Ein philosophischer Showdown

Donnerstagabend in den Fitness-Facilitys für obere Kader. Auf den beiden Laufbändern legen Effringer und Schatzmann ihre Kilometer zurück. Aus den Lautsprechern rieselt Meditationsmusik.
”Wie im richtigen Leben”, sagt Effringer unvermittelt.
Schatzmann braucht einen Moment, um zu realisieren, dass Effringer mit ihm spricht. Sie haben sich normalerweise nicht viel zu sagen. ”Bitte?”
”Wie im richtigen Leben: Man marschiert und marschiert und kommt nicht von der Stelle.”
”Ach so, ja, das. Geht es Ihnen auch manchmal so?”
”In letzter Zeit immer öfter. Kaum hat man das Problem hinter sich gelassen, taucht es wieder vor einem auf. Wie dieser Fleck auf dem Rollband.”
Schatzmann versucht hinüberzuschauen, ohne aus dem Tritt zu fallen. Effringer deutet auf etwas vor seinen Füßen und sagt: ”Da! Und weg! Und da! Und weg! Und da! Und weg! Und da!”
”Ich sehe, was Sie meinen. Schönes Bild. Kaum weg und schon wieder da.” Schatzmann sieht jetzt auch auf seinem Band einen Fleck, der kommt und geht, kommt und geht.
Beide traben weiter, jeder in das stete Kommen und Gehen seines Flecks vertieft.
Effringer ist es, der den Faden wieder aufnimmt. ”Vielleicht”, sinniert er, ”ist das der Sinn des Ganzen: Uns auf Trab zu halten, damit wir nicht zum Nachdenken kommen über den Sinn des Ganzen. Das Problem ist die Lösung.”
”Der Weg ist das Ziel”, ergänzt Schatzmann, um auch etwas Tiefschürfendes zu sagen.”
”Sagt der Goldhamster im Rad”, versetzt Effringer mit einem bitteren Lachen.
Schatzmann ist sich nicht sicher, ob die Bemerkung auf ihn gemünzt ist. Schweigend traben sie weiter.
Jetzt beschleunigen die Programme die beiden Laufbänder zu einem Laufschritt-Intervall. Das verlangt die ganze Konzentration von Effringer und Schatzmann. Die beiden Flecken kommengehenkommengehenkommen.
Als das Intervall vorbei ist, keucht Effringer: ”Und wie im richtigen Leben sind nicht wir es, die das Tempo bestimmen. Wir müssen zusehen, dass wir es halten können.”
Schatzmann führt den Gedanken weiter. ”Und doch – bliebe man stehen, würde man zurückgeworfen. Wie im richtigen Leben. Wir haben keine Wahl als fortzuschreiten. Fortschreiten ist unsere einzige Chance, wenigstens am Fleck zu bleiben.”
Schatzmann will die Theorie mit einem Experiment erhärten. Kurz stehen bleiben, für Sekundenbruchteile aus Effringers Gesichtsfeld verschwinden und im letzten Moment wieder zu ihm aufschließen.
Effringer, der die philosophisch-sportliche Oberhand behalten will, hat die gleiche Idee. Er bleibt in derselben Sekunde stehen.
Just in diesem Augenblick schaltet die höhere Gewalt der Elektronik auf Laufschritt. Schatzmann und Effringer werden rücklings vom Laufband katapultiert.
Beide erleiden im Steißbein-Bereich einen komplizierten Karriereknick.