmal gesagt. „Ohne meine Freude an dieser Form der Kommunikation wäre ich Zeichner geworden.“
Es ist diese kreative Generosität, die sein künstlerisches Schaffen so komplett, überraschend und vielseitig macht. – Und wahrscheinlich ist es auch sie, die die Stadt Zürich dazu bewogen hat, ihn mit ihrem Kunstpreis zu ehren.
Natürlich neben dem eingangs erwähnten Aspekt, dass sie ihn dadurch ein bisschen zum Zürcher macht. Und uns dadurch ein bisschen zu Stephan Eicher.
Was uns jetzt befähigt, ihm neidlos, ehrlich und von Herzen zu applaudieren.