Bitte, bitte nicht stören

Manchmal steht die Tür zu Waslers Vorzimmer offen, damit Frau Dahlberg den Gang überblicken kann. Das wäre eigentlich nicht nötig, die offene Tür reicht als Signal. Aber es könnte ja sein, dass sich ein Fremder am Empfang vorbeischmuggelt, die Rezeptionistin, Frau Trauber, ist seit dem neuen Freund etwas unaufmerksam. Vor ein paar Tagen tauchte hier ein Velokurier auf. Im Achten! Trampelte mit Stahlbolzen an den Sohlen seiner Rennschuhe über den Juraschiefer des Gangs, klonk, klonk. Und aus seinem Funkgerät knarrte es: ”Blitz einundzwanzig, bitte Zentrale, hueresiech.” Zum Glück war Wasler zufällig gerade nicht im Büro.
Die Internen gehen automatisch auf Zehenspitzen, wenn sie sehen, dass das Dahlberg-Büro offen ist. Und falls sie zu zweit sind, unterbrechen sie das Gespräch. Falls sie das nicht bereits beim Verlassen des Fahrstuhls getan haben. Beziehungsweise, während sich die Fahrstuhltür öffnete. Ein Vorgang, der an bestimmten Tagen mit einem leisen Quietschen verbunden ist, kein Mensch weiß warum. Der für die Liftrevision zuständige Techniker, den Frau Dahlberg schon mehrmals außerhalb des Turnus bestellt hat, vermutet einen Zusammenhang mit der Luftfeuchtigkeit, kann es aber nicht mit Bestimmtheit sagen. Jedenfalls herrscht jedes Mal, wenn sich die Lifttür im Achten geräuschlos öffnet, große, aber stille Erleichterung bei denen, die den Vorgang ausgelöst haben. Und auch bei den Mitfahrern, denn unter der allfälligen Störung Waslers würde die ganze Firma leiden. Um dieses Risiko auszuschließen, steigen manche Mitarbeiter bereits im Siebten aus und nehmen die Treppe in den Achten.
Wenn Wasler sich in sein Büro zurückgezogen hat, wacht Frau Dahlberg auch darüber, dass die Herrentoilette im Achten nicht benützt wird. Erstens ist das Gebläse des Handtrockners selbst durch die geschlossene Tür zu hören. Und zweitens pfeift eine Wasserleitung nach einem ähnlichen Zufallsprinzip wie bei der quietschenden Lifttür. Die Damentoilette kennt dieses Problem nicht und liegt zudem außerhalb der Hörweite von Waslers Büro. Aber Frau Dahlberg ist die einzige Dame im Achten und denkt nicht daran, in der kritischen Phase ihren Posten zu verlassen.
Denn zur Überwachung des Gangs kommt noch das Telefonpikett hinzu. Wasler legt zwar die Gespräche auf ihren Apparat und sie weist die Zentrale jeweils an, nur die allerwichtigsten Gespräche durchzugeben. Dennoch muss sie in der Lage sein, den Hörer abzuheben, noch ehe es richtig geklingelt hat. Deshalb behält sie eine Hand immer Zentimeter neben dem Telefon, während ihr Blick zwischen dem Bildschirm ihres stumm geschalteten Computers und dem leeren Korridor hin- und herjagt.
Frau Dahlberg übt diese Aufgabe bereits seit acht Jahren aus und wird dabei von der übrigen Belegschaft mit großer Solidarität unterstützt. Kein Wunder, denn von Waslers täglich fünf Stunden Klausur profitiert die ganze Firma. Ihr ist es zu verdanken, dass das Unternehmen wächst und gedeiht. Denn wenn Wasler schläft, managt er nicht.