×

Dies ist ein rie­si­ges Ar­chiv von fast al­lem, was Mar­tin Su­ter ge­macht hat, ge­ra­de macht und noch ma­chen will. Sie ha­ben zu bei­na­he al­lem da­von un­be­schränk­ten Zu­gang. Und wenn Sie Mem­ber wer­den, zu noch et­was mehr.

Martin Suter als Drehbuchautor

Mar­tin Su­ter und Da­ni­el Schmid wäh­rend den Dreh­ar­bei­ten von Be­resi­na (1998/1999) ©Lu­ca Zanetti

Mar­tin Su­ter und Da­ni­el Schmid lern­ten sich zu Be­ginn der Acht­zi­ger ken­nen. Su­ter schrieb als Ghost­wri­ter das Buch „Die Er­fin­dung vom Pa­ra­dies“, ei­ne als Spek­ta­kel in­sze­nier­te Ge­schich­te der Ent­de­ckung der Schweiz für den Tou­ris­mus. Schmid und Su­ter wur­den Freun­de und ar­bei­te­ten von nun an zusammen.


Ih­re nächs­te ge­mein­sa­me Ar­beit war der Film „Je­na­tsch“. Er war ge­dacht als His­to­rien­ver­fil­mung des Le­bens des Bünd­ner Volks­hel­den. Bei­de ta­ten sich et­was schwer mit dem Stoff. Bei ei­nem Ar­beits­be­such von Su­ter in Genf, Da­ni­el Schmid in­sze­nier­te dort an der Oper ge­ra­de „Blau­bart“, ge­rie­ten sie am Abend in der Alt­stadt in ein Volks­fest, das sich „Fête de l’Es­cala­de“ nennt und die er­folg­rei­che Ver­tei­di­gung der Stadt ge­gen die Sa­voy­er fei­ert. Plötz­lich wa­ren sie um­ge­ben von Men­schen in der Klei­dung aus dem 17. Jahr­hun­dert, der Zeit, in wel­cher Jörg Je­na­tsch leb­te. Die­se ge­spens­ti­sche Si­tua­ti­on brach­te sie auf die Idee, aus dem Film ei­ne Ge­schich­te zu ma­chen von ei­nem Jour­na­lis­ten, der das Le­ben von Je­na­tsch re­cher­chiert und da­bei im­mer tie­fer in des­sen Zeit gerät.


Bis jetzt hat die Re­dak­ti­on von martin-suter.com kei­nen Trai­ler des Films ge­fun­den, den sie hier zei­gen könn­te. Aber die Su­che läuft noch.

Da­ni­el Schmid hat spä­ter noch wei­te­re Fil­me nach Dreh­bü­chern von Mar­tin Su­ter ge­dreht, „Zwi­schen­sai­son“ (1992), 

die Ge­schich­te ei­nes Man­nes, der im Ho­tel, wo er auf­ge­wach­sen war, Epi­so­den sei­ner Kind­heit noch ein­mal durch­lebt, und „Be­resi­na“ (1999), die Ge­schich­te ei­ner nai­ven Rus­sin, die in der Schweiz zum Call­girl ge­macht wird und un­be­ab­sich­tigt das gan­ze Land auf den Kopf stellt. 

Als Da­ni­el Schmid 1988 der Kunst­preis der Stadt Zü­rich ver­lie­hen wur­de, hielt Mar­tin Su­ter die Lau­da­tio. Noch lan­ge warf Schmid sei­nem Lau­da­tor scherz­haft vor, er hät­te mehr Glück­wün­sche zur Lau­da­tio be­kom­men als zum Kunstpreis. 

Ur­tei­len Sie selbst:

Herr Stadt­prä­si­dent, sehr ver­ehr­te Da­men und Her­ren, lie­ber Daniel

Die Stadt Zü­rich hat kei­ne Mü­he und Kos­ten ge­scheut, um Ih­nen ih­ren diesjäh­rigen Kunst­preis­trä­ger et­was fass­ba­rer zu ma­chen. Sie hat in sei­ner un­über­sicht­li­chen Bio­gra­phie ge­stö­bert und ist schliess­lich auf mich ge­stos­sen, weil un­se­re ge­mein­sa­men Jugender­innerungen nicht durch ei­ne ge­mein­sa­me Ju­gend be­las­tet sind. 

Dank die­sem Sach­ver­halt bin ich in der La­ge, Ih­nen ein authen­tisches Bild des Preis­trä­gers zu lie­fern. Ein Bild, das sei­ne Au­thentiztät nicht dem Um­stand ver­dankt, dass die bio­gra­phi­schen De­tails wahr sind, son­dern dem, dass sie stimmen. 

Ei­ne Un­ter­schei­dung, die ich von Da­ni­el Schmid ge­lernt ha­be. Wie so man­ches an­de­re auch.

Wir ha­ben ja al­le et­was von Da­ni­el Schmid ge­lernt. Und sei es nur, die Welt durch sei­ne Au­gen zu be­trach­ten. Er hat sich das ja zur Auf­ga­be ge­macht: uns die Welt durch sei­ne Au­gen se­hen zu las­sen. Ich will Ih­nen er­zäh­len, wie es da­zu kam:

Im Jah­re 1954 – auch das ha­be ich von ihm ge­lernt: ver­wen­de stets Jah­res­zah­len. Sie müs­sen nicht rich­tig sein, aber sie ma­chen die Ge­schich­te au­then­ti­scher – im Jah­re 1954 al­so, ein paar Jah­re nach­dem Da­ni­el Schmid als Kind ei­nes ver­arm­ten rus­si­schen Gross­fürsten und ei­nes Pu­schla­ver Zim­mer­mäd­chens ge­bo­ren, in der zweit­obersten Schub­la­de ei­ner Wasch­kom­mo­de in der Turm­suite des Ho­tel Schwei­zer­hof in Flims Wald­haus aus­ge­setzt und vom Ho­te­lier-Paar ad­optiert wor­den war, nahm ihn ein Stamm­gast des Ho­tels, Erich von Stro­heim (1885 bis 1957), mit nach Chur ins Kino. 

Ihr Pfer­de­schlit­ten war un­ter­wegs im­mer wie­der von ei­nem Ru­del Wöl­fe auf­ge­hal­ten wor­den, und so hat­te der Film schon be­gon­nen, als sie das Ki­no er­reich­ten. Sie ga­ben ih­re schnee­ver­krus­te­ten Män­tel ab und folg­ten dem Licht­ke­gel der Ta­schen­lam­pe des Platzan­weisers zu ih­ren Plätzen. 

Für den klei­nen Da­ni­el war es der ers­te Ki­no­be­such. Fas­zi­niert be­ob­ach­te­te er, wie der Platz­an­wei­ser im­mer wie­der hin­ter dem Vor­hang des Ein­gangs er­schien, nach Gut­dün­ken in der Dun­kel­heit des Ki­nos da und dort ei­nen Hin­ter­kopf auf­schei­nen und wie­der ver­schwinden liess und Spät­an­kömm­lin­ge mit sei­nem Licht­ke­gel zu den Plät­zen sei­ner Wahl steuerte.

Dem Film selbst schenk­te Da­ni­el kei­ne Beachtung.

Von da an stand sein Be­rufs­ziel fest. Er woll­te der­einst auch der­je­ni­ge sein, der un­se­re Au­gen mit sei­nem Licht­ke­gel an die Stel­len lenkt, die er für se­hens­wert hält, und uns mit sei­nem Licht an die Plät­ze führt, die er uns zu­ge­dacht hat. Er be­schloss, Ki­no-Platz­an­wei­ser zu werden.

Mei­ne Da­men und Her­ren, auf die heu­te das Licht von Da­ni­el Schmid ge­fal­len ist, auf dass wir es auf ihn zu­rück­re­flek­tie­ren: Oh­ne „SOS Glet­scher­pi­lot“ (1959) wä­re Da­ni­el Schmid wahr­schein­lich Ki­no-Platz­an­wei­ser geworden.

Er sah den Film zum ers­ten mal an­läss­lich ei­ner Vor­füh­rung in der Turn­hal­le des ge­misch­ten Turn­ver­eins Bo­na­duz und er­kann­te, dass die Mög­lich­kei­ten des Film­re­gis­seurs über die­je­ni­gen des Kinoplat­zan­weisers weit hin­aus­ge­hen. Wäh­rend die­ser le­dig­lich un­se­re Sicht­weise auf die wirk­li­che Welt durch sei­ne Licht­füh­rung be­ein­flus­sen kann, hat je­ner die Mög­lich­keit, ei­ne Welt zu schaf­fen, die mit der wirk­li­chen nichts zu tun hat. Da­ni­el Schmid konn­te das be­ur­tei­len, er war in der wirk­li­chen Glet­scher­welt auf­ge­wach­sen. Und er stand da­mals kurz vor sei­ner Er­fin­dung „Ski­fah­ren in Blue Jeans“.

Wie ich se­he ist nicht al­len An­we­sen­den be­wusst, dass es sich beim Preis­trä­ger des dies­jäh­ri­gen Kunst­prei­ses der Stadt Zü­rich gleich­zei­tig um den Er­fin­der von „Ski­fah­ren in Blue Jeans“ han­delt, ei­ner Er­fin­dung, un­ter der die Sport­be­klei­dungs­in­dus­trie bis in die spä­ten Acht­zi­ger­jah­re ge­lit­ten hat. Ich er­wäh­ne das, weil die Schaf­fung sol­cher Trends im Ge­samt­zu­sam­men­hang mit dem Wil­len des Preis­trä­gers, die Welt nach sei­nem Gus­to zu ge­stal­ten, ver­stan­den wer­den muss. In die­sem Kon­text muss auch er­wähnt wer­den, dass Da­ni­el Schmid be­reits 1972 ein ge­pierc­tes Ohr­läpp­chen be­sass. Ein Um­stand, auf den mich wäh­rend mei­ner Re­cher­chen zum heu­ti­gen Abend Ge­ral­di­ne Chap­lin auf­merksam ge­macht hat, die sich für heu­te Abend al­ler­dings entschul­digen lässt.

Eben­falls ent­schul­di­gen lässt sich der frü­he­re Preis­trä­ger Urs Wid­mer. Er hat mich aber er­mäch­tigt, Ih­nen al­len sei­ne Grüs­se und Da­ni­el Schmid sei­ne Glück­wün­sche zu übermitteln. 

Aber zu­rück zu „SOS Glet­scher­pi­lot“. Beim Ver­las­sen der Turn­halle des ge­misch­ten Turn­ver­eins Bo­na­duz, es war ei­ne stern­kla­re, stil­le Winter­nacht, nur das Gur­geln des Was­sers im ver­eis­ten Dorf­brunnen, be­schloss der jun­ge Da­ni­el, die Welt nach ei­ge­nem Gutdün­ken zu ge­stal­ten. Er wur­de Regisseur.

Und weil es in sei­nen Au­gen kei­nen Un­ter­schied gibt zwi­schen sei­ner und der wirk­li­chen Welt, le­ben wir seit­her al­le in der Welt des Da­ni­el Schmid. Ver­su­che, aus ihr aus­zu­bre­chen – das wis­sen wir – sind zwecklos.

Wir al­le hat­ten ja ur­sprüng­lich für heu­te abend et­was an­de­res vor – Es­sen in ei­nem ver­schwie­ge­nen Lo­kal mit der Frau des Le­bens ei­nes an­dern; Ent­wurf des Ro­mans, der das Jahr­tau­send mit ei­nem Don­ner­schlag be­en­den wird; Durch­bruch bei den Verhand­lungen um die end­gül­ti­ge Fu­si­on; heim­li­cher Be­such ei­nes Films ei­nes an­dern Re­gisseurs, früh zu Bett. Trotz­dem sind wir ge­kom­men. Ein­mal abgese­hen von Ge­ral­di­ne Chap­lin, der Da­ni­el für heu­te Abend konzentrier­tes Rol­len­stu­di­um für die Dreh­ar­bei­ten zu sei­nem nächs­ten Film ver­ordnet hat. Und Urs Wid­mer, der durch Lan­des­ab­we­sen­heit ver­hin­dert ist: Er weilt heu­te abend im Elsass.

Aber wir an­dern sind hier. Spie­len die Rol­le, die er uns zuge­dacht hat – der Re­gie­rungs­ver­tre­ter, der Bru­der, die Schwä­ge­rin, ein Nef­fe, ei­ne gu­te Freun­din, ein gu­ter Freund, ein fal­scher Freund, ein Freund von Freun­den, ein Kol­le­ge, ein Nei­der, ei­ne Be­wun­de­re­rin, ein Jour­na­list, ein Festredner. 

Und al­le ge­ben wir uns Mü­he, die Rol­le aus­zu­fül­len. Denn wer will schon um­be­setzt und hin­aus­ge­stos­sen wer­den in die an­de­re Welt, wo das Licht hart ist und kein En­de offen?

Ich je­den­falls nicht. Denn – und was jetzt folgt stimmt nicht nur, son­dern ist auch wahr – für die, die in sei­ner Welt ei­ne Rol­le spie­len, zö­gert Da­ni­el kei­ne Se­kun­de, sei­ner­seits die Rol­le zu spie­len, die wir ihm in un­se­rer Welt zu­ge­dacht ha­ben. In mei­nem Fall zum Bei­spiel die ei­nes treu­en und zu­ver­läs­si­gen Freundes.

Sehr ver­ehr­te Be­set­zung der Welt des Da­ni­el Schmid

Ob­wohl ich weiss, dass Da­ni­el Re­gie­an­wei­sun­gen des Drehbuchau­tors hasst, glau­be ich, es wä­re in sei­nem Sinn, wenn wir an die­ser Stel­le den Ent­scheid der Stadt Zü­rich, ih­ren dies­jäh­ri­gen Kunst­preis ei­nem Mann zu ver­lei­hen, der sei­ne Auf­ga­be dar­in sieht, uns die Gren­zen zwi­schen Traum und Wirk­lich­keit ein we­nig un­scharf zu hal­ten, mit ei­nem herz­li­chen Ap­plaus belohnten. 

Von mir aus darf er auch ru­hig ein we­nig ausarten.

Ich dan­ke Ihnen.

×
Login

Passwort wiederherstellen

Member werden
Member werden für 60 Franken pro Jahr
Probezugang

Falls Sie einen Code besitzen, geben Sie diesen hier ein.

Gutschein

Martin Suter kann man auch verschenken.
Ein ganzes Jahr für nur 60 Franken.
Versandadresse: