Allmens Schweizer Schneider
Johann Friedrich von Allmens Schweizer Schneider heißt Gabriele de Luca. Vielleicht fühlt Allmen sich zu ihm hingezogen, weil dieser, wie er selbst, einen Namen trägt, der wie ein Adelsgeschlecht klingt, aber keines ist. Und so wie Allmen das „von“ gerne weglässt, um ihm eine Bedeutung zu geben, die es nicht besitzt, schreibt de Luca das „de“nicht wie die meisten der über siebzehntausend de Lucas Italiens groß. Er schreibt es klein, damit es zwischen dem „Gabriele“ und dem „Luca“ aussieht wie eine kleine Preziose. De Luca ist auch der Einzige außer Gianfranco, dem Kellner im Viennois, der Allmen mit „Conte“, Graf, anspricht.
Die Schneiderei von Gabriele de Luca liegt in einer der exklusivsten Einkaufsstraßen der Stadt in einem Geschäftshaus aus den Gründerjahren in der dritten Etage. Sie beanspruchte zu Zeiten seines Vaters, der ebenfalls Gabriele hieß, zwei Stockwerke. Das tut sie zwar noch immer, aber die meisten Räume sind unbenutzt und dienen als Lager oder besser gesagt: Rumpelkammern. Dass de Luca sie immer noch mietet, liegt an dem langjährigen Mietvertrag, den noch sein Vater abgeschlossen hatte, und dem lächerlichen, aus der Zeit gefallenen Mietpreis.
Die wirtschaftliche Lage der Sartoria de Luca ist sehr vergleichbar mit der von Giuliano Diaco, dem Schneider von Adrian Weynfeldt. Erinnern Sie sich? „Es war schon möglich, dass Diacos Tage gezählt waren. Nur die Betagten unter Weynfeldts Freunden zählten noch zu seinen Kunden. Und die wurden immer weniger. Die Jüngeren konnten sich Diaco nicht leisten. Die Reichen, die er kannte – Sammler vor allem – ließen bei Brioni oder an der Savile Row arbeiten.“ Und ähnlich wie Diaco, der begonnen hatte, Accessoires im Angebot zuhaben – Krawatten, Schlüsseletuis, Brieftaschen, Portemonnaies, Schlüsselanhänger, Gürtel und sogar eine etwas dubiose Kosmetikserie für Herren –, führt die Sartoria de Luca neuerdings ein kleines Herrenausstattungsangebot, für welches er sogar eines der Schaufenster neben dem Hauseingang gemietet hat. Früher führte Gabriele de Luca ein Lager mit den Standardstoffen und der Saisonware. Inzwischen beschränkter sich auf Musterbücher und lässt die Stoffballen in den Lagern ausgehen. Allmen ist einer der letzten Kunden, die sich nach alter Tradition ein paar Meter vom Stoffballen abrollen und über die Schulter legen lassen. Und auch er wird das Prozedere aufgeben müssen, denn von den meisten der übriggebliebenen Stoffe besitzt er schon Anzüge. In letzter Zeit kommt es immer wieder vor, dass er sich einen zweiten Anzug vom gleichen Stoff anfertigen lässt. Einfach, um Gabriele de Luca zu helfen, den Schein zu wahren. Eine Geste, die Johann Friedrich von Allmen auch zu schätzen weiß, wenn sie ihm gilt.