Eine Grundsatzentscheidung

Als sie noch grös­ser wa­ren, war es über­haupt kei­ne Fra­ge: Fritz Wi­cki brauch­te kein mo­bi­les Te­le­fon. Das heisst, aus­ser­halb des Au­tos. Aber als dann die von Eriks­son ka­men, klei­ner als sei­ne Hand, da hielt er es zu­min­dest für vor­stell­bar, theo­re­tisch. Und seit­dem er das von So­ny ge­se­hen hat, klei­ner als ein Päck­chen Zi­ga­ret­ten, mit ei­nem Mi­kro­fon, das auf Knopf­druck HERAUSSPICKT, hält er es für ver­nünf­tig, die Sa­che in al­ler Ob­jek­ti­vi­tät und ein für al­le­mal durchzudenken. 

An­ge­nom­men, Fritz Wi­cki hät­te so ein win­zi­ges Han­dy und es wür­de, sa­gen wir: wäh­rend des Ro­ta­ry Lunchs piep­sen, oder kann man es auf ‘vi­brie­ren’ schal­ten, da­mit das Um­feld nicht ge­stört wird? Ja, das ist ein gu­tes Sze­na­rio: Ro­ta­ry Lunch, das Han­dy vi­briert und Fritz Wi­cki greift in die lin­ke Brust­ta­sche, nein, dort hat er die Agen­da, in die rech­te Brust­ta­sche, nein, dort ist die Brief­ta­sche, in die lin­ke Aus­sen­ta­sche, nein, das beult aus, in die lin­ken Ho­sen­ta­sche, ja, dort wird, wür­de er es tra­gen, läs­sig, beim Ta­schen­tuch. Fritz Wi­cki greift al­so in die lin­ke Ho­sen­ta­sche, nimmt mit ei­ner ent­schul­di­gen­den Gri­mas­se das Han­dy, drückt auf den Knopf, das Mi­kro­fon SPICKT HERAUS und er sagt. „Wi­cki, ich hof­fe, es ist wichtig.“

Was da­für spricht, wä­re Spör­ris Ge­sicht, der sel­ber auch ein Han­dy trägt, aber nicht so ein win­zi­ges, des­sen Mi­kro­fon HERAUSSPICKT. 

Und was spricht da­ge­gen? Die Er­reich­bar­keit, hat er bis­her im­mer ge­fun­den. Er­reich­bar sind die un­ten in der Be­fehls­ket­te. Die oben sind die­je­ni­gen, die er­rei­chen. Wie kann man den My­thos der, auch im über­tra­ge­nen Sinn, Un­er­reich­bar­keit auf­recht­erhal­ten, wenn man nach Gut­dün­ken im der lin­ken Ho­sen­ta­sche an­vi­briert wer­den kann? Na­tür­lich wirkt es (be­son­ders auf Spör­ri) ir­gend­wie sou­ve­rän, wenn man bei­läu­fig in die lin­ke Ho­sen­ta­sche fasst, ein Nichts von ei­nem Han­dy her­aus­nimmt und des­sen Mi­kro­fon HERAUSSPICKEN lässt. Aber sou­ve­rän im Sin­ne von selbst­be­stimmt ist es nicht. 

Wi­cki, der es ge­wohnt ist, bei Ent­schei­dungs­fin­dun­gen auch den Ad­vo­ca­tus Dia­bo­li zu spie­len, setzt dem ent­ge­gen: Ist es denn die Tech­nik, die den Men­schen ver­sklavt, oder ist es sein Um­gang mit ihr? Wie soll denn der Un­er­reich­ba­re zum Er­rei­chen­den wer­den, je­der­zeit und über­all, wenn ihm  da­zu in der lin­ken Ho­sen­ta­sche die ba­nals­ten tech­ni­schen Hilfs­mit­tel feh­len? Er muss ja, und das ist ei­ne ent­schei­den­de Er­kennt­nis, die Num­mer nie­man­dem ge­ben. Er könn­te sich die Ho­heit über sein Han­dy be­wah­ren. Er müss­te sich vor nie­man­dem die Blös­se der stän­di­gen Ver­füg­bar­keit ge­ben und könn­te trotz­dem bei Be­darf den Ein­druck der Un­ent­behr­lich­keit erwecken. 

Das ist näm­lich, bei nä­he­rer Be­trach­tung, ein schma­ler Grat, der zwi­schen Un­er­reich­bar- und Ent­behr­lich­keit. Da ist Vor­sicht an­ge­bracht bei der Be­ant­wor­tung der Fra­ge mo­bi­les Te­le­fon ja oder nein. Aber ein klei­nes wird in die­sem Licht plötz­lich zur ernst zu neh­men­den Variante. 

Und: Nein, höchs­tens ein win­zi­ges, von dem prak­tisch nie­mand die Num­mer hat und bei dem das Mi­kro­fon auf Knopf­druck HERAUSSPICKT, zur ver­nünf­ti­gen Option.

Am nächs­ten Ro­ta­ry Lunch ach­tet Wi­cki dar­auf, dass er ne­ben Spör­ri zu sit­zen kommt.

Plötz­lich greift die­ser in sei­ne lin­ke Ho­sen­ta­sche, nimmt mit ei­ner ent­schul­di­gen­den Gri­mas­se ein win­zi­ges Han­dy her­aus, lässt ein Mi­kro­fon HERAUSSPICKEN und sagt. „Spör­ri, ich hof­fe, es ist wichtig.“

Aus­ge­rech­net jetzt be­ginnt es in Wi­ckis Ho­sen­ta­sche zu vi­brie­ren und vi­brie­ren und vibrieren.

Nur ein­mal er­schie­nen am 17.8.1995


×
Login

Passwort wiederherstellen

Abonnieren
Jahresabo für 60 Franken
Probeabo

Falls Sie einen Code besitzen, geben Sie diesen hier ein.

Gutschein

Martin Suter kann man auch verschenken.
Ein ganzes Jahr für nur 60 Franken.
Versandadresse: