Die Gegentrendfrage

An ei­nem an­de­ren Tag, an dem es nicht schon am Mor­gen nach Herbst riecht und ein kal­ter Nie­sel­re­gen den Spät­nach­mit­tag ver­dun­kelt, hät­te Ge­ri Wei­bel die Be­mer­kung von Ro­bi Mei­li kaum zu den­ken ge­ge­ben. Sie leh­nen an der Schamp­Bar, je­der mit ei­nem un­be­rühr­ten San­de­man ne­ben dem Ell­bo­gen, und schau­en zu, wie sich lang­sam der Schirm­stän­der füllt. Ein Bild, das Ro­bi Mei­li an Lon­don er­in­nert, denn er sagt: „In Lon­don tra­gen die Kids jetzt Bir­ken­stock statt Nike. “

„Ich weiss“, ant­wor­tet Ge­ri, wie im­mer, wenn ihn Mei­li mit ei­ner Trend­mel­dung über­rascht. Aber an­statt sie in sei­nem in­ne­ren Ar­chiv für Trend­mel­dun­gen griff­be­reit ab­zu­le­gen und zum nächs­ten The­ma über­zu­ge­hen, hängt er ihr noch nach, als ihn Mei­li längst an der Bar hat ste­hen­las­sen. Und viel­leicht zum ers­ten Mal seit er sich mit dem Neu­en be­schäf­tigt, wird ihm be­wusst, wie eng auch in Trend­fra­gen das Wer­den mit dem Ver­ge­hen ver­bun­den ist. Der Ge­dan­ke de­pri­miert ihn.

So wird es denn auch et­was spä­ter an die­sem Abend und folg­lich auch am nächs­ten Mor­gen. Das trägt ihm Schwie­rig­kei­ten mit Ho­fer ein, sei­nem Li­ni­en­vor­ge­setz­ten, dem er schlecht er­klä­ren kann, dass ihn die Nach­richt von der Ab­lö­sung von Ni­ke durch Bir­ken­stock in der Gunst trend­be­wuss­ter Lon­do­ner Ju­gend­li­cher in ei­ne Sinn­kri­se ge­stürzt hat, die er mit ver­schie­de­nen ra­ren De­stil­la­ten zu über­win­den ver­sucht hat. Ho­fer ge­hört zu den Leu­ten, die mo­di­sche Trends aus­sit­zen, bis sie, wenn sie nach Jah­ren wie­der­keh­ren, er­neut von ih­nen er­grif­fen wer­den. Wahr­schein­lich trägt er zu Hau­se Bir­ken­stö­cke. Noch und wieder.

Das Wet­ter bleibt reg­ne­risch und ver­hin­dert vor­erst ein Über­grei­fen des Lon­do­ner Bir­ken­stock­trends auf das eu­ro­päi­sche Fest­land. Aber es nährt Ge­ris Me­lan­cho­lie, die ihm je­des­mal das Herz schwer macht, wenn er dem Ni­ke-Zei­chen auf ei­nem nas­sen Turn­schuh oder ei­ner trie­fen­den Ny­lon­ja­cke be­geg­net. Weh­mü­ti­ge Re­mi­nis­zenz ei­nes Früh­lings vol­ler Hoff­nun­gen, ei­nes Som­mers vol­ler un­er­füll­ter Träume.

Aber dann er­wischt er Fred­dy Gut mit ei­nem Ri­vel­la. Zwar we­der im Fisch&Vogel noch in der Schamp­Bar, son­dern im Tea Room Gu­b­ler. Trotz­dem, ei­ner wie Fred­dy Gut tut nichts zu­fäl­lig. Ei­ner, des­sen ein­zi­ge Art sich aus­zu­drü­cken die mo­di­sche ist, be­stellt kein Ri­vel­la, oh­ne da­mit ein Zei­chen set­zen zu wol­len. Auch nicht auf neu­tra­lem Bo­den. Wenn Fred­dy, Red Bull-Pio­nier, Alm­dud­ler-Pro­mo­ter und Al­ko­pops-Ken­ner ris­kiert, mit ei­nem Ri­vel­la an­ge­trof­fen zu wer­den, und sei es auch nur im Gu­b­ler, dann ist das ein Signal.

Ge­ri ist ein ge­üb­ter Deu­ter von Fred­dys Si­gna­len und braucht nicht lan­ge, um die Bot­schaft zu ent­schlüs­seln: Ri­vel­la ist der Bir­ken­stock un­ter den Soft­drinks. Fred­dy Gut ist da­bei, das Ter­rain für den Lon­do­ner Bir­ken­stock­trend vorzubereiten 

Die­ses An­zei­chen da­für, dass die Sta­gna­ti­ons­pha­se zwi­schen zwei Trends vor­über ist und die Din­ge wie­der in Be­we­gung ge­ra­ten, reis­sen Ge­ri aus sei­ner Me­lan­cho­lie. Er ver­gisst das Ver­gan­ge­ne und wen­det sich wie­der dem Kom­men­den zu. Wie ein ab­ge­brüh­ter Trend­wat­cher prüft er Mög­lich­kei­ten, wie er dem Bir­ken­stock­trend zu­vor­kom­men kann, in­dem er ihn auf ei­ner an­de­ren Ebe­ne va­ri­iert, oh­ne Fred­dy Guts Ri­vel­la-Va­ri­an­te zu kopieren.

Bei der Durch­sicht sei­nes Schranks stösst er auf: 1 Paar Frot­tee­so­cken, hell­blau; 1 Le­der­kra­wat­te, wein­rot; 1 Nied­rig­lohn­land-Sei­den­hemd, pe­trol; 1 Bla­zer, senf­gelb; 1 Jeans­müt­ze; 1 Ca­li­da Py­ja­ma, dun­kel­blau mit grau­en Bor­ten. Letz­te­res legt er un­ter das Kopf­kis­sen, fest ent­schlos­sen, des­sen Wir­kung zu tes­ten, falls es sich er­ge­ben soll­te, dass er die­sen Abend die Schamp­Bar in Be­glei­tung ver­lässt. Ein ei­ni­ger­mas­sen kal­ku­lier­ba­res Risiko.

Die üb­ri­gen An­leh­nun­gen an Bir­ken­stock legt er in den Schrank zu­rück. Für die Test­pha­se des Trends sind sie ihm noch et­was zu pla­ka­tiv. Er ver­lässt das Haus mit zwei dis­kre­te­ren Ac­ces­soires aus der Bir­ken­stock-Welt: ei­ner Rolf Knie Bank­kar­te und ei­ner Mi­chel Jor­di Eth­no Uhr.

Ge­ri war­tet lan­ge auf ei­ne Ge­le­gen­heit, sein Trend­si­gnal zu set­zen. Erst spät abends in der Schamp­Bar sagt Ro­bi Mei­li: „In Lon­don tra­gen die Kids jetzt Bir­ken­stock statt Nike.“

Fred­dy Gut, die Mo­de­au­to­ri­tät, nickt. „Das geht. Aber nicht eins zu eins. Als Bruch. Als iro­ni­sches Zi­tat, wie da­mals Adi­das oder Swiss Ethno.“

Ge­ri holt mit der Lin­ken weit aus und schaut auf sei­ne edel­weiss­ver­zier­te Uhr wie je­mand, für den es lang­sam Zeit wird.

„Bei ge­wis­sen Leu­ten“, fährt Fred­dy Gut fort, „wirkt es ein­fach zu authentisch.

×
Login

Passwort wiederherstellen

Abonnieren
Jahresabo für 60 Franken
Probeabo

Falls Sie einen Code besitzen, geben Sie diesen hier ein.

Gutschein

Martin Suter kann man auch verschenken.
Ein ganzes Jahr für nur 60 Franken.
Versandadresse: