Human Resource Management I

Das erste Treffen findet in der Tiffany Bar statt. Edwin K. Semper, der Headhunter, hat es arrangiert. „Die Tiff-Bar“, hat er gesagt, „ist die ideale Location für inoffizielle Meetings. Die richtige Atmosphäre und kein Mensch kennt sie.“
Wunderli findet sich also in einer Bar voller Tiffany-Lampen-Imitate wieder und voller melierter, langhaariger Männer mit goldenen Rolex Uhren, auch nicht gerade Originalen.
Den Mann, den er treffen soll, kennt er von einem Foto aus dessen eindrücklichem Curriculum. Er ist Mitte Vierzig, blond, glattrasiert und gutaussehend, ohne ein Beau zu sein, etwas, worauf Wunderli grossen Wert legt, denn er ist selber auch kein Beau, schwach ausgedrückt.
Er ist auch nicht besonders gut darin, dreidimensionale Leute aufgrund eines zweidimensionalen Fotos zu identifizieren. Aber das ist auch gar nicht nötig: Kaum sitzt er in seiner Nische, geht die Tür auf und ein mittelgrosser, passabel aussehender, blonder Mittvierziger kommt geradewegs auf ihn zu. „Ich hoffe, ich bin nicht zu spät, Herr Wunderli.“
„Dann müssen Sie Herr Weinmann sein“, sagt Wunderli erleichtert und steht auf. Das ist er jetzt also, die Lösung. Der Mann, der bei Hubag den Verkauf reorganisiert, bei Sibco das Sortiment gestrafft und bei Schäufele & Stutz den Gesamtbereich „Service und Beratung“ völlig umgekrempelt hat.
Sie verstehen sich auf Anhieb. Weinmann hat auch dreimal am Engadiner teilgenommen, und Wunderli geht auch jedes Jahr nach Genf an den Autosalon. So redet man lustigerweise lange über Privates, bevor man endlich zum Geschäftlichen kommt. Immer ein gutes Zeichen bei einem Anstellunggespräch.
Auch Weinmanns Begründung, warum er unter Umständen in Erwägung ziehen könnte, Schäufele & Stutz zu verlassen (immer ein heikler Punkt, weil er ja die Loyalität betrifft) ist sehr befriedigend: Der Gesamtbereich „Service und Beratung“ ist umgekrempelt und läuft. Weinmann ist hierarchisch am Anschlag und braucht einen neuen Challenge. Den kann ihm Wunderli bieten und sagt ihm das auch.
Beide machen eine Ausnahme und trinken schon jetzt etwas Alkoholisches: Beide ein Bier, eine weitere lustige Gemeinsamkeit.
Ein Misston entsteht erst, als Weinmann seine Salär- und Organigrammvorstellungen präzisiert.
Der Mann will die Nummer zwei werden. Darunter tut er es nicht.
Wunderli hätte eigentlich nichts dagegen, Weinmann zur Nummer zwei zu machen, wenn er nicht schon eine hätte: Bodenmann.
Bodenmann ist seit sechzehn Jahren dabei und rechnet sich, und daran ist Wunderli nicht ganz unschuldig, Chancen auf dessen Nachfolge aus. Er ist auch kein schlechter Mann, vielleicht etwas konservativ in seiner Führungsauffassung, aber dadurch selber gut zu führen. Für Wunderli galt er bisher immer als gesetzt. Weinmann hatte er, bei aller Sympathie, höchstens als Nummer drei gesehen.
„War trotzdem nett, Sie persönlich kennengelernt zu haben“, sagt Weinmann, als ihm Wunderli diesen Sachverhalt darlegt.
So schnell gibt Wunderli nicht auf. „Könnten Sie sich auch etwas Inoffizielles vorstellen?“
„Zum Beispiel?“, fragt Weinmann.
„Sie sind offiziell die Nummer drei und verdienen weniger als Bodenmann. Aber wir beide wissen: Sie sind die Zwei und die Differenz bezahle ich über die Holding.“
„Das, wofür Sie mich brauchen, schaff ich nur bei klaren Verhältnissen.“
Der Mann hat natürlich recht. „O.k., ich red mit Bodenmann“, sagt Wunderli schliesslich.
Am nächsten Tag im Büro fragt ihn Bodenmann als erstes: „Und, hat er angebissen?“
Nur einmal erschienen am 18.4.96