Wacker privat

Karl­heinz Wa­cker be­sitzt nicht be­son­ders viel von dem, was man als na­tür­li­che Au­to­ri­tät zu be­zeich­nen pflegt. Er ge­hört auch nicht ge­ra­de zu den Ma­na­gern, die ih­ren Un­ter­ge­be­nen da­durch Re­spekt ab­ver­lan­gen, dass sie ih­nen fach­lich über­le­gen sind. Wa­cker hat sei­ne Kar­rie­re an­de­ren Fä­hig­kei­ten zu ver­dan­ken. Ei­nem sehr fei­nen Ge­spür für das Ti­ming von Loya­li­täts­ver­la­ge­run­gen, zum Bei­spiel. Ei­nem si­che­ren In­stinkt für Macht­ver­schie­bun­gen. Und ei­ner na­tür­li­chen tak­ti­schen Begabung.

Ta­len­te, mit de­nen man Vor­ge­setz­te mehr be­ein­druckt als Un­ter­ge­be­ne. Für die hat er ein an­de­res Re­zept: Distanz.

Wa­cker hat schon früh in sei­ner Lauf­bahn fest­ge­stellt, dass per­sön­li­che Di­stanz ein brauch­ba­res Füh­rungs­in­stru­ment ist. Wenn ei­nem die na­tür­li­che Au­to­ri­tät ab­geht, muss man für künst­li­che sorgen.

Na­tür­lich bringt schon die Hier­ar­chie ei­ni­ges an Di­stanz. Wa­cker ge­hört nicht zu den Leu­ten, die hier­ar­chi­sche Stan­des­un­ter­schie­de ver­we­deln. Im Ge­gen­teil: er reizt sie aus. Er wür­de nie ei­ne An­wei­sung nach wei­ter un­ten als an  die nächst un­te­re Hier­ar­chie­stu­fe er­tei­len. Auch mit sei­nen di­rek­ten Un­ter­ge­be­nen wür­de er nie über et­was an­de­res als über Ge­schäft­li­ches re­den. Be­reits ein Satz wie ”Was für ein Sau­wet­ter” lie­ße den Schluss zu, dass Wa­cker lie­ber schö­nes als schlech­tes Wet­ter und so­mit et­was ge­mein­sam mit sei­nen Un­ter­ge­be­nen hat. Er wird sich hü­ten, sich in ir­gend­ei­ner Be­zie­hung auf die glei­che Stu­fe wie sei­ne Un­ter­ge­be­nen zu be­ge­ben. Und sei es auch nur im Be­zug auf sei­ne me­teo­ro­lo­gi­schen Prä­fe­ren­zen. Wa­cker ist über­zeugt: Je mehr er von sich preis­gibt, des­to we­ni­ger wird er respektiert.

Die­se Ta­bui­sie­rung des pri­va­ten Wa­cker setzt sich auch auf der glei­chen Hier­ar­chie­ebe­ne fort. Weil für Wa­cker die Gleich­ge­stell­ten von heu­te die Un­ter­ge­be­nen von mor­gen sind, hält er auch zu die­sen Di­stanz. Selbst sei­nen Vor­ge­setz­ten ge­gen­über ver­sucht er, mög­lichst we­nig Ein­blick in sein Pri­vat­le­ben zu ge­wäh­ren. Denn der Vor­ge­setz­te von heu­te ist der Gleich­ge­stell­te von morgen.

So ist es ihm denn auch äu­ßerst un­an­ge­nehm, als ihn Wan­der, sein Chef, am Frei­tag­abend in­for­miert, dass er ihn am Sonn­tag an­ru­fen wer­de, um mit ihm ein paar De­tails über ei­ne Sit­zung am frü­hen Mon­tag­mor­gen abzustimmen.

Um zu ver­hin­dern, dass Mag­da oder ei­nes der Kin­der den An­ruf ent­ge­gen­neh­men, steht Wa­cker am Sonn­tag be­reits um halb acht auf. Den gan­zen Vor­mit­tag hält er sich in der Nä­he des Te­le­fons auf. Den gan­zen Nach­mit­tag ruft nie­mand an, au­ßer Mag­das Mut­ter, die ihn in ein län­ge­res Ge­spräch verwickelt.

Kurz vor fünf zwingt ihn sein Stoff­wech­sel zu der seit den frü­hen Mor­gen­stun­den auf­ge­scho­be­ne Toi­let­ten­sit­zung. ”Wenn je­mand für mich an­ruft”, schärft er Mag­da, Pat und dem Nest­häk­chen Wan­da ein, ”bin ich am Ki­osk und ru­fe zurück.”

Wa­cker sitzt noch kei­ne drei Mi­nu­ten auf dem Klo, als das Te­le­fon klin­gelt. Er schafft es ir­gend­wie, beim drit­ten Läu­ten den Ap­pa­rat zu er­rei­chen. Ge­ra­de recht­zei­tig, um zu hö­ren, wie Pat zu Wan­der sagt: ”Der Pa­pi ruft Sie zu­rück, er sitzt ge­ra­de auf dem Kiosk.”

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