Die Frauenfrage
Falls jemand daran zweifeln sollte: Geri Weibel steht auf Frauen. Dass sie keine große Rolle spielen in seinem Leben, ist ein Eindruck, der täuscht. Sie spielen die Hauptrolle. Weshalb sonst würde er so streng darauf achten, nichts falsch zu machen, wenn nicht, um den Frauen zu gefallen? Die Akzeptanz, die er bei den Männern seiner Umgebung sucht, dient ihm nur als Vehikel in die Herzen der Frauen. Was die Sache etwas kompliziert macht: Um theoretisch die Herzen der Frauen gewinnen zu können, ist er in der Praxis auch schon einmal bereit, eines zu brechen. Zum Beispiel das von Heidi Schmid.
Sie gehörte zur Stammgastprominenz des „Mucho Gusto“, bis sie unerwartet ins Alternative abdriftete. Stylingmässig, ideologisch waren damals alle im „Mucho Gusto“ alternativ. Aber urban gestylt. Heidi jedoch fing an, weite Gewänder aus naturbelassenen Materialien zu tragen und nichts an ihre Haut zu lassen, außer Wasser und Hamamelis. Geri, Naturfaser, aber schwarz, begann sich mit Heidi Schmid in der Öffentlichkeit zu genieren. Ihr Name fing an, zu ihrer Erscheinung zu passen, wie Freddy Gut sich ausdrückte. Geri musste sich entscheiden, ob er es sich gesellschaftlich noch leisten konnte, Heidi zu lieben. Gut möglich, dass er sich von ihr getrennt hätte, wenn sie ihn nicht verlassen hätte, bevor er sich restlos im Klaren war. So wurde Heidi die erste Frau, die er um ein Haar seiner Attraktivität für andere Frauen zu opfern bereit gewesen wäre.
Dabei ist Geri alles andere als gefühlskalt. Er kann sich aus dem Stand verlieben. Heftig, und wenn es sich ergibt, auch mehrmals am selben Abend. Aber weil Geri Abweisung als Kritik an seiner Person versteht, etwas, das er ausgesprochen schlecht verkraftet, behält er seine Gefühle für sich. Dementsprechend selten kommt es vor, dass diese erwidert werden. So entwickelt er sich unter der Tarnung des hart gesottenen Singles zum stillen Verehrer sozusagen jeder Frau.
Nicht nur die Frauen im „Mucho Gusto“ und in der „ChampBar“ bezaubern ihn. Auch die der Außenwelt. Es vergeht kaum eine Tramfahrt, in deren Verlauf er nicht der Frau seiner Träume begegnet. Aber mit einer Frau aus dem „Mucho Gusto“ und der „ChampBar“ würde er sich viel Akzeptanzärger ersparen. Wenn ihm nicht das Gleiche passiert wie mit Heidi, der Szenen-Prinzessin, die vielleicht sein Kuss in einen Frosch verwandelt hatte.
Geri Weibel konzentriert sich also auf die Frauen in seinen Kreisen. Und das praktisch ununterbrochen. Er sitzt in der „Champbar“ wie der Jurypräsident des Birdwatcher-Clubs und verteilt Punkte für Styling, Figur und Ausstrahlung. Oder Noten wie ein Sprungrichter für Stil und Oberweiten. Sein Repertoire an Methoden, die Augen abzuschirmen, um die Frauen unbemerkt taxieren zu können, ist so vielseitig, dass er am Stammtisch des „Mucho Gusto“ als Grübler aufzufallen beginnt.
Geri Weibel, der Mann, dem keine nein sagen kann, weil er keine fragt, geht alleine ins Bett. Wie ein entscheidungsschwacher Harems-Besitzer.
Nur ganz selten kommt es vor, dass er die „SchampBar“ in Begleitung verlässt. Einmal hat ihn Susi Schläfli nach einer Eifersuchtsszene mit Robi Meili mitgenommen und die halbe Nacht geweint und einen nesselartigen Ausschlag bekommen im Gesicht und – angeblich – am ganzen Körper. Einmal hat sich Evi Schlegel an ihn geklammert, weil Alfred „Izmir“ Huber zudringlich geworden war, und sie bei Geri sicher war, „dass er nichts von einer Frau will“. Einmal hat ihn eine Unbekannte mit Ostschweizer Akzent gefragt, ob er Single sei, und als er lächelnd nickte, gefragt, ob sie bei ihm übernachten könne. Einen Schlafsack habe sie dabei.
Aber dann trifft er Ada im „No Way“, einem Fashion Café, in dem er regelmäßig die Direktimporte durchcheckt. Ada ist Koreanerin. Er fragt sie auf Englisch, ob sie diese Tommy Hilfiger Badehose auch in M habe, und sie antwortet auf Zürichdeutsch, dass sie nicht hier arbeite. Geri lädt sie zu einem Espresso ein. Und dann, in einem Anfall von Liebe und Übermut, zum Nachtessen ins „Mucho Gusto“.
Ada sieht umwerfend aus. Geri beobachtet diesmal aus den abgeschirmten Augen nicht Frauen, sondern Robi Meili, Carl Schnell und die andern.
Aus Ada und Geri wäre ein Traumpaar geworden, hätte nicht Freddy Gut später in der „SchampBar“ gesagt: „Auch wenn sie adoptiert sind und Schweizerdeutsch sprechen, mit einer Asiatin wirkst du immer wie wenn du dir in Thailand eine Frau posten musstest, weil dich hier keine will.“
Von da an sieht man Ada nie mehr mit Geri Weibel in der „SchampBar“. Dafür oft mit Freddy Gut.
Juli 1997