Zahnds Dachschaden

Der Druck, der auf den modernen Managern lastet, sei so enorm, dass die wenigsten von ihnen ohne psychische Schäden seien, hat Jean Pierre Zahnd kürzlich gelesen. Wenn das stimmt, müsste er auch einen haben. Wenn nicht sogar zwei. Denn wenn einer ein moderner Manager unter Druck ist, dann Zahnd. Aber da er absolut neurosenfrei ist, schenkt er dem Bericht keinen Glauben.
Kurze Zeit nach Erscheinen des Berichtes entwickelt Ferdinand Zanini einen Blinzeltick, deren Kadenz er in Gegenwart hoher Chargen mühelos steigern kann, bis zu fünf Wimpernschlägen/Sek. Er kann dasitzen, scheinbar gleichmütig und kontrolliert, und seine Augendeckel rasen wie ein Daumenkino. Ein sehr eindrücklicher Effekt, der vermittelt: Der Mann ist Herr seiner Sinne, obwohl in ihm ständig das Schlussbouquet des großen Feuerwerks der Hingabe an die Unternehmung lichtert.
Was Zahnd beunruhigt, ist Laubers Reaktion auf das Geblinzle: Er nimmt es wortlos aber billigend zur Kenntnis.
In den folgenden Wochen beobachtet Zahnd seine eigene Psyche. Irgendeinen Schaden muss er ja genommen haben in 22 Jahren Hochdruck-Management. Mit einer kleinen Neurose, Psychopathie oder Psychose müsste auch er aufwarten können. Als Kind hatte er kurzfristig ein Bettnässerproblem. Natürlich taugt das Symptom Bettnässen nicht für das Arbeitsumfeld der Führungsetage eines größeren Betriebes. Aber vielleicht ist von der Ursache noch etwas übrig. Etwas, das sich anders kommunizieren ließe. Zum Beispiel mit einem Tick wie Zanini. Mit Grimassieren, unvermitteltem Singen mit Kopfstimme, Selbstgesprächen.
Noch bevor sich Zahnd festgelegt hat, überrascht Vogt an der Bereichsleitersitzung mit einem ziemlich glaubwürdigen Weinkrampf. Er wird von Feer und Hahn hinaus gestützt. Zehn Minuten später ist er wieder zurück. „Sorry, kommt nicht wieder vor“, murmelt er und trägt gefasst und souverän sein Bereichsbudget vor. Ein sehr eindrückliches Beispiel von Management am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Zahnd hat den Eindruck, Lauber habe ihm einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen. Hält er ihn für unterfordert?
In den folgenden Tagen fällt Feer durch grundloses hysterisches Lachen auf und Hahn dadurch, dass er den Lift meidet und als einziger per Zug zu einem Meeting nach London reist. Zahnd wird nervös. Aber nicht genug, dass es für eine ernsthafte Schlafstörung mit vorzeigbaren Symptomen reicht. Höchstens eine gewisse morgendliche Reizbarkeit stellt er an sich fest, die man mit etwas fachlicher Hilfe vielleicht in eine leichte Depression uminterpretieren könnte. Aber während er noch mit dem Gedanken spielt, wartet Lauber himself mit einer mittelschweren Depression auf, die sich in längerem Aus-dem-Fenster-starren äußert, vor Beginn der Sitzung und – besonders effektvoll – auch in deren Verlauf.
Vielleicht ist der psychische Belastungsschaden der erste Management-Trend, bei dem er passen muss, denkt Zahnd resigniert und steckt den Daumen zurück in den Mund.
Nur einmal erschienen am 26.6.97