Ein paar Ostergedanken
Eine Business Class vom 11.4.1996.
Schöne Ostern gehabt?“
„Doch, sehr schön, danke, und Sie?“
„Auch sehr schön, doch.“
„Weggefahren?“
„Um Himmelswillen, nein, ganz relaxed zu Hause. Und Sie?“
„Wir auch, bin doch nicht wahnsinnig. Stress kann ich auch hier haben.“
„Nicht wahr? Haben Sie die Bilder gesehen? Was sind das bloss für Menschen, die sich das antun?“
„Die haben keinen Stress im Job.“
„Glauben Sie?“
„Schauen Sie uns an. Müssen wir an unseren spärlichen paar freien Tagen mit quängelnden Kindern im Schrittempo durch den Gotthard fahren?“
„Oder sechs Stunden zwischen Besoffenen aus Birmingham und Leverkusen in der Abflughalle von Palma de Mallorca die Kinder mit kalten Pommes Frites und warmen Glacés bei Laune halten?“
„Ich sage Ihnen: die Leute haben beruflich keinen Stress, sonst würden die zu Hause bleiben und Eier anmalen.“
„Mein Jüngster hat ein Ei schwarz angemalt. Bis wir das gefunden hatten im Garten! Nicht dumm. Schwarz, und ist erst vier.“
„Unsere Kleine hat geweint, als sie den Schoggihasen gegessen hat. ‘Warum weinst du?’, habe ich sie gefragt. ‘Arms Häsli’ hat sie geantwortet. Aber gegessen hat sie ihn.“
„An solchen Tagen merkt man erst, wie schlecht man seine eigenen Kinder kennt.“
„Man ist eben viel zu wenig zu Hause.“
„Und kaum schaut man sich um, sind sie erwachsen.“
„Dabei ist das jetzt die wichtigste Zeit, zwischen vier und zwölf.“
„Und die opfert man dem Laden.“
„Blöd wie man ist.“
„Ist halt auch eine wichtige Zeit, zwischen 30 und 40, beruflich.“
„Wenn du’s dann nicht packst, vergiss es.“
„Besonders jetzt.“
„Da kann es eben auch einmal etwas später werden, da kann man nicht immer mit der Stoppuhr im Büro sitzen.“
„Ich komme auf gut sechzig Stunden. Sie auch?“
„Wenn’s wenig ist.“
„Ich meine, im Schnitt.“
„Im Schnitt sowieso.“
„Darunter leidet natürlich die Familie.“
„Ganz klar.“
„Ich versuche, wenigstens jeden zweiten Abend daheimzusein, bevor sie im Bett sind.“
„Bei mir ist das schwierig. Vier und sechs. Aber wenigstens die Wochenende. Also die Sonntage. Aber das reicht natürlich nicht.“
„Aber man tut es ja für die Familie. Auch und gerade.“
„Das ist ja die Ironie. Ihr zuliebe vernachlässigt man sie.“
„Manchmal fragt man sich.“
„Besonders nach den Ostertagen zu Hause.“
„Wenn man so mit der Frau und den Kindern am Küchentisch sitzt und mit Sternchenfaden Kräutlein und Zwiebelschalen um Eier wickelt, wundert man sich schon, ob es nicht Wichtigeres gibt im Leben als die Karriere.“
„Ach, Sie machen die auch mit den Kräutlein? Mir fehlt die Geduld, aber meine Frau macht richtige Kunstwerke.“
„An solchen Tagen habe ich manchmal Lust, den Bettel hinzuschmeissen und ein normales Leben zu führen. Irgendeine Nummer irgendwo in einem Betrieb mit geregelten Arbeitszeiten, einem bescheidenen Gehalt aber ohne Stress.“
„Dann könnte man auch einmal ein paar Tage weg über Ostern mit der Familie.“
„Nach Italien oder Mallorca?“
„Es ist schon ein Teufelskreis.“