Vier Geschichten zu Emmentaler Käse

Art Di­rec­tion: Beat Keusch. Ja, der­sel­be, der jetzt, bald 40 Jah­re spä­ter, mit sei­nem Team die­se Web­site ge­stal­tet hat. BKVK — beatkeusch.ch

Der fla­che, ge­blüm­te Teller

Das Wachs­tisch­tuch war blau-weiss ka­riert und brü­chig an den Stel­len, wo es die Tisch­tuch­klam­mern hiel­ten. Um den Kü­chen­tisch stan­den zwei Ta­bu­rett­li mit Lin­ole­um-Sitz­flä­chen und ein Stuhl mit Leh­ne, kürz­lich tür­kis­far­ben ge­stri­chen. Auf dem Tisch stan­den: Stein­gut­tel­ler und Tas­sen, je­des Stück an­ders, kei­nes un­be­schä­digt; ein Krug mit heis­ser Milch (vor dem Ko­chen sorg­fäl­tig ent­rahmt, das gab Schlag­rahm für die Me­rin­gues); ein Kaf­fee­krug aus Alu­mi­ni­um (mit Glas­de­ckel), den man auf die Herd­plat­te stel­len konn­te, um den Kaf­fee auf­zu­wär­men; ein glä­ser­ner But­ter­tel­ler, Brot auf ei­nem zer­kratz­ten Brett, dünn­flüs­si­ge, trop­fen­de Kir­schen­kon­fi­tü­re; ein fla­cher, ge­blüm­ter Tel­ler mit ei­nem Stück Em­men­ta­ler, von dem die Rin­de weg­ge­schnit­ten und schon in win­zi­ge Wür­fel ge­schnit­ten war, für die Spat­zen auf dem Küchensims.

Im Back­ofen des blau­schwarz ge­spren­kel­ten Her­des la­gen auf den Ku­chen­ble­chen Stös­se von But­ter­pa­pie­ren, die fet­ti­ge Sei­te nach in­nen ge­fal­tet. Im Schütt­stein aus gelb­li­chem Stein­gut zeig­ten tau­send fei­ne Ris­se auf den Ab­fluss. Am Was­ser­hahn steck­te ein Ver­län­ge­rungs­stück aus ro­tem Gum­mi. An der ge­plät­tel­ten Wand hing an ei­nem ge­dul­dig im­mer wie­der an­ge­kleb­ten Ha­ken ei­ne Fla­schen­bürs­te mit ei­nem lan­gen Stiel aus zwei in­ein­an­der­ge­dreh­ten Dräh­ten. In der Durch­rei­che zur Stu­be die ble­cher­ne, run­de Brot­schach­tel, auf de­ren De­ckel je­mand zwei Ro­sen ge­malt hat­te. Im Schrank ei­ne Schach­tel mit müh­sam ent­kno­te­ten, säu­ber­lich zu­sam­men­ge­roll­ten Pa­ket­schnü­ren, zwi­schen de­nen da und dort win­zi­ge Knäu­el far­bi­ger und gol­de­ner Bän­del weih­nacht­lich hervorblitzten.

Das war die Kü­che mei­ner Gross­el­tern, von der mir ge­blie­ben ist: Ein fla­cher, ge­blüm­ter Tel­ler, auf dem manch­mal ein Stück Em­men­ta­ler liegt.

Der Ra­be

Die fol­gen­den drei An­zei­gen­tex­te wur­den elf Jah­re nach ih­rem Er­schei­nen in ei­ner li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift ab­ge­druckt. Mar­tin Su­ter ist noch im­mer ein biss­chen stolz darauf.

Ziem­lich stolz

Drei Ta­ge

Der letz­te Tag im Jahr. Kein Schnee auf tau­send Me­tern. Aber ge­fro­re­nes Gras und ein hef­ti­ger Bis­wind, der ei­nen ei­si­gen Ne­bel­schlei­er über die er­starr­ten Wei­den schleift. Wir neh­men uns mit ge­fühl­lo­sen Fin­gern die 25er-Kar­te aus den Hän­den und su­chen nach ei­nem Ori­en­tie­rungs­punkt. Un­mög­lich, sich im Pass­wang-Ge­biet zu ver­ir­ren. Kei­ne Wit­ze mehr. Und dann der Bau­ern­hof, den wir erst se­hen, als wir da­vor­ste­hen. Ei­ne klei­ne Wirts­stu­be mit ei­nem glü­hen­den Holz­ofen. Kuh­na­gel an Fin­gern und Ze­hen. Ein Kaf­fee­fer­tig. Brot, But­ter – Emmentaler.

Der heis­ses­te Tag im Au­gust. Die Häu­ser leer. Al­les, was Ar­me und Bei­ne hat, ist am Heu­en. Auch die Fe­ri­en­gäs­te. Mit gros­sen Re­chen ste­hen wir un­be­hol­fen an den Bö­schun­gen, be­müht, nichts falsch zu ma­chen, denn der Spott des Bau­ern ist prä­zis und un­barm­her­zig. Zwi­schen Nas­tuch­müt­ze und Un­ter­leib­chen zünd­ro­te Na­cken, auf de­nen der Heu­staub klebt und juckt. Dann Pau­se un­ter dem Berg­ahorn. Der Spott des Bau­ern wird gut­mü­tig. Das Wet­ter hält. Wer cha schaf­fe, chan au äs­se. Küh­ler ge­spritz­ter Most. Brot, But­ter – Emmentaler.

Der drit­te Tag der Wo­che ein­und­dreis­sig. Be­spre­chung in Ham­burg. Ver­hand­lungs­spra­che: Ei­ne der vie­len, die man nicht be­herrscht Da­nach: Check In, Check Out, Se­at Belts, No Smo­king, Cre­dit Card, Ta­xi. Aber dann: den durch­weich­ten Fla­nell über ei­nen Gar­ten­stuhl ge­hängt, die Kra­wat­te acht­los in die Aus­sen­ta­sche ge­stopft, ge­lacht über den, der man eben noch war und be­stellt. Ein gros­ses Kal­tes. Brot, But­ter – Emmentaler.

Ist für Sie auch je­des Stück Em­men­ta­ler, das Sie es­sen, ei­ne Er­in­ne­rung an ein Stück Em­men­ta­ler, das Sie ge­ges­sen haben?

Es ist fast nichts mehr wie früher

Frü­her kam in un­ser Quar­tier der Gla­ser. Er trug ein Holz­ge­stell mit Schei­ben und rief: „Gl­aa­seee, Glaaasee!“

Und der Lum­pen-Zei­tun­gen-Mann rief: „Um­pä­zii­ti­gä, Um­pä­zii­ti­gäl“ Der Sche­ren­schlei­fer rief: „Schtump­fi-sche­rä-mäs­ser. Rämässer.“

Der Bau­er kam mit den neu­en Kar­tof­feln oder mit den Win­ter­äp­feln. Schö­ni Bos­kop, schö­ni Gra­fescht­ei­ner, schö­ni Uschteröpfeli.

Wann ha­be ich das letz­te Mal Us­ter­äp­fel ge­ges­sen? Man konn­te sie dör­ren und wie­der auf­wei­chen und süs­sen Kom­pott dar­aus ma­chen, Usch­ter­schnitz­li. Früher.

Den letz­ten Le­der­ap­fel ha­be ich, glau­be ich, auch noch als Schul­bub ge­ges­sen. Mei­ne Mut­ter muss­te ihn mir schä­len, weil mir die Scha­le Hüh­ner­haut mach­te. Das Fleisch des Le­der­ap­fels war ir­gend­wie brü­chi­ger und grob­po­ri­ger als das an­de­rer Aep­fel. Und die Scha­len konn­te man trock­nen und auf den Ka­chel­ofen le­gen oder an der Ker­ze an­zün­den, das roch dann ge­müt­lich im Win­ter. Früher.

Wenn ein Flug­jahr war, konn­te man hin­ter dem Haus am Abend die Ha­seln schüt­teln und es reg­ne­te zwei Ba­ta­schach­teln voll Mai­kä­fer, für die der Zoo ei­nen Fran­ken zahl­te. Mehr als das Tram­geld. Wenn Flug­jahr war, roch es im Mai nach Mai­kä­fern. Früher.

Fast der ein­zi­ge Ge­schmack und Ge­ruch, der mir von frü­her er­hal­ten ge­blie­ben ist, ist der Ge­schmack und Ge­ruch des Emmentalers.

Der schmeckt und riecht noch ge­nau­so wie der vom Milch­mann, der in un­ser Quar­tier kam, die of­fe­ne Milch ab­mass, den Kä­se vom Laib schnitt, ihn in ein wäch­ser­nes Pa­pier wi­ckel­te und die Prei­se in das Milch­büch­lein ein­trug, mit dem ich in die Schu­le ge­gan­gen sei.

Wie man frü­her sagte.

On­kel Edgar

An schö­nen Sonn­ta­gen im Som­mer mach­ten wir ein Pick­nick. Ich freu­te mich nur dar­auf, wenn On­kel Ed­gar mit­kam. Sonst ging ich lie­ber in die Sonn­tags­schu­le, weil das viel sonn­täg­li­cher war: Ich konn­te mein weis­ses Hemd an­zie­hen und, wenn es warm war, die Är­mel hoch­krem­peln. Und ich konn­te die spit­zen Schu­he tra­gen, um die mich die an­de­ren beneideten.

Aber wenn On­kel Ed­gar mit­kam, ging ich lie­ber zum Pick­nick. Wenn ich es ein­rich­ten konn­te, fuhr ich in sei­nem Tau­nus und nicht im Opel mei­ner El­tern. Für On­kel Ed­gar war ich näm­lich wie ein Erwachsener.

Oft fuh­ren wir dann ins Ried. On­kel Ed­gar kann­te, fand ich, al­le Vö­gel. Und er ent­deck­te auch die schöns­ten Pick­nick-Plät­ze. Mit et­was Schat­ten und et­was Son­ne und ei­nem Bach. Er sag­te dann: «Schau, was dein Va­ter für ei­nen schö­nen Platz ge­fun­den hat.» Aber ich wuss­te, den hat­te der On­kel Ed­gar ge­fun­den. Die Er­wach­se­nen la­gen dann in der Son­ne, und ich ver­such­te, On­kel Ed­gar auf­zu­fal­len, der sich zu re­spekt­voll mit mei­nem Va­ter unterhielt.

Ein­mal la­gen Fla­schen zur Küh­lung im Bach. On­kel Ed­gar und mein Va­ter hol­ten sie her­aus. Und wie sie so, nur in Shorts, im Bach stan­den, mein Va­ter leicht ge­rö­tet, mit ei­nem lä­cher­li­chen Hut, den ihm mei­ne Mut­ter we­gen sei­ner emp­find­li­chen Na­se auf­ge­setzt hat­te, und On­kel Ed­gar braun und mit sand­far­be­nem Bürs­ten­schnitt, ge­nier­te ich mich und dach­te: Oh, wä­re doch On­kel Ed­gar mein Vater.

Be­vor es zu es­sen gab, be­kam ich Streit mit mei­ner Schwes­ter und des­we­gen auch mit mei­ner Mut­ter. Ich rann­te in den Wald und blieb dort und war­te­te, bis man sich ernst­haft Sor­gen um mich ma­chen würde.

Nach ei­ner Wei­le kam mein Va­ter mit die­sem Hut. Er fuhr mir durch die Haa­re und nann­te mich Tschum­pel. Und dann pack­te er zwei Schei­ben dunk­les Brot und zwei Stück hell­gel­ben Em­men­ta­ler aus.

Ein Pick­nick für zwei Erwachsene.

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