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Dies ist ein rie­si­ges Ar­chiv von fast al­lem, was Mar­tin Su­ter ge­macht hat, ge­ra­de macht und noch ma­chen will. Sie ha­ben zu bei­na­he al­lem da­von un­be­schränk­ten Zu­gang. Und wenn Sie Mem­ber wer­den, zu noch et­was mehr.

Schunkeln im Dunklen

©film­o­re-ber­ge­r­ar­chiv

Für die Aus­stel­lung „Wer­bung ist für al­le da “ (Mu­se­um für Ge­stal­tung Zü­rich, 28. Au­gust bis 20. Ok­to­ber 1991, Mar­tin Hel­ler ; Wal­ter Kel­ler (Hrsg.) schrieb Mar­tin Su­ter die­sen Text. Wie fin­den Sie ihn, 32 Jah­re später?

Ken­nen Sie die Au­toren der Tex­te für Maz­da und Gübelin? Ha­ben Sie ei­ne Ah­nung, wer der Schöp­fer der Auf­trit­te für die NZZ ist? Kön­nen Sie die Na­men der Con­cept Ar­tists für Swis­sair oder To­ni nen­nen? Wohl kaum. Denn nie heisst es »die Künst­ler sind an­we­send« bei den Ac­cro­cha­gen für EPA, Glatt, Emmenta­ ler, BMW und FIGUGEGL in den Stras­sen und Bahn­hof­pas­sa­gen un­se­rer Kulturlandschaft.

Wer das be­grif­fen hat, hat viel ge­lernt über die Leu­te, die Wer­bung ma­chen. War­um sie oft so laut sind, war­um sie sich oft so auf­fäl­lig be­neh­men, war­um sie oft Cli­quen bil­den, aber auch, war­um sie oft so un­an­ge­passt und gesellschaftskri­tisch sind, war­um sie oft so­viel Kunst­ver­stand besitzen.

Für den Be­ruf der Wer­bung braucht es näm­lich Vor­aus­set­zun­gen, die ei­nem den Be­ruf der Wer­bung ei­gent­lich ver­un­mög­li­chen müss­ten: Man muss mittei­ lungs­be­dürf­tig sein, aber man darf nicht sich mit­tei­len. Man muss künst­le­risch be­gabt sein, aber man darf kei­ne künst­le­ri­sche Frei­heit for­dern. Man muss die Zei­chen der Zeit er­ken­nen, aber ih­nen erst fol­gen, wenn sie vor­bei sind. Man muss in­no­va­tiv sein, aber das Be­währ­te be­wah­ren wollen.

Wer­be­leu­te müs­sen ex­tro­ver­tiert sein. Aber es ist nicht ihr ei­ge­nes In­ne­res, das sie da nach aus­sen keh­ren. Es ist das von Volks­wa­gen, Mo­skovs­ka­ya, Pep­si und Bico-Ma­trat­zen. Es geht in der Wer­bung zwar im­mer mehr um Iden­ti­tät. Aber nicht um die der Wer­ber, son­dern um die­je­ni­ge von Pro­duk­ten und Mar­ken. Nicht die ver­schmitz­te Bie­der­keit der Kon­zepter, son­dern die der Mar­ke VW soll über­zeu­gen. Nicht die ver­schro­be­ne Ar­ro­ganz der Tex­ter, son­dern die des Wod­kas Mo­skovs­ka­ya soll ge­fal­len. Nicht das coo­le Le­bens­ge­fühl der Art Di­rec­tors soll » The New Ge­ne­ra­ti­on« mit­reis­sen, son­dern das von Pep­si. Und nicht den ho­sen­bö­de­li­gen Fest­zel­thu­mor des Re­gis­seurs sol­len die Leu­te lie­ben, son­dern den der Bico-Matratzen.

Na­tür­lich ist Wer­bung nicht der ein­zi­ge Be­ruf, der von der Selbst­ver­leug­nung der­je­ni­gen lebt, die ihn aus­üben. Aber er ist be­stimmt der ein­zi­ge, in dem die An­ony­mi­tät vor so­viel Öf­fent­lich­keit statt­fin­den muss.

Wer­bung ist aber wohl auch der Be­ruf, in dem sich die­se Selbst­ver­leug­nung am bes­ten be­zahlt macht. Und da­mit sind wir beim har­ten Kern un­ter der wei­chen Scha­le von uns Wer­be­leu­ten: der stän­di­gen Be­reit­schaft, die künst­le­ri­sche Frei­heit der wirt­schaft­li­chen zu op­fern, die Aus­drucks­kraft in den Dienst der Fi­nanz­kraft und die Krea­ti­vi­tät in den der Pro­spe­ri­tät zu stellen.

Es ist die­ser Hang zum Ma­te­ria­lis­mus, der un­ser kleins­ter ge­mein­sa­mer Nen­ner ist. Und es ist die­ses an­ge­bo­re­ne Pen­chant zum Kon­sum, das uns trotz al­ler Wi­der­sprüch­lich­keit zu un­se­rem Be­ruf prä­de­sti­niert. Der Ge­burts­feh­ler, der Künst­ler zu Wer­bern macht.

Und wenn wir uns schon für das Geld und ge­gen den Geist ent­schie­den ha­ben (ha­ben wir zwar nicht, ist uns ja an­ge­bo­ren), so ver­sprü­hen wir eben das, wo­von wir am meis­ten ha­ben. Des­halb sind un­se­re bri­tish-ra­cing-grü­nen Ja­gu­ars, un­se­re halb­ge­rauch­ten Mon­te­cris­tos und un­se­re, ja, auch un­se­re Cü­p­lis we­ni­ger Status­symbole als trot­zi­ge Si­gna­le der Zer­knirscht­heit über ei­ne Be­rufs­wahl, von der wir vor­ge­ben, sie ent­spre­che nicht un­se­rer wah­ren Be­ru­fung. Da­bei ent­spricht sie ihr natürlich.

Wenn un­se­re wah­re Be­ru­fung die­je­ni­ge zum Künst­ler wä­re, wür­den wir näm­lich Kunst ma­chen. Denn es gibt un­ter den nicht­prak­ti­zie­ren­den Künstlerin­nen und Künst­lern gar kei­ne Künst­le­rin­nen und Künst­ler. Das ist kein Be­ruf, den man ha­ben kann, auch oh­ne ihn aus­zu­üben, wie Phy­sio­the­ra­peu­tin oder Eisenbetonzeichner.

Künst­ler sind Leu­te, die Kunst ma­chen. Dar­um sind Wer­ber kei­ne. Rich­tig: Es gibt die The­se, dass Wer­bung Kunst sei. Aber sie ist wohl we­ni­ger ei­ne The­se als ei­ne Schlau­meie­rei von Leu­ten, die nicht mit dem Ge­burts­feh­ler le­ben kön­nen, kei­ne Künst­ler zu sein, aber auch nicht oh­ne das Geld, das sie mit der Wer­bung ver­die­nen. Wer­bung kann schon des­halb nicht Kunst sein, weil Kunst ja nicht al­lein aus Form be­stehen kann. Sie be­steht auch aus In­halt. Und wer sagt, dass Form auch In­halt sein kann, be­stä­tigt das nur.

Wenn Kunst ei­ne per­sön­li­che Art ist, sich aus­zu­drü­cken, so ist Wer­bung bes­ten­falls ei­ne per­sön­li­che Art, je­mand an­de­ren aus­zu­drü­cken. Denn gu­te Wer­bung soll­te für das gut sein, wo­für sie wirbt. Und das ist nie ihr Schöp­fer. Der soll ge­fäl­ligst hin­ter sei­nen Auf­trag­ge­bern zu­rück­ste­hen oder noch bes­ser: in ih­nen auf­ge­hen. Wenn denn der Wer­ber Künst­ler ist, so ist er der Künst­ler im Au­to­im­por­teur Wal­ter Frey.

In der Re­gel ha­ben die Auf­trag­ge­ber näm­lich ei­ne Vor­stel­lung da­von, wie sie in der Wer­bung da­her­kom­men wol­len. Oder si­cher, wie nicht. Die Wer­bung ist für die Auf­trag­ge­ber, die sich mit ih­rem Pro­dukt oder ih­rem Un­ter­neh­men oder ih­rer Mar­ke iden­ti­fi­zie­ren, und die mit die­sen iden­ti­fi­ziert wer­den, ei­ne Mög­lich­keit, sich dar­zu­stel­len. Die Wer­bung ist die leucht­ro­sa Kra­wat­te, die sich der Auf­trag­ge­ber nie zu tra­gen traut, oder der Schild-Tscho­pen, den er im­mer trägt. Und je mehr die Wer­bung dem ent­spricht, wie sie der Auf­trag­ge­ber sel­ber ma­chen wür­de (hät­te er nur mehr Zeit!), des­to an­ge­se­he­ner sind die Wer­ber, die sie ihm ma­chen. Des­to mehr Nar­ren­frei­heit ge­nies­sen sie, des­to mehr be­han­delt er sie als Künst­ler. Nur: Der Re­spekt, den er ih­nen dann zollt, gilt dem Künst­ler in ihm selber.

Das Höchst­mass an künst­le­ri­scher Frei­heit er­reicht der Wer­ber al­so da­durch, dass er auf sie ver­zich­tet. Aber na­tür­lich nicht das Höchst­mass an Qua­li­tät. Sei­en Sie vor­sich­tig, wenn sie Wer­bern be­geg­nen, die sich wie Künst­ler ge­ben. In der Re­gel ha­ben sie sich die­ses Vor­recht mit schlech­ter Wer­bung erkauft.

Qua­li­tät er­reicht der Wer­ber manch­mal dann, wenn das Qua­li­täts­emp­fin­den auf Auf­trag­ge­ber­sei­te gleich fein oder, im we­ni­ger schmei­chel­haf­ten Fall, fei­ner aus­ge­bil­det ist als bei ihm sel­ber (kommt vor). Aber meis­tens, in­dem er das Qua­li­täts­ni­veau des Auf­trag­ge­bers ge­dul­dig und auf­op­fernd lang­sam mit sei­nem ei­ge­nen in Über­ein­stim­mung bringt, in der Re­gel, in­dem er je­nes et­was an­hebt und die­ses ein biss­chen senkt. Das ist nicht ge­ra­de ei­ne künst­le­ri­sche Tä­tig­keit. Sie ver­langt viel Di­plo­ma­tie und die­se wie­der­um viel Selbst­ver­leug­nung. Sie ist des­halb so hei­kel, weil zu ihr ei­ne fein aus­ge­wo­ge­ne Mi­schung aus Ni­cken und Kopf­schüt­teln ge­hört. Zu­viel Kopf­schüt­teln kos­tet den Auf­trag. Und zu­viel Ni­cken die Qua­li­tät. Man darf nicht ver­ges­sen: Der Wer­ber ist für den Un­ter­neh­mer der ein­zi­ge Mensch auf Er­den, der auf des­sen künst­le­ri­sches Ur­teil Wert legt. Das kann leicht da­zu füh­ren, dass der Un­ter­neh­mer die­ses über­schätzt. So oder so: Die Wer­ber blei­ben Selbst­dar­stel­ler, die sich nicht sel­ber dar­stel­len dür­fen. Das hat den Vor­teil, dass Kri­tik, die auf das Werk ge­rich­tet ist, nie den Schöp­fer trifft. Aber es hat auch den Nach­teil, dass es sich mit dem Lob ge­nau­so ver­hält. Die Schöp­fer von schlech­ter Wer­bung kom­men un­ge­scho­ren da­von. Das drückt auf die Qua­li­tät. Und die Schöp­fer von gu­ter Wer­bung wer­den nicht ge­lobt. Das drückt auf die Motivation.

Na­tür­lich sind die Auf­trag­ge­ber auch noch da. Sie sind un­er­bitt­li­che Kri­ti­ker von schlech­ter Wer­bung. Aber vor al­lem von schlech­ter Wer­bung in ih­rem Sinn: nicht funk­tio­nie­ren­der. Der Fluch ist näm­lich, dass häss­li­che, dümm­li­che, im­per­ti­nen­te und her­ab­las­sen­de Wer­bung oft ge­nau­so Re­sul­ta­te zeigt wie ge­schei­te, un­ter­halt­sa­me und schö­ne. Dass das in der Re­gel kurz­fris­ti­ge Re­sul­ta­te sind, ist ein schwa­cher Trost. So wie die meis­ten Un­ter­neh­men struk­tu­riert sind, sind kurz­fris­ti­ge Re­sul­ta­te das, wo­mit man Kar­rie­re macht. Das oben beschrie­bene Ver­hält­nis zwi­schen Wer­bern und Un­ter­neh­mern, bei dem ers­te­rer in letz­te­rem auf­zu­ge­hen hat, oh­ne dass er es merkt, ist näm­lich gar nichts ge­gen die Zu­sam­men­ar­beit, die im­mer mehr die Re­gel wird: die­je­ni­ge mit Entscheidungs­ trä­gern, die kei­ne Ent­schei­dun­gen tra­gen. Mit Kar­rie­ris­ten, die sich nicht mit dem Un­ter­neh­men iden­ti­fi­zie­ren, weil sie nicht mit ihm iden­ti­fi­ziert wer­den. Die­se Leu­te ha­ben kei­ne Angst, dass sie sich nach ei­ner mie­sen Wer­be­kam­pa­gne nicht mehr auf die Stras­se wa­gen kön­nen, denn sie ha­ben sie nicht zu ver­ant­wor­ten. Ih­nen sind die Aus­strah­lung der Mar­ke, das Bild, das man sich vom Un­ter­neh­men macht, die As­so­zia­tio­nen, die man mit ei­nem Pro­dukt ver­bin­det, wurscht. Al­les, was zählt, ist die Fra­ge: » Was bringt’s?« Und sie ist durch­aus quan­ti­ta­tiv ge­meint. Sie heisst auch nicht: » Was bringt’s der Mar­ke, der Fir­ma, dem Pro­dukt?« Sie heisst: » Was bringt’s mir, kann es mein Wei­ter­kom­men för­dern, kann es ihm hin­der­lich sein?« Das ist ver­zeih­lich, weil sie nichts da­für kön­nen, dass die hier­ar­chi­schen Struk­tu­ren, in de­nen sie sich ab­stram­peln, im­mer wie­der kurz­fris­ti­ge Leis­tungs­aus­wei­se ver­lan­gen. Und es wä­re ja auch nicht wei­ter stö­rend, wenn sich in den Köp­fen die­ser Leu­te nicht die Mei­nung fest­ge­bis­sen hät­te, dass die Qua­li­tät die na­tür­li­che Fein­din der Quan­ti­tät ist.

Aber sie hat sich fest­ge­bis­sen. Sie glau­ben nicht dar­an, dass man auf an­stän­di­ge­Art 400 000 Ak­ti­ons­pa­ke­te Zahn­pas­ta ver­kau­fen oder ein Son­der­an­ge­bot Gar­tenmöbel so an­bie­ten kann, dass es ei­nem nicht den Ma­gen um­dreht. Und sie glau­ben nicht dar­an, weil es kei­ne Bei­spie­le gibt, die das Ge­gen­teil be­wei­sen. Weil noch nie je­mand von ih­nen das Ri­si­ko auf sich ge­nom­men hat, zu ver­su­chen, ob quan­ti­ta­ti­ve Zie­le nicht auf qua­li­ta­ti­ve Art zu er­rei­chen sind. Wenn es um Re­sul­ta­te geht, zwin­gen die Sach­be­ar­bei­ter in den Kar­rie­re-War­te­zim­mern der Un­ter­neh­men die Wer­ber zum Be­währ­ten. Lie­ber auf lang­fris­tig ge­schäfts­schä­di­gen­de Art 400 000 Ak­ti­ons­zahn­pas­tas ver­kau­fen, als her­aus­zu­fin­den, ob es auf sym­pa­thi­sche Art nicht 600000 wer­den kön­nen. Die Wer­ber müs­sen bei ih­rer Ar­beit, mehr und mehr, die Ent­schei­dun­gen Leu­ten über­las­sen, die nichts da­von ver­ste­hen, aber wis­sen, dass sich in der Kar­rie­re Ri­si­ko manch­mal, aber kein Ri­si­ko im­mer auszahlt.

Das bleibt meis­tens oh­ne Fol­gen, weil das Pu­bli­kum, das von mie­ser Wer­bung ver­kohlt wird, sie nicht mit Ver­ach­tung straft. Wenn die Leu­te sa­gen würden,»diese Jeans-Kam­pa­gne ver­kauft mich für dumm, die­se Jeans kau­fe ich nicht«, wür­de die Wer­bung so­fort besser. 

Aber was heisst bes­ser, was sind die Kri­te­ri­en? Es gibt kei­ne Kri­te­ri­en, weil es kei­ne Kri­tik gibt. Oder kei­ne pro­fes­sio­nel­le Kri­tik, wie zum Bei­spiel in der Kunst, im Film, in der Li­te­ra­tur, in der Mu­sik. Wäh­rend dort durch stän­di­ges Ver­glei­chen, Wer­ten, Ge­wich­ten, Lo­ben, Strei­ten und Zer­reis­sen Kri­te­ri­en ent­ste­hen, sich än­dern und, was wich­ti­ger ist, weiterge­geben wer­den, ist die Wer­bung in die­ser Be­zie­hung völ­lig auf sich sel­ber an­ge­wie­sen. Das macht sie zur In­si­der­bran­che, die sie ist.

Denn die Vor­aus­set­zun­gen, die gu­te Wer­be­leu­te für ih­ren Be­ruf brau­chen, ver­un­mög­li­chen es ih­nen nicht nur bei­na­he, ihn aus­zu­üben. Sie zwin­gen sie auch, ihn gut aus­zu­üben. Die in­no­va­ti­ve, kom­mu­ni­ka­ti­ve, kri­ti­sche und künst­le­ri­sche Sei­te in ih­nen ver­bie­tet es ih­nen, Wer­bung nur nach der Kosten/Nutzen­ Rech­nung zu be­trei­ben. Denn wenn auch die ma­te­ria­lis­ti­sche Ader in uns Wer­be­leu­ten stark her­vor­tritt, die Haupt­schlag­ader ist sie nun auch wie­der nicht. Wir su­chen auch ei­ne Art hand­werk­li­che, so­gar ei­ne künst­le­ri­sche An­er­ken­nung. Und weil uns die nie­mand gibt, ge­ben wir sie uns sel­ber. Oder spre­chen sie uns sel­ber ab.

Die Wer­be­leu­te ha­ben sich ein ganz fein­ta­rier­tes qua­li­ta­ti­ves Wert­sys­tem ge­schaf­fen, das nie­mand aus­ser ih­nen ver­steht, und das nur we­ni­ge un­ter ih­nen ak­zep­tie­ren. Weil es kei­nen Mass­stab für die Qua­li­tät ih­rer Ar­beit gibt, sind sie ihn sich sel­ber. Sie sind sich, wie im Kin­der­zir­kus, Ar­tis­ten, Raub­tie­re, Di­rek­tor und Pu­bli­kum zu­gleich. Sie müs­sen, an­ders als im Eis­kunst­lauf, die drei­fa­chen Ritt­ber­ger ste­hen und da­zu noch sel­ber die Punk­te­ta­feln über den Kopf stre­cken. Da­mit han­deln sie sich von den Auf­trag­ge­bern oft den Vor­wurf ein, sie be­trie­ben l’art pour l’art. Da­bei wol­len sie sich nur die An­er­ken­nung ho­len für die Ele­ganz, mit der sie ih­re Cou­pon-Rück­läu­fe er­zie­len, die Gra­zie, mit der sie die Waschmit­telprobierkäufe aus­lö­sen, die An­mut, mit der sie auf die Krea­ti­on ei­ner neu­en Uh­ren­kol­lek­ti­on auf­merk­sam ma­chen oder die Un­aus­lösch­lich­keit, mit der sie Ih­nen die Vor­zü­ge ei­ner Ver­si­che­rung einprägen.

Ex­tro­ver­tier­te, mit­tei­lungs­be­dürf­ti­ge, kon­sum­freu­di­ge Men­schen mit künstle­rischen Am­bi­tio­nen kön­nen nun ein­mal oh­ne An­er­ken­nung nicht le­ben. Und weil sie sie bloss von ih­res­glei­chen er­hal­ten, sind sie auf Ge­deih und Ver­der­ben ein­an­der aus­ge­lie­fert. Dar­um sind die Wer­be­leu­te die Klam­mer­äff­chen der Kon­sum­ge­sell­schaft. Sie es­sen zu­sam­men, sie ver­brin­gen ih­re Aben­de miteinan­der, sie tref­fen sich in den Fe­ri­en, sie grün­den Fuss­ball­clubs, tra­gen Tennistur­niere aus, sie be­vor­zu­gen die glei­chen Lo­ka­le, sie fei­ern ih­re Fes­te zu­sam­men, sie las­sen ih­re Kin­der mit­ein­an­der spie­len und zer­rüt­ten sich ge­gen­sei­tig ih­re Ehen. Die ge­schlos­se­ne Ge­sell­schaft der Wer­be­leu­te hat ih­re Hier­ar­chien, ih­re le­gen­dä­ren Fi­gu­ren, ih­re Stars, ih­re Aus­sen­sei­ter, ih­re Nar­ren, grau­en Eminen­zen, De­bü­tan­tin­nen und Par­ve­nus. Sie ist ei­ne Leis­tungs­ge­sell­schaft, de­ren Aus­wei­se, ganz ent­ge­gen dem äus­se­ren Ein­druck, nicht aus Li­mou­si­nen und Vil­len und Har­ley Da­vid­sons be­stehen, son­dern aus ei­ner über­ra­schen­den Art, ein Glas Soft­drink ab­zu­bil­den, ei­ner neu­en Um­set­zung ei­nes so abs­trak­ten Be­griffs wie Si­cher­heit, ei­nes denk­wür­di­gen We­ges, et­was Satts­am­be­kann­tes in­ter­es­sant zu erzählen.

Das trifft na­tür­lich nicht auf al­le Wer­ber zu. Aber ein har­ter Kern von ih­nen ar­bei­tet nach Wert­vor­stel­lun­gen, die für Aus­sen­ste­hen­de schwer zu­gäng­lich und sel­ten re­le­vant sind. Aber des­sen­un­ge­ach­tet hat er sich ver­schwo­ren, unverdros­sen das Un­wäg­ba­re zu wä­gen und die Ska­len für das Nicht­mess­ba­re zu ver­fei­nern. Zu die­sem Zweck ha­ben die Krea­ti­ven der Wer­be­bran­che in der gan­zen Welt Clubs ge­grün­det, de­ren Mit­glie­der je­des Jahr über die Wer­bung ih­res Lan­des und neu­er­dings so­gar über die von Eu­ro­pa nach ih­ren sub­ti­len Wert­vor­stel­lun­gen rich­ten. Viel­leicht tun sie das al­les nur, um der Kunst des Ba­na­len ei­nen hö­he­ren Sinn zu ge­ben und da­mit ih­rem Da­sein ei­ne an­de­re Be­rech­ti­gung als die, die sich in Zah­len aus­drü­cken lässt. Aber vom Mo­tiv ein­mal ab­ge­se­hen: Wie sehr die­ser Ehr­geiz zur Ent­las­tung der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­um­welt bei­trägt, wür­de man wohl so­fort mer­ken, wenn er ganz feh­len wür­de. Denn wenn die An­stren­gung, das, was man in der Wer­bung zu sa­gen und zu er­rei­chen hat, auf neue, über­ra­schen­de, sym­pa­thi­sche, un­ter­halt­sa­me, in­tel­li­gen­te, lus­ti­ge, ästheti­sche Art zu sa­gen oder zu er­rei­chen, nicht ein­mal von den ei­ge­nen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen be­lohnt wür­de, wä­ren hun­dert Pro­zent der Wer­bung so un­zu­mut­bar oder lang­wei­lig wie jetzt neun­zig Prozent. 

Der qua­li­ta­ti­ve ist im üb­ri­gen der ein­zi­ge Strick, an dem ein Teil der Wer­ber ge­mein­sam zieht. Ih­re ver­schwo­re­ne Ge­sell­schaft ist sich näm­lich nicht nur Prot­ago­nist, Pu­bli­kum und Kri­tik, sie ist sich auch Kon­kur­renz, Geg­ner und Feind. Sie wer­ben sich mit dem unschuldig­sten Lä­cheln ihr Per­so­nal ab, sie steh­len sich hin­ter­rücks ih­re bes­ten Kun­den und lie­fern sich gi­gan­ti­sche Prä­sen­ta­ti­ons­schlach­ten mit schwers­ten Ver­lus­ten an Mensch und Ma­te­ri­al. Der Kreis der Wer­ber, die den er­wähn­ten qua­li­ta­ti­ven An­spruch er­fül­len, und der Auf­trag­ge­ber, die die­sen zu­las­sen, ist näm­lich klein. Des­we­gen wird der glei­che Per­so­nal- und Auf­trags­ku­chen im­mer wie­der neu ge­schnit­ten und ver­teilt. Kaum ein Art Di­rec­tor, kaum ei­ne Tex­te­rin, die nicht schon bei drei oder vier der gros­sen Na­men un­ter den Agen­tu­ren un­ter Ver­trag wa­ren. Und kaum ein Wer­be­auf­trag­ge­ber, der sich nicht ab und zu das Ver­gnü­gen gönnt, ein paar Agen­tu­ren ge­nüss­lich in schlecht­be­zahl­ten Tur­nie­ren ge­gen­ein­an­der an­ren­nen zu las­sen, wenn der Dau­men juckt.

Aber in die­sem gan­zen Ge­met­zel und In­tri­gen­spiel be­wah­ren sich die Mitglie­der des Raub­rit­ter­or­dens ei­ne selt­sa­me Un­schuld, die es ih­nen er­laubt, sich an der Ta­fel­run­de in der Kro­nen­hal­le of­fen in die Au­gen zu schau­en, und die sich eben nur da­durch er­klä­ren lässt, dass die Vor­aus­set­zun­gen, die ei­nen zum ab­ge­feim­ten Wer­ber ma­chen, ei­nen auch hin­dern, ein sol­cher zu sein. Das macht die gu­ten Wer­ber so ver­spielt. Sie sind es ge­wohnt, die Früch­te ih­rer Krea­ti­vi­tät container­weise end­zu­la­gern, nur weil der Tisch­nach­bar ei­nen Kun­den mit der wahrschein­lich schlech­te­ren Idee und den bes­se­ren Be­zie­hun­gen über­zeugt hat. Sie fin­den nichts da­bei, ei­ne mit den in­tims­ten Be­triebs­ge­heim­nis­sen ei­nes wich­ti­gen Kun­den ver­trau­te lei­ten­de Mit­ar­bei­te­rin zum Tisch-vis-a-vis zie­hen zu las­sen, weil die­ser un­ver­hoh­len mit ei­nem Scheck oder ei­nem Ti­tel oder ei­nem Firmen­wagenschlüssel oder ei­nem Pres­ti­ge­kun­den oder mit al­lem ge­lockt hat. Sie wür­den das glei­che tun.

Es gibt nur ein Ta­bu im Eh­ren­co­dex der krea­ti­ven Wer­ber: Der Ver­stoss ge­gen das höchs­te Ge­bot, das da lau­tet: »Du sollst nicht steh­len«. Und ge­meint sind nicht Mit­ar­bei­ter, Kun­den und Auf­trä­ge. Ge­meint ist das höchs­te Gut der Bran­che: Ideen. Ideen­klau­en ist für die Wer­ber wie Pfer­de­klau­en für die Cowboys.

Wer sich am geis­ti­gen Ei­gen­tum ver­greift, be­geht das höchs­te Ei­gen­tums­de­likt, das die­se klei­ne Welt von krea­ti­ven Ma­te­ria­lis­ten kennt. Wer da­bei er­wischt wird, wird aus ihr aus­ge­stos­sen in die Welt der re­pro­du­zie­ren­den Kunsthandwer­ker und trägt von nun an das Stig­ma des krea­tiv Er­schöpf­ten. Ideen­klau wird je­der­zeit und über­all er­war­tet und ge­wit­tert. »Pla­gi­at« heisst der Fluch, der ton­nen­schwer las­tet auf de­nen, die er trifft und der de­nen, die ihn aus­stos­sen, so leicht über die Lip­pen geht.

Kei­ne Ju­rie­rung, bei der das Pla­gi­at­ge­spenst nicht um­geht. Kei­ne Kam­pa­gne, die nicht ir­gend­wer ir­gend­wann ir­gend­wo schon ein­mal und schon bes­ser ge­se­hen hat. Die Ei­fer­sucht auf die Ideen-Ne­ben­buh­ler ist wahr­schein­lich der Aus­druck der krea­ti­ven Po­tenz­angst, die die Wer­be­leu­te in stil­len Näch­ten plagt. Die­se Angst ist es, die uns wie Eich­hörn­chen über­all Vor­rä­te von nie ge­brauch­ten Ideen an­le­gen lässt für ma­ge­re Zei­ten. Und die, wenn wir sie bräuch­ten, längst faul wä­ren, falls wir sie über­haupt wie­der fänden.

Das ist viel­leicht das Aus­ser­ge­wöhn­lichs­te an der Aus­stel­lung hin­ter die­sem Buch: der Schatz an nie in har­te Mün­ze um­ge­setz­ten Ideen, der hier von den Wer­bern preis­ge­ge­ben wird. Ist die Prahl­sucht doch grös­ser als die Existenz­angst? Oder ist die An­er­ken­nung halt doch der bes­se­re Mo­tor als der Zwölfzylin­ der des Ja­gu­ar SX?

Wenn Sie al­so in Zu­kunft ei­ner oder ei­nem von uns be­geg­nen, sei­en Sie nach­sich­tig, üben Sie Kri­tik. Aber nicht un­be­dingt an un­se­rem Be­ruf. Fra­gen Sie lie­ber: » Was hast Du ge­ra­de ge­macht?« Und zer­fet­zen Sie es in der Luft, wenn Sie auch nur den ge­rings­ten An­lass da­zu ha­ben. Da­mit ma­chen Sie die Wer­bung bes­ser. Und re­du­zie­ren erst noch den An­teil an ver­hin­der­ten Künst­lern un­ter den Werbern.

Blie­be dann noch das Pro­blem der un­ver­hin­der­ten Wer­ber un­ter den Künstlern.

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