Nie mehr Prosecco

Viel­leicht hät­te Hof­meis­ter die Ein­la­dung zum Ein­stand von Beck­mann ab­leh­nen sol­len. Oder zu­min­dest das vier­te Glas Pro­sec­co. Aber er tut, als ob er nicht be­mer­ke, dass ihm Beck­mann nach­schenkt und wehrt erst ab, als das Glas schon voll ist.

Er be­schließt, die Pro­mil­le­gren­ze mit ein paar Über­stun­den ab­zu­sen­ken und ruft zu Hau­se an, es wer­de spät.

Als er sein Bü­ro be­tritt, fühlt er sich gut. Es war rich­tig, dass er sich bei Beck­manns Ein­stand ge­zeigt hat. Sein Image hat durch die Ent­las­sung von Möh­rin­ger et­was ge­lit­ten. Der Kün­di­gungs­vor­wand – se­xu­el­le Be­läs­ti­gung ei­ner Mit­ar­bei­te­rin via In­ter­net – war et­was schlecht ge­wählt ge­we­sen. Aber er bot sich an, nach­dem Möh­rin­ger über e‑mail ei­nen Por­no-Link ver­brei­tet hat­te und aus­ge­rech­net Frau Sturzin­ger aus dem Ver­tei­ler zu ent­fer­nen ver­gaß. Möh­rin­gers Ent­behr­lich­keit und Frau Sturzin­gers Un­ent­behr­lich­keit er­ga­ben ei­ne so ex­plo­si­ve Mi­schung, dass die­ser auf der Stra­ße stand, be­vor er wuss­te, wie ihm geschah.

Seit­her gilt Hof­meis­ter in­tern als et­was hu­mor­los. Es scha­det nichts, sich ab und zu an ei­nem so­cial event zu zeigen.

Er schal­tet den neu­en Lap­top ein. Bis die Wir­kung der vier Pro­sec­cos nach­ge­las­sen hat, wird er Pen­den­zen er­le­di­gen. Aber sei­ne Ge­dan­ken wan­dern im­mer wie­der zu Möh­rin­gers ver­häng­nis­vol­lem e‑mail. Der link, den er ver­schickt hat­te, war üb­ri­gens echt star­ker Ta­bak ge­we­sen. Er hat­te ihn da­mals – strikt im Rah­men der Un­ter­su­chung, ver­steht sich – be­gut­ach­tet. Frau Sturzin­gers Em­pö­rung war ab­so­lut be­rech­tigt gewesen.

Oh­ne die vier Pro­sec­cos hät­te Hof­meis­ter be­stimmt dar­auf ver­zich­tet, Möh­rin­gers kom­pro­mit­tie­ren­des Bild her­un­ter­zu­la­den und – nur für den Fall ei­nes ar­beits­recht­li­chen Nach­spiels – auszudrucken.

Er geht ins Vor­zim­mer und war­tet vor dem Dru­cker ne­ben Frau Sturzin­gers Schreib­tisch auf das Be­weis­stück. Aber es pas­siert nichts. Er geht zu­rück zu sei­nem Lap­top. Auf dem Bild­schirm rä­kelt sich noch im­mer das Cor­pus De­lic­ti. Der Maus­pfeil ist festgefroren.

Hof­meis­ter schal­tet den Com­pu­ter aus und star­tet ihn neu. Wie­der er­scheint das Bild, der Maus­pfeil ist im­mer noch an der­sel­ben heik­len Stel­le fest­ge­fro­ren. Was er auch ver­sucht, nach je­dem Neu­start er­starrt der Screen zum Bild, das Möh­rin­ger Kopf und Kra­gen ge­kos­tet hat.

Er kann un­mög­lich am nächs­ten Mor­gen den EDV-Tech­ni­ker bei­zie­hen. Spä­tes­tens ei­ne Stun­de spä­ter wür­de die gan­ze Fir­ma im De­tail wis­sen, was für ein Bild Hof­meis­ters neu­en Lap­top lahm­ge­legt hat.

Er klappt schließ­lich das Ge­rät zu und steckt es in die Map­pe. Er fährt ei­nen Um­weg, hält auf ei­ner Brü­cke und wirft die knapp elf­tau­send Fran­ken High­tech samt Ka­bel und ISDN-Ad­ap­ter in den brau­nen Fluss. Er­leich­tert und ei­ni­ger­ma­ßen nüch­tern fährt er nach Hause.

Am nächs­ten Mor­gen, als Frau Sturzin­ger den Dru­cker ein­schal­tet, wer­den Frau Pie­ren und Frau Juil­land Zeu­gin­nen, wie plötz­lich die grü­ne Be­triebs­an­zei­ge zu blin­ken be­ginnt, lang­sam ein Farb­fo­to in die Pa­pier­aus­ga­be glei­tet und Frau Sturzin­ger ei­nen so lau­ten Schrei aus­stößt, dass Hof­meis­ter be­sorgt den Kopf hereinstreckt.

25.5.2000

×
Login

Passwort wiederherstellen

Abonnieren
Jahresabo für 60 Franken
Probeabo

Falls Sie einen Code besitzen, geben Sie diesen hier ein.

Gutschein

Martin Suter kann man auch verschenken.
Ein ganzes Jahr für nur 60 Franken.
Versandadresse: