London calling

Als Heus­ser board­ed, sieht er, dass Gut­mann sein Hand­ge­päck im Rack über schät­zungs­wei­se Rei­he zwölf ver­staut. Heus­ser hat Rei­he acht. Schwein ge­habt. Das hät­te noch ge­fehlt: Am Mon­tag­mor­gen auf der Früh­ma­schi­ne nach Lon­don ne­ben Gut­mann sitzen. 

Es gibt ein paar Leu­te in Heus­sers Le­ben, in de­ren Nä­he sich sei­ne Na­cken­haa­re sträu­ben. Ei­ne kur­ze Lis­te, aber Gut­mann führt sie un­ein­hol­bar an. Im­mer wie­der hat er Heus­sers Weg ge­kreuzt: als Kom­mi­li­to­ne, als Ar­beits­kol­le­ge, als Vor­ge­setz­ter, als Kün­di­gungs­grund und als Kon­kur­rent. Und bis zum heu­ti­gen Tag im­mer wie­der als Alp­traum. Auf nüch­ter­nen Ma­gen an ei­nem Mon­tag­mor­gen wür­de Heus­ser ihn nicht ver­kraf­ten. Er hat es knapp ge­schafft, ihm am Gate kurz zu­zu­ni­cken und des­sen über­le­ge­nes Lä­cheln zu igno­rie­ren. Aber sich ne­ben ihn set­zen und sein spöt­ti­sches „So, auch nach Lon­don?“ an­hö­ren zu müs­sen, hät­te sei­ne Kräf­te überstiegen. 

Kaum hat sich Heus­ser auf sei­nem Sitz – ais­le, nicht win­dow – ein­ge­rich­tet, kommt das ob­li­ga­te Pär­chen mit den ge­trenn­ten Sit­zen. Steht rat­los her­um, ver­gleicht die Num­mern auf dem Cou­pon und hält den Boar­ding­vor­gang auf. Der Mann hat of­fen­bar den Sitz ne­ben ihm, die Frau ih­ren wei­ter hinten.

Nor­ma­ler­wei­se war­tet Heus­ser nicht ein­mal, bis die Flight At­ten­dant sich mit ih­rem sü­ßes­ten Lä­cheln zu ihm her­un­ter­beugt und fragt: „Wür­de es Ih­nen et­was aus­ma­chen“, etc.. Er rafft sei­ne Sa­chen zu­sam­men, über­lässt mit ei­nem mü­den Lä­cheln sei­nen Sitz und setzt sich auf den Platz, den man ihm an­weist, wenn’s sein muss so­gar win­dow. Aber dies­mal ver­kriecht er sich hin­ter sei­ner Zei­tung und tut, als be­kä­me er nichts mit vom Dra­ma der zwei Lie­ben­den, die ein herz­lo­ser Bu­chungs­com­pu­ter aus­ein­an­der­ge­ris­sen hat. Das Ri­si­ko, ne­ben Gut­mann zu stran­den ist ihm schlicht zu groß.

Die Flight At­ten­dant ver­spricht, das Pro­blem zu lö­sen, sie sol­len sich mitt­ler­wei­le auf ih­re Plät­ze set­zen. Oh­ne von der Zei­tung auf­zu­schau­en, lässt Heus­ser den Mann an sei­nen Knien vor­bei, ent­schlos­sen, nein zu sa­gen, falls der ihm er­klärt, sie sei­en frisch ver­hei­ra­tet und sei­ne Frau lei­de un­ter Flug­angst. Lie­ber ne­ben ei­nem nach Lon­don flie­gen, der ihn für ei­nen Scheiß­kerl hält, als selbst ne­ben ei­nem Scheiß­kerl sitzen.

Doch kaum ist das boar­ding com­ple­ted, holt die Flight At­ten­dant sei­nen Sitz­nach­barn ab. Die­ser net­te Pas­sa­gier hier sei so freund­lich, mit ihm zu tauschen.

„So, auch nach Lon­don?“, sagt die Stim­me des net­ten Passagiers.

Nur ein­mal er­schie­nen am 26.6.03

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