Perlers Sonntagmorgen
Sonntag, neun Uhr elf. Seit sieben Uhr drei liegt Perler wach. Bea schläft noch. Um acht Uhr zwölf hatte er einen Moment geglaubt, sie sei aufgewacht. Er hatte gegähnt, wie jemand, der sich mit aller Kraft gegen das Aufstehen sträubt. Sie hatte ”Psst” gemacht und weitergeschlafen.
Am Sonntag ist Perler immer als Letzter aus den Federn. Man ist ja kein Roboter. Kein Mensch kann jeden Morgen kurz vor sieben aus dem Bett und hinein in den Sechszehnstundentag. Jedenfalls nicht auf Dauer. Einmal in der Woche auspennen, das ist das Mindeste, was man einem Arbeitstier wie Perler zugestehen muss.
Bea murmelt etwas.
”Hmmm?” macht Perler, wie aus einer tiefen Bewusstlosigkeit.
Bea reagiert nicht. Nicht einmal mit ”Pssst”. Nur ihre ruhigen, regelmäßigen Atemzüge dringen an sein Ohr.
Das kann übrigens nicht jeder, denkt Perler, einfach abschalten. Bei den meisten arbeitet, denkt, entscheidet es weiter. Das sind dann eben die, bei denen es eines schönen Tages krack macht. Die werden innerlich aufgefressen, bis nur noch die Hülle übrig ist. Und dann, beim geringsten Anlass: krack!
Weimann ist so einer, denkt Perler. Er könnte wetten, dass Weimanns Regenerationsperformance zu wünschen übrig lässt. Das wird ihm eines Tages das Genick brechen. Krack! Jetzt mag er – oberflächlich betrachtet – Perler gegenüber noch im Vorteil sein. Jedenfalls präsenzzeitmässig. Aber der Mann ist kein Regenerierer, da ist sich Perler sicher. Allein die Vorstellung, Weimann könnte jetzt noch im Bett liegen und die Atemzüge seiner Frau zählen, erscheint ihm grotesk.
Ein Geräusch lenkt Perler von der Regeneration ab. Etwas Rauhes im sanften Atmen von Bea. Könnte es der Ansatz eines Schnarchens sein? Perler wundert sich. Nicht über das Schnarchen an sich, sondern über den Zeitpunkt. Normalerweise passiert Bea das in ihrer Tiefschlafphase. Aber Tiefschlafphase um neun Uhr achtundzwanzig?
Das soll ihm Weimann einmal nachmachen: Am Sonntagmorgen um neun Uhr achtundzwanzig in der Pfanne liegen, neben ihm die Frau in der Tiefschlafphase!
Eines Tages werden das die Reserven sein, die Perler im entscheidenden Moment gegen Weimann wird mobilisieren können. Wenn der sich ausgekotzt hat, wenn Perler ihn durch alle Posten seiner Karriere vor sich her gehetzt hat, wird er ihn auf den letzten Metern überspurten.
Beas Atem geht jetzt wieder ruhig. Perler stellt sich vor, wie er Weimann überspurtet. Er hängt in seinem Windschatten und regeneriert, bis Weimann nachlässt. In diesem Moment spaziert Perler nach vorn. Weimann fällt zurück, hat keine Luft mehr. Krack! tönt es, weit hinter Perler.
Um zehn Uhr achtzehn deutet alles darauf, dass Bea am Aufstehen ist. Aber dann dreht sie sich doch noch einmal um. Erst um zehn Uhr zweiundvierzig quält sie endlich aus den Laken.
Perler gähnt dankbar. Er wird nur noch bis elf Uhr zwölf liegen bleiben müssen.
Denn am Sonntag ist Perler immer als Letzter aus den Federn.