Das große Martin-Suter-Interview, Teil 2
Der Journalist und Filmemacher Norbert Jenal hat im letzten Spätsommer mit dem Schriftsteller ein sehr großes und sehr persönliches Interview geführt. Wir veröffentlichen es hier exklusiv in vier Teilen. Diesmal geht es unter anderem um Geissenpeter, Smokings und den Texterberuf.
Jenal: Was ist deine schönste Kindheitserinnerung?
Suter: Da gibt es schon mehr als eine. Ich habe da keine Hierarchie. Ich war jetzt dadurch, dass ich die letzten Tage bei einem Film mitgewirkt habe, der über mich gedreht wird, in diesen Quartieren in Oerlikon, wo ich die ersten vierzehn Jahre verbracht hatte, und dachte: Das war eine schöne Zeit, meine Kindheit. Und dann die Zeit in Fribourg, das waren nur vier oder fünf Jahre, war auch sehr schön. In Fribourg war Jeudi Libre, also am Donnerstag hatte man frei. Da bin ich mit Freunden an die Saane gefahren, und wir haben dort den Wein getrunken, den ich meinem Vater aus dem Weinkeller geklaut hatte. Da war ich so zwischen 14 und 17 vielleicht. In dieser Zeit waren natürlich die ersten Liebesgeschichten sehr prägend. Und die Schulzeit war es eigentlich auch. Ich war im Collège St-Michel ein schlechter Schüler. An dem Tag, als ich dem Prorektor, Chamartin hieß der, sagen gehen durfte: „Wir ziehen jetzt weg nach Basel, ich komme nicht mehr in diese Schule“, hatte er kompromittierende Fotos von mir in Peto, auf denen ich im Smoking meines Vaters verbotenerweise am Studentenball der Universität war. Er wollte mich gerade rausschmeißen, und ich kam ihm zuvor. Auch ein schönes Jugenderlebnis.
Jenal: Du hattest den Smoking deines Vaters an?
Suter: Ja, den habe ich heute noch, nicht zum Tragen, als Andenken. Mein Vater hatte ihn sich schneidern lassen für den Polyball, den Ball des Polytechnikums, zu dem er meine Mutter frischverliebt eingeladen hatte. Er hat immer erzählt, dass sie in jener Ballnacht vor allem mit einem Fliegerleutnant in Uniform getanzt habe. Dieser Smoking also wurde ein bisschen geändert für mich. Und da war der Studentenball, und ich hatte diesen Smoking angezogen. Ich weiß gar nicht mehr, warum er geändert wurde für mich. Für irgendeinen Anlass? Oder war das schon die Hochzeit meiner Schwester gewesen? Vielleicht, ja. Da wurde er geändert, so ein Smoking aus den frühen Vierzigerjahren. Sehr schön.
Jenal: Du bist ja immer sehr elegant angezogen. Kommt das von dieser Zeit her? Oder woher stammt diese Freude bei dir, sich elegant anzuziehen?
Suter: Ach, ich habe es immer gemocht. Ich habe auch Fotos von mir auf meinem neuen Fahrrad, dass mir mein Götti geschenkt hatte, da trage ich eine Krawatte. Als ich ein kleiner Junge war, kam eine Störschneiderin zu uns und hat so kleine Anzüglein genäht. Da trug ich auch ein Mäschli, eine Fliege mit Gummizug, manchmal auch eine Krawatte. Das hat mir immer gefallen, Anzüge.