Ein Abstecher nach New York
Im Manuskript von Allmen und die Erotik machte Allmen am Schluss einen aufwendigen Abstecher nach New York. Seine etwas ausführlichere Beschreibung fiel dem Rotstift zum Opfer. Aber hier können Sie sie lesen.
Er saß in einem der hohen Ohrenfauteuils am Fenster mit Blick auf den Central Park und die Kutschen, die unentwegt auf Touristen warteten. Es hatte im Laufe des Vormittags zu regnen begonnen, und jetzt, um vier Uhr, sah es aus, als wäre dies ein endgültiger Wetterwechsel gewesen. Allmen machte es nichts aus, er mochte New York bei jedem Wetter. Im Gegenteil, das Wetter erlaubte es ihm, bereits um diese Zeit einen Gibson zu trinken. Der Gibson war ein Dry Martini mit einer Cocktailzwiebel und der einzige akzeptable Cocktail um diese Zeit und bei diesem Wetter in der großen Lobby des Plaza.
Vor einer Stunde war er zurückgekommen von der Neuen Galerie, wo er sich die Ausstellung über die Wiener Werkstätte angesehen und seine alte Liebe besucht hatte: Gustav Klimts elegantes Portrait von Adele Bloch-Bauer in Öl, Gold und Silber aus dem Jahr 1907.
Am Abend war er verabredet mit Gilbert-Joe Carnegie, einem Schulkollegen aus dem Charterhouse, der exklusiven Boarding School in Surrey. Den Abstecher nach New York hatte Allmen dringend gebraucht nach dieser Krise und den Demütigungen durch Krähenbühler. Sein Selbstbewusstsein hatte gelitten. Und beides ging nicht: kein Geld und kein Selbstbewusstsein.
Er hatte zuvor seine übliche Ausgleichsrunde gemacht, wie er die Besuche bei Leuten nannte, bei denen er Ausstände auszugleichen hatte. Sie hatte ihn, weil die Liquiditätskrise länger als sonst gedauert hatte und die Beträge und Trinkgelder entsprechend hoch waren, inklusive Konsumationen und Fahrspesen – allein bei Herrn Arnold hatten sich über dreitausend Franken angesammelt -, den hübschen Betrag von elftausenddreihundert gekostet.
Dazu waren ein paar Selbstbelohnungen gekommen – kulinarische Ausflüge zu einigen der Gourmetrestaurants der näheren und weiteren Umgebung und eine Anzahlung bei seinem Schneider, der diesmal auf einer solchen nicht gerade bestanden, aber sie als Option erwähnt hatte. Noch einmal ein Betrag in ähnlicher Höhe. Die ungefähr fünfundvierzig verbliebenen Tausender hatte er in die Wiederherstellung seines Selbstbewusstseins mittels einer Woche New York investiert.
Er war dabei mit ungewöhnlicher Selbstbeschränkung vorgegangen. So hatte er zwar nicht auf sein angestammtes Hotel, The Plaza, verzichtet, aber er hatte anstelle seiner geliebten Grand-Penthouse-Suite eine der Legacy Suites von nur knapp hundert Quadratmetern gewählt. Er war sogar kurz versucht gewesen, einen Business-Class-Flug zu buchen, hatte dann aber doch der First Class den Vorzug gegeben. Weil dann die Ferien schon neun Stunden früher begannen und fast acht Stunden länger dauerten. Und aus Gründen der Selbstbewusstseinspflege. Ticket und Hotel belasteten das Budget um weitere rund dreißigtausend Franken, was ihm eine Reisekasse von fünfzehntausend Dollar übrigließ. Also keine großen Sprünge.
Aber die Kur wirkte. Allmen war fast wieder der alte. Und wenn er übermorgen ausgeruht und tatendurstig zu Hause eintraf, hatte er zwar kein Geld mehr, aber Selbstbewusstsein und Kredit. Marco – wie lange war der jetzt schon hier – hatte gesehen, dass Allmens Glas leer war, und brachte ihm einen neuen Gibson.