Heute ist der Tag der Milch
Heute ist der Tag der Milch, die es damals in der Zehnuhrpause in kleinen Flaschen mit glänzenden Alluminiumdeckeln gab, in die man (plop!) mit dem Röhrchen ein Loch picken konnte, oder die man mit dem kleinen Daumen eindrücken musste, wenn man aus der Flasche trinken (aus der Flasche saufen) wollte. Der Tag der Milch, die weder kalt noch lauwarm war und nur so schmecken kann, wenn man acht ist, und es nach Bodenwichse und Kreide riecht.
Heute ist der Tag der Milch, die man beim Kochen streng bewachen musste, weil sie schlau war und so tat, als ob sie sich langsam in etwas Artiges, Schaumiges verwandeln würde und plötzlich zu etwas Unversiegendem, Überschäumendem wurde, das auf der Herdplatte leise zu etwas Hartnäckigem verzischte. Der Tag der ab und zu verbrannten Milch.
Heute ist der Tag der Milch, die die Mutter mit einem Tatteri aus Porzellan überlistete, der auf dem Boden der Pfanne lag und die Absicht der Milch verriet (tat-tat-tat), lange bevor sie überschäumen konnte. Der Tag der Milch, die die Tante mit einem Überlauf-Pilz aus Steingut in einen ohnmächtigen ewigen Springbrunnen verwandelte. Der Tag der ab und zu gezähmten Milch.
Heute ist der Tag der Milch, die sich für das Kochen mit einem Pelzli rächt, das früher die Welt aufteilte in die, die sich vor ihm ekelten und die, die sie deswegen auslachten.
Heute ist der Tag der Milch, von der die Grossmutter jeden Tag den Rahm abschöpfte und daraus am Sonntag Schlagrahm für die Meringues machte, der nach dem altmodischen Kühlschrank schmeckte
Heute ist der Tag der Milch, deren feiner, scharfer Strahl an der bauchigen Wand des Kessis sirrt, wenn der Küng Walter im dunklen Stall die schnaufenden, stampfenden Simmentaler melkt. Der Tag der Milch, die aus der Kanne, die im Brunnen kühlt, in die schwarze Winternacht dampft.
Heute ist der Tag der Milch, die alle Nährstoffe enthält, die unser Körper braucht. Der Tag der Milch, aus der man über hundert Produkte machen kann.
Heute ist der Tag der Milch, die uns aufweckt, wenn wir am Morgen mit ihr den Kaffee aufhellen, die uns in den Schlaf wiegt, wenn wir in unruhigen Nächten einen Löffel Honig in ihr zergehen lassen.
Heute ist der Tag der Milch, die einmal im Jahr auf den grossen Plätzen Basels verschenkt wird.
Zur Feier des Tages der Milch