Häberle inkognito

Das ist das Schö­ne an ei­ner al­ten De­mo­kra­tie, sagt Hä­ber­le im­mer: wenn der Prinz Charles an den Ski­lift kommt, muss er hin­ten an­ste­hen, wie je­der an­de­re auch.

Das gilt auch für Hä­ber­le. Da kräht kein Hahn da­nach, ob es sich bei dem Herrn im mit­ter­nachts­blau­en Ski­over­all um ei­nen der Vor­tän­zer auf dem Wirt­schafts­par­kett han­delt oder um ei­nen ein­fa­chen Pro­ku­ris­ten, der ein­mal an der Luft schnup­pern will, mit dem sich der in­ter­na­tio­na­le Jet-Set die Lun­gen füllt.

Hä­ber­le fin­det sich nicht nur ab mit die­ser Gleich­be­hand­lung, er ge­nießt sie in vol­len Zü­gen. Wie ein ori­en­ta­li­scher Herr­scher, der sich ver­klei­det auf den Souk schleicht, um zu hö­ren, was das ein­fa­che Volk über sei­ne Re­gent­schaft sagt. Auch wenn Hä­ber­les Re­gent­schaft in der Uni­al das ein­fa­che Volk nicht so di­rekt be­wegt, weil es de­ren Aus­wir­kun­gen auf sein Wohl­erge­hen un­ter­schätzt: hier, un­ter dem volks­wirt­schaft­lich be­wuss­te­ren Pu­bli­kum ei­nes Lu­xus­kur­orts tarnt er sich vor­sorg­lich mit Müt­ze und Sonnenbrille.

Hä­ber­le hat jetzt die zwei­te Haar­na­del­kur­ve der Ski­lift Schlan­ge er­reicht und war­tet ge­dul­dig, bis die jun­ge Frau mit dem faust­gro­ßen Sil­ber­ruck­sä­cken sei­ne Skis frei­ge­ge­ben hat. Wenn die wüss­te, wem sie da die Hoch­glanz-Ober­flä­che der neu­en Skis zer­kratzt, denkt er, und setzt schon ein­mal das mil­de Lä­cheln auf, mit dem er ih­rer Ent­schul­di­gung zu­vor­kom­men will. Er be­merkt zu spät, dass ein jun­ger Snow­boar­der es of­fen­bar als Ein­la­dung miss­ver­stan­den hat, ihn in­nen zu überholen.

Nun, Hä­ber­le ist in den Fe­ri­en, er hat kei­nen Ter­min in der Berg­sta­ti­on. Er will das schul­ter­zu­ckend ei­ner wirk­lich gut aus­se­hen­den Frau zu ver­ste­hen ge­ben, die das Ge­drän­ge in der Kur­ve an sei­ne Sei­te ge­spült hat. Trotz D, F, E und et­was I ge­lingt es ihm nicht, das Miss­ver­ständ­nis auf­zu­klä­ren, dass er sich mit ihr an der Berg­sta­ti­on ver­ab­re­den wol­le. Sie lässt sich zu­rück­fal­len, und Hä­ber­le kon­zen­triert sich dar­auf, vom jun­gen Snow­boar­der nicht voll­ends ab­ge­hängt zu werden.

Ei­nen Mo­ment ist er ver­sucht, Son­nen­bril­le und Müt­ze kurz ab­zu­neh­men und der jun­gen Frau zu zei­gen, mit wem sie ei­ne Ski­lift­fahrt ver­passt. Aber das Ri­si­ko, von al­len Sei­ten an­ge­quatscht zu wer­den, ist ihm dann doch zu gross.

Bei der letz­ten Kur­ve ge­lingt es ihm, mit ei­ner et­was rü­pel­haf­ten In­nen­wen­de den Rück­stand auf den Snow­boar­der wett­zu­ma­chen. Er mus­tert das Bürsch­chen durch sei­ne ver­spie­gel­te Bril­le. Sieht aus wie ein Sohn aus Füh­rungs­krei­sen, in de­nen Hä­ber­le zum Tisch­ge­spräch ge­hört. Aber er er­spart dem Lüm­mel den Schock sei­ner De­mas­kie­rung. Als sie beim Ein­stieg an­kom­men, über­lässt er ihm gar mit ei­nem her­ab­las­sen­den Lä­cheln den Bügel.

„He! Hopp, du!“, schreit ihn da der Ski­lift-Mann an. Hä­ber­le hängt sich im letz­ten Mo­ment ne­ben den Snow­boar­der, kämpft mit dem Gleich­ge­wicht und ver­liert es nach fünf Me­tern. Erst nach zwan­zig lässt er los.

Jetzt, oh­ne Müt­ze, Skis und Son­nen­bril­le er­ken­nen ihn doch ei­ni­ge der vor­bei­fah­ren­den Ski­lift­fah­rer. Hä­ber­le sucht ne­ben dem Tras­se sei­ne Sa­chen zu­sam­men, wie je­der an­de­re auch. Das ist das Schö­ne an ei­ner al­ten Demokratie.

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