Leimgrubers Karrierezweifel

Als Leim­gu­ber hört, dass Mer­ce­des 1,4 Mil­li­ar­den DM Ver­lust ge­macht hat, sagt er zu  Von­lan­then: „Das musst du erst ein­mal machen.“ 

Von­lan­then, mit dem Leim­gru­ber ins Ai­ki­do geht, um den Um­gang mit der ei­ge­nen Mit­te zu ver­bes­sern und die Atem­tech­ni­ken zu er­ler­nen, die die blo­ckier­ten Kräf­te zum Flies­sen brin­gen, ver­steht so­fort, wie er das meint: Bewundernd.

Nicht von der Hö­he des Ver­lus­tes ist Leim­gru­ber be­ein­druckt, son­dern wie­der ein­mal von der Tat­sa­che, dass es Un­ter­neh­men gibt, die in die­sen Grös­sen­ord­nun­gen rech­nen. Er sel­ber steht ei­nem Teil­be­reich ei­ner Fir­ma vor, de­ren Ge­samt­um­satz ein Bruch­teil des Be­tra­ges aus­macht, den Mer­ce­des als Ver­lust aus­zu­wei­sen sich leis­ten kann. Er hat im letz­ten Ge­schäfts­jahr ei­nen Ge­winn von et­was über 125’000 Fran­ken aus­ge­wie­sen und das in An­be­tracht der Um­stän­de als Er­folg wenn auch nicht ge­ra­de ge­fei­ert so doch verbucht. 

Aber was sind schon 125’000 Fran­ken im Ver­gleich zu 1,4 Mil­li­ar­den D‑Mark. Hier geht es nicht mehr um Ge­winn oder Ver­lust, hier geht es um Ka­te­go­rien. 1,4 Mil­li­ar­den DM, egal ob schwarz oder rot, das ist al­ler­obers­te Liga. 

Na­tür­lich wä­re es bes­ser, wenn es sich um Ge­winn han­del­te, dar­über sind sich Leim­gru­ber und Von­lan­then ei­nig. Aber rein kar­rie­re­mäs­sig be­trach­tet fällt das nicht ins Ge­wicht. Ei­ner, des­sen Hand­lungs­spiel­raum ei­nen Ver­lust in die­sen Aus­mas­sen zu­lässt, steht ganz oben. 

Ei­ner, in des­sen Un­ver­mö­gen es liegt, De­fi­zi­te von der­art apo­ka­lyp­ti­schen Di­men­sio­nen zu ver­ur­sa­chen, hat es geschafft. 

Ei­nem, des­sen Fehl­ent­schei­dun­gen so­viel be­we­gen kön­nen, kann nichts mehr passieren. 

Leim­gru­ber sel­ber schätzt sich als Mi­nus-200’000-Mann ein, bes­ten­falls als Mi­nus-300’000-Mann, falls es ihm ge­lingt, im Ai­ki­do den „Schlüs­sel zum Tre­sor der in der ei­ge­nen Per­sön­lich­keit schlum­mern­den Mög­lich­kei­ten“ zu fin­den. Leim­gru­ber ist al­so noch weit da­von ent­fernt, ein Un­be­rühr­ba­rer zu wer­den. Er wird noch lan­ge der Klas­se von Ma­na­gern an­ge­hö­ren, die zwar nicht für ih­ren Er­folg aber im­mer­hin für ihr Er­folgs­po­ten­ti­al be­zahlt wer­den. Erst bei ei­nem Miss­erfolgs­po­ten­ti­al von schät­zungs­wei­se mi­nus 10 Mil­lio­nen wird er sich kar­rie­re­mäs­sig ei­ni­ger­mas­sen frei­ge­schwom­men ha­ben. Je­mand, der ei­ne Po­si­ti­on er­reicht hat, die es ihm er­laubt, ei­nen Ver­lust in et­wa die­ser Grös­sen­ord­nung zu ma­chen, lässt sich für des­sen Ver­mei­dung nicht mehr mit Pea­nuts abfinden.

Leim­gru­ber ist erst sechs­und­vier­zig und traut sich den Auf­stieg in die Ka­te­go­rie de­rer, die da­nach ent­löhnt wer­den, wie­viel Un­heil sie an­rich­ten könn­ten, durch­aus noch zu. Aber in Mo­men­ten wie die­sen (mi­nus 1,4 Mil­li­ar­den!) be­ginnt er dar­an zu zwei­feln, dass er es bis ganz hin­auf schafft. Bis dort­hin, wo man selbst dann ent­spre­chend der Hö­he des Scha­dens, den man ver­mei­det ent­löhnt wird, wenn man ihn nicht ver­mei­det. Leim­gru­ber nennt das den abs­trak­ten Bereich.

Der abs­trak­te Be­reich be­ginnt für Leim­gru­ber schon ab et­wa mi­nus 100 Mil­lio­nen. Ei­ner, dem ei­ne Po­si­ti­on an­ver­traut wird, in wel­cher er so­viel Scha­den an­rich­ten könn­te, kann kei­ne Fehl­be­set­zung sein, selbst wenn er ihn tat­säch­lich an­rich­tet. Der be­hält sei­nen Job. Denn nur ei­ner, der qua­li­fi­ziert ist für ei­ne Stel­lung mit ei­nem der­mas­sen ge­wal­ti­gen Ver­lust­po­ten­ti­al, ver­fügt auch über die fach­li­che Vor­aus­set­zung, ei­nen Scha­den die­ses Aus­mas­ses wie­der gutzumachen.

Aber mi­nus 1,4 Milliarden! 

An die­sem Abend kommt Leim­gru­ber nach dem Ai­ki­do nicht mehr mit in den „Lö­wen“. 

Am nächs­ten Tag bucht er ein „Life­pur­po­se“ Se­mi­nar in Am­den ob Weesen.

Nur ein­mal er­schie­nen am 11.7.96


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