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Dies ist ein rie­si­ges Ar­chiv von fast al­lem, was Mar­tin Su­ter ge­macht hat, ge­ra­de macht und noch ma­chen will. Sie ha­ben zu bei­na­he al­lem da­von un­be­schränk­ten Zu­gang. Und wenn Sie Mem­ber wer­den, zu noch et­was mehr.

Guldimanns Selbstanalyse

Wenn Gul­di­mann am Mor­gen sein Mües­li isst, sei­nen Oran­gen­saft trinkt und sei­ne Zei­tung liest, fühlt er sich ei­gent­lich im­mer pri­ma. Er freut sich, ehr­lich ge­sagt, auf den be­vor­ste­hen­den Tag. Auf sei­nen schö­nen Al­fa, mit dem er bald ins Ge­schäft fah­ren wird; auf Frau Zehnt­ner am Emp­fang, die ihm im­mer so putz­mun­ter „Gu­ten Tag, Herr Gul­di­mann“ zu­ruft; auf Frau Wan­ner, die ihm den Kaf­fee und die Post bringt; auf sein auf­ge­räum­tes Schleif­lack­pult; auf sei­nen Exe­cu­ti­ve Chair mit vier Ver­stell­mög­lich­kei­ten; auf die ge­ball­te La­dung Pro­ble­me, die auf ihn war­tet; und auf die über­ra­schen­den Lö­sun­gen, mit de­nen er ih­nen auf den Leib rü­cken wird. Gul­di­mann hat Freu­de an sei­ner Ar­beit, hat En­er­gie und Ideen. Und da­mit ei­gent­lich al­les, was ein Ma­na­ger zum Er­folg braucht. Aus­ser eben Erfolg. 

Nicht, dass Gul­di­mann er­folg­los wä­re. Er hat ei­ne schö­ne Po­si­ti­on als Ma­na­ging Di­rec­tor ei­ner Toch­ter­ge­sell­schaft ei­nes grös­se­ren Misch­kon­zerns. Nur ist er das schon et­was lan­ge. Da­mals, mit 42, war das ein recht auf­se­hen­er­re­gen­der Kar­rie­re­sprung ge­we­sen, und man war sich, in­tern und ex­tern, ei­nig ge­we­sen, dass das nur ei­ne Zwi­schen­etap­pe auf Gul­di­manns stei­lem Auf­stieg sein konn­te. In­zwi­schen ist er 51 und im­mer noch in der Zwischenetappe. 

Da­bei hat er sei­nen Job gut ge­macht, gu­te Pro­duk­te und schö­ne Zah­len pro­du­ziert und Er­folg ge­habt. Bes­ser ge­sagt: ei­ne Art Er­folg. Nicht den ei­gent­li­chen Er­folg. Den, der im Er­folg sel­ber be­steht. Son­dern nur den, der aus der Sum­me vie­ler rich­ti­ger Mass­nah­men und Ent­schei­de besteht.

Gul­di­mann ist kein Grüb­ler. Aber ein Ana­ly­ti­ker manch­mal schon. Er hat sich na­tür­lich die Fra­ge ge­stellt, wie er in die­sen Kar­rie­re­stau ge­ra­ten ist. Und ist jetzt auf ei­ne über­ra­schen­de Ant­wort ge­stos­sen: Er ist nicht ausgebrannt.

Im­mer wie­der stösst er auf Be­rich­te über aus­ge­brann­te Ma­na­ger, über Emp­feh­lun­gen, wie man das Aus­bren­nen ver­mei­den oder wie man sich da­von er­ho­len, sich wie­der auf­la­den kann. Aber Gul­di­mann selbst hat im Lauf sei­ner gan­zen Kar­rie­re noch nie auch nur das kleins­te An­zei­chen von Aus­ge­brannt­heit ver­spürt. Oder von dem, was er sich un­ter Aus­ge­brannt­heit vor­stellt: Ir­gend­ei­ne Lee­re an ei­ner Stel­le, wo sonst Fül­le ist; Schwär­ze, wo er sich sonst Hel­lig­keit ge­wohnt ist; Asche, wo sonst Far­be sein müsste.

Und was ist das für ein Ma­na­ger, fragt er sich, und fra­gen sich wohl auch die, die über sei­ne Kar­rie­re ent­schei­den, was ist das für ein Ma­na­ger, der nie aus­brennt? Ist der ein­fach feuerfest? 

Oder ist da kein Feuer?

Und was ist das, fragt man sich wei­ter, für ein Job, den man oh­ne Feu­er ma­chen kann? In ei­nem ge­wis­sen Sinn so­gar „er­folg­reich“ ma­chen kann? Ein sehr an­spruchs­vol­ler je­den­falls nicht. 

Al­so: Für was für ei­nen an­spruchs­vol­len Job qua­li­fi­ziert sich ein Ma­na­ger, der über Jah­re klag­los ei­nen an­spruchs­lo­sen er­folg­reich aus­üben kann?

Gul­di­mann ist sich si­cher, dass sei­ne Kar­rie­re durch sei­ne Un­aus­ge­brannt­heit zum Still­stand ge­kom­men ist. Aber Aus­ge­brannt­heit vor­zu­täu­schen, da­zu ist es jetzt zu spät. Denn was ist das für ein Ma­na­ger, der nach neun Jah­ren ei­nes er­wie­se­ner­mas­sen an­spruchs­lo­sen Jobs plötz­lich aus­ge­brannt ist? 

So isst Gul­di­mann wei­ter­hin am Mor­gen sein Mües­li, trinkt sei­nen Oran­gen­saft, liest sei­ne Zei­tung, fühlt sich pri­ma und freut sich, ehr­lich ge­sagt, auf den be­vor­ste­hen­den Tag.

Und so schafft er es na­tür­lich nie.

Nur ein­mal er­schie­nen am 7.4.1995


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