Die Kursrelevanz des Bürstenkopfs
Kathrin Feltners Bürstenkopf hat einen roten Ring, Rolf Feltners einen andersfarbigen. Grün, gelb, blau, orange, egal: jedenfalls nicht rot. Nie und nimmer. Der Bürstenkopf mit dem roten Ring ist immer und in jedem Fall der von Kathrin. Es spielt auch keine Rolle, ob er sich im linken oder rechten Fach des Ladegeräts befindet: Wenn er mit einem roten Ring ausgestattet ist, handelt es sich um Kathrins Bürstenkopf. Es hat auch nichts zu bedeuten, wenn er einmal schon oder noch auf der elektrischen Zahnbürste steckt oder ob er feucht oder trocken ist: Der Ring ist das einzige Erkennungszeichen. Rot bedeutet: Hände weg, Rolf, ich gehöre Kathrin!
Das sollte eigentlich nicht so schwer sein. Selbst für einen derart ausgelasteten Mann wie Rolf Feltner. Selbst wenn es einmal spät geworden ist.
Nun kann man dem entgegenhalten – und Feltner tut das auch – dass es nach sechsundzwanzig Jahren Ehe nicht so schlimm sein kann, wenn einer der Partner einmal den Bürstenkopf des andern benützt. Wäre es vielleicht auch nicht, wenn nichts GRÜNES in den Borsten hängenbliebe. Wenn man sich an einem Morgen aus dem Bett quält, um dem Gatten beim Frühstück Gesellschaft zu leisten, obwohl dieser den Vorabend ohne einen verbracht hat, und dann hängt im Bürstenkopf etwas GRÜNES, dann stellt es einem ab. Dann kann einem schon einmal ein Satz herausrutschen wie: ”Will ein Unternehmen leiten und kann nicht einmal Rot und Gelb unterscheiden!”
Kathrin Feltner hätte den Satz wahrscheinlich zurückgenommen, wenn Feltner nicht diskutiert hätte. (”Woher weißt du, dass das GRÜNE nicht von Dir stammt?” -”Weil ich gestern nichts GRÜNES gegessen habe!” – ”Da reicht schon die Kräuterbutter auf den Weinbergschnecken.” – ”Sag bloss, du hast Schnecken gegessen!” – ”Wie soll ich mir merken, welches mein Bürstenkopf ist, wenn ich jedesmal eine andere Farbe habe?” – ”Du hast immer den Nicht-Roten!”)
Wenn Feltner nicht diskutiert hätte, hätte Kathrin sich nicht im Schlafzimmer eingeschlossen und Feltner wäre pünktlich und entspannt im Büro eingetroffen. Aber so kommt er wutschnaubend zwanzig Minuten zu spät und wird im Sitzungszimmer von Speiser und Schranz erwartet, die betont vorwurfslos über seine Verspätung hinweggehen.
Das hat ihm gerade noch gefehlt, dass Speiser und Schranz über seine Verspätung hinweggehen als hätten sie eine andere Wahl!
Er folgt angewidert der Präsentation des neuen Strategiekonzeptes der beiden, die in der Empfehlung gipfelt, die POLWAG aufzukaufen, einen mittleren Zulieferbetrieb, der hervorragend zur Strategie des Unternehmens passt. Nicht besonders originell. Die Sache ist so gut wie beschlossen und wird von der Börse seit einiger Zeit erwartet.
Aber Feltner ist so stinksauer, dass er die beiden abputzt wie Schulbuben und die Übernahme abbläst.
Als die Börse von der brüsken Strategieänderung Wind bekommt, brechen die Kurse von Feltners Unternehmen ein.
Den Bürstenkopf mit dem roten Ring benützt Feltner fortan nie mehr.
24.8.2000