Allmen und die uralte Witwe

Die­ses Na­tur­pro­dukt ist fast zwei­hun­dert Jah­re alt.

Dort, wo die Ag­glo­me­ra­ti­on lang­sam mit den Dör­fern ver­schmilzt, liegt Fu­ren­wi­ler. Die Bau­ern­hö­fe sind mit ein paar Wohn­blö­cken, Ein­fa­mi­li­en­häus­chen, ei­ner Tank­stel­le, ei­ner Werk­statt für Land­wirt­schafts­fahr­zeu­ge, und ei­ner La­ger­hal­le mit der Leucht­schrift STAHLAG durch­setzt, von der nie­mand so recht weiß, was dar­in ge­la­gert wird.

Von den drei Wirt­schaf­ten sind nur noch zwei in Be­trieb, der «Leu­en» und die «Son­ne». Der «Hir­schen» hat 1989 das Zeit­li­che ge­seg­net, kurz nach dem Tod sei­nes Wir­tes, Hans Hebstock.

Hau­si, wie man ihn nann­te, war Wit­wer und hat­te ei­nen ein­zi­gen Sohn, Kurt, 38, ge­nannt Küde.

Kü­de hass­te den «Hir­schen». Er war am Tag nach sei­nem acht­zehn­ten Ge­burts­tag von dort aus­ge­zo­gen. Sein Va­ter hat­te ihn zu ei­ner Koch­leh­re ge­nö­tigt ge­habt, weil er ein­mal die Wirt­schaft über­neh­men soll­te. Aber Kü­de dach­te nicht dar­an. Er woll­te den Ge­ruch sei­nes Va­ters, den er seit er sich er­in­nern konn­te, in der Na­se hat­te, nicht auch noch für den Rest sei­nes Le­bens selbst verbreiten.

Er wan­der­te aus nach Pa­ris und fand ei­ne Stel­le in ei­ner Par­fü­me­rie als Aus­läu­fer. Er lern­te schnell Fran­zö­sisch und ar­bei­te­te sich hoch zum Ver­käu­fer. In die­ser Funk­ti­on lern­te er ei­nen der bes­ten Kun­den ken­nen, den Ba­ron de Pen­siè­re. Er wur­de ei­ner von des­sen, wie sich her­aus­stell­te zahl­rei­chen, Liebhabern.

Der Ba­ron war ein gro­ßer Samm­ler von an­ti­ken Mö­beln und Kunst­ge­gen­stän­den, und Kü­de, oder cul-deux, wie ihn der Ba­ron schrieb, eig­ne­te sich in des­sen Um­feld ein um­fas­sen­des Wis­sen über An­ti­qui­tä­ten an. Er be­wohn­te jetzt ei­ne kei­ne Woh­nung an der Ri­ve Gau­che, die sich, nach­dem er, an­statt den Ba­ron zu ver­las­sen, nach­dem er hin­ter des­sen Af­fä­ren ge­kom­men war, still und heim­lich mit aus­ge­such­ten An­ti­qui­tés füllte.

Im Al­ter von 38 er­hielt er die To­des­nach­richt sei­nes Va­ters. Er ver­ließ de Pen­siè­re, für den er oh­ne­hin schon lang­sam zu alt ge­wor­den war, zog mit Hab und Gut zu­rück nach Fu­ren­wi­ler und trat sein Er­be an. Es be­stand aus im­mer­hin ei­ner knap­pen Mil­li­on Fran­ken und dem schul­den­frei­en «Hir­schen», den er re­no­vie­ren liess und in ei­nen La­den umwandelte.

Kü­de be­wohn­te die obe­ren Räu­me und ver­kauf­te in den un­te­ren Par­fums und An­ti­qui­tä­ten. Die Kom­bi­na­ti­on, die er an­fangs für ge­ni­al ge­hal­ten hat­te, stell­te sich für die La­ge Fu­ren­wi­ler als Fehl­ein­schät­zung her­aus. Die ex­klu­si­ven Par­fums, die nicht sehr of­fi­zi­ell aus den La­ger­be­stän­den sei­nes frü­he­ren Ar­beit­ge­bers stamm­ten, ver­kauf­ten sich schlecht, ob­wohl Kü­de die Prei­se zum Teil sen­sa­tio­nell senkte.

Für sei­ne An­ti­qui­tä­ten hin­ge­gen wur­de «Les An­ti­qui­tés Ri­ve Gau­che», wie Kü­de den «Hir­schen», oh­ne das be­mal­te schmie­de­ei­ser­ne Hirsch­ge­weih zu ent­fer­nen, um­ge­tauft hat­te, zum Ge­heim­tipp. Vor al­lem beim frisch ver­wais­ten und sehr ver­mö­gen­den jun­gen Herrn von All­men. Sei­ne An­schaf­fun­gen er­laub­ten es Kü­de im­mer wie­der, sich aus des Ba­rons fran­zö­si­schen Be­zugs­quel­len Nach­schub zu beschaffen.

All­men hat­te das Ge­schäft zu­fäl­lig bei der ers­ten Spritz­fahrt mit sei­ner neu­en Bent­ley Mul­li­ner Li­mou­si­ne ent­deckt, bes­ser ge­sagt, sein da­ma­li­ger Chauf­feur, der ur­sprüng­lich aus der Ge­gend stamm­te, hat­te ihn dar­auf auf­merk­sam gemacht.

All­men kauf­te ein Fla­con «Ca­ron Poi­v­re». Der ein­tei­li­ge Bac­ca­ra-Glas­be­häl­ter ent­hielt ein Eli­xier aus ro­tem und schwar­zem Pfef­fer, Ro­sen, Mai­glöck­chen, Mo­schus, Ze­dern­holz und San­del­holz für den Spott­preis von knapp zwei­tau­send Fran­ken oder so. Das idea­le Mit­bring­sel für die ent­zü­cken­de Ros­wi­tha, mit der er in je­ner Zeit ei­ne sehr auf­re­gen­de Af­fä­re hatte.

Als er das Ge­schäft ver­las­sen woll­te, stiess er auch noch auf ei­ne schwar­ze Kla­vier­lack-Art-Dé­co-Bar mit Sil­berap­pli­quen und sechs Bar­ho­ckern. Et­was, das er sich für das Her­ren­zim­mer der Vil­la Schwarza­cker schon lan­ge ge­wünscht hatte.

Aus die­ser zu­fäl­li­gen Be­geg­nung ent­stand ei­ne lang­jäh­ri­ge Kun­den­be­zie­hung. All­men und Kü­de wa­ren ab­wech­selnd Kun­de und Lie­fe­rant. Es dau­er­te näm­lich nicht lan­ge, bis All­men fi­nan­zi­ell dar­auf an­ge­wie­sen war, Stü­cke aus sei­ner gro­ßen Samm­lung wie­der zu ver­kau­fen, und sich schließ­lich auch von der Vil­la Schwarza­cker zu tren­nen und mit de­ren Gärt­ner­haus vorliebzunehmen.

In die­ser Zeit kam es ab und vor, dass All­men aus­ge­such­te Stü­cke, de­ren Her­kunft nicht im­mer ganz klar war, an «Les An­ti­qui­tés La Ri­ve Gau­che» veräusserte. 

Erst Jah­re spä­ter, nach der Grün­dung von All­men In­ter­na­tio­nal In­qui­ries, kam es vor, dass All­men für kur­ze Zeit wie­der li­quid war und da­von et­was in Fu­ren­wi­ler lie­gen ließ.

In ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on be­fand sich All­men zur­zeit ge­ra­de noch knapp. Der Lock­down hat­te ihn lan­ge dar­an ge­hin­dert, die be­acht­li­chen Über­res­te ei­ni­ger Ho­no­ra­re all­zu schnell aus­zu­ge­ben. Das Rei­sen war ein­ge­schränkt, das Ein­kau­fen auch, und die Re­stau­rants wa­ren zum gro­ßen Teil geschlossen.

Es war ei­ne Si­tua­ti­on, die ihm nicht be­hag­te. Er gab ger­ne Geld aus und ge­hör­te nicht zu de­nen, die es ge­nos­sen, spar­sam zu sein.

Kü­de hat­te, oh­ne es zu ah­nen, al­so ei­nen gu­ten Zeit­punkt für sei­nen An­ruf ge­wählt. Er be­fand sich näm­lich in der ge­gen­tei­li­gen La­ge. Er war – ein Aus­druck, den er von All­men ge­lernt hat­te – et­was über­in­ves­tiert. Er hat­te von co­ro­nabe­ding­ten Not­ver­käu­fen ei­ni­ger Bran­chen­kol­le­gen pro­fi­tiert und sich da­bei übernommen.

«Sind Sie da für Se­ñor Heb­stock?», frag­te Car­los, als er mit dem Te­le­fon in die glä­ser­ne Bi­blio­thek trat.

All­men nahm das Ge­spräch ent­ge­gen. «Mon­sieur Heb­stock!», rief er freu­dig aus.

«Herr von All­men», ant­wor­te­te Küde.

Die Be­zie­hung zwi­schen den bei­den war et­was selt­sam. In all den Jah­ren, die sie sich kann­ten, wa­ren sie beim for­mel­len «Sie» ge­blie­ben. Aber sie hat­ten kei­ne Ge­heim­nis­se vor­ein­an­der, was ih­re je­wei­li­ge wirt­schaft­li­che Si­tua­ti­on be­traf. Heb­stock er­zähl­te ihm ganz un­be­fan­gen von sei­ner Über­in­ves­ti­ti­on, und wie sie ent­stan­den war, und füg­te hinzu:

«Aus die­sem Grund kann ich Ih­nen, nicht oh­ne gro­ßes Be­dau­ern, was mich, und gro­ße Freu­de, was Sie be­trifft, et­was an­bie­ten, von dem ich si­cher war, dass ich es nie im Le­ben ver­kau­fen wür­de. Es stammt aus dem Nach­lass des Ba­rons.» Und er füg­te un­nö­ti­ger­wei­se hin­zu: «De Pensière.»

All­men liess sich von Car­los den Herrn Ar­nold mit dem Fleet­wood be­stel­len und fuhr nach Furenwiler.

Der ger­ten­schlan­ke Kü­de, der sei­ne Haar­pracht in ei­nem La­ger­feld-Zöpf­chen trug, hat­te sich ver­än­dert. Der Kör­per war fül­lig, die Haar­pracht schüt­ter ge­wor­den. Und was All­men, der des­sen Wer­de­gang kann­te, am meis­ten be­rühr­te: Im Haus roch es nach Essen.

Heb­stock führ­te ihn ins frü­he­re «Sä­li», das jetzt als Bü­ro dien­te. An der ge­tä­fel­ten Wand mach­te sich ein an­ti­ker Tre­sor breit. «L. Här­tel, Lim­bach» stand dar­auf. All­men wand­te sich dis­kret ab, als Kü­de ihn öff­ne­te. Erst als er die­sen sa­gen hör­te „Voi­là“, wand­te er sich um.

Heb­stock hielt ei­nen Ge­gen­stand in den Hän­den, der in meh­re­re Schich­ten Alu­fo­lie ver­packt war. Er be­saß die Form ei­ner Flasche.

«Das ha­ben Sie noch nie ge­se­hen, mon cher», sag­te Heb­stock und trug den Ge­gen­stand fei­er­lich zum gro­ßen Bie­der­mei­er­schreib­tisch, der mit Pa­pie­ren über­sät war.

Ze­re­mo­ni­ell schäl­te er die Fla­sche aus der Folie.

Sie be­sass ei­nen Cham­pa­gner­ver­schluss und schien sehr alt zu sein. Beim nä­he­ren Hin­schau­en viel äl­ter als All­men dachte.

Auf ei­ner klei­nen Ban­de­ro­le, die et­was schepps über der Eti­ket­te kleb­te, stand: «Cu­vée 1823»

«Un­glaub­lich!», stieß All­men aus.

«Nicht wahr?» ant­wor­te­te Küde.

Auf der Eti­ket­te stand in schwung­vol­ler Schrift «Ve­uve Cli­quot Pon­s­ar­din» und dar­un­ter «Cham­pa­gne».

Der Kor­ken war mit ei­ner di­cken Blei­fo­lie um­wi­ckelt, aus der die Dräh­te, die ihn fest­hiel­ten, stel­len­wei­se hervortraten.

Die obe­re Hälf­te des Fla­schen­hal­ses war in Sie­gel­lack ge­taucht wor­den und trug ei­nen run­den Stem­pel mit ei­nem An­ker und den In­itia­len «VCP».

«Trin­ken kann man ihn wohl nicht mehr», sag­te All­men ganz ernst.

Kü­de brauch­te ei­nen Mo­ment, bis er lach­te. Dann sag­te er, jetzt auch ernst: «Wie ge­sagt, ich wür­de ihn nie ver­kau­fen un­ter an­de­ren Um­stän­den. Und schon gar nicht zu die­sem Preis.»

«Wel­chem?», frag­te Allmen.

Heb­stock zö­ger­te ei­nen Mo­ment. «Nor­ma­ler­wei­se nicht un­ter drei­ßig­tau­send. Eher dar­über. Bes­ser ge­sagt: am ehes­ten über­haupt nicht.»

«Und jetzt?»

«Das ist ein ab­so­lu­tes Uni­kat. Es gibt kei­ne zwei­te Cu­vée die­ses Jahr­gangs. Was Sie vor sich ha­ben, ist ei­ne Welt­sen­sa­ti­on, Mon­sieur von Allmen.»

«Wie viel?»

Kü­de tat, als über­leg­te er. «Für Sie, und wirk­lich nur für Sie, sonst für nie­man­den auf der Welt: die Hälfte.»

«Fünf­zehn?»

Kurt Heb­stock nick­te mit ei­nem tie­fen Seuf­zer. «Fünf­zehn. Ein Schnäppchen.»

All­men zück­te Scheck­buch und Füll­fe­der und stell­te Kü­de ei­nen Scheck über drei­ßig­tau­send aus. Er hass­te Schnäpp­chen. Die Din­ge sol­len das kos­ten, was sie wert sind.

*

Als Car­los die Fla­sche sah, war sein ers­ter Kom­men­tar: «Ya no se be­be, Don John», das kann man nicht mehr trinken.

«Das ist nicht zum Trin­ken», ent­geg­ne­te Allmen.

«Wo­zu sonst?»

«Zum Träu­men. Die­se Fla­sche ist äl­ter als Beet­ho­vens Neun­te. Äl­ter als Ei­chen­dorffs «Aus dem Le­ben ei­nes Tau­ge­nichts». Das hat man viel­leicht ge­trun­ken an der Pre­mie­re von Bel­li­nis ers­ter Oper „Adel­son e Sal­vi­ni“. Und auch an der Er­öff­nung des Bol­schoi Thea­ters in Mos­kau. Ist das nicht wun­der­bar, Carlos?»

Car­los nick­te und mur­mel­te «ma­ra­vil­lo­so, Don John.»

Als er in die Kü­che zu­rück­kam, sah Ma­ría ihn for­schend an. «Wie viel?»

Car­los tat, als hät­te er nicht verstanden.

«Wie viel die al­te Fla­sche ge­kos­tet hat, ha­be ich gefragt.»

«Kei­ne Ah­nung. Das fragt man doch nicht.»

«Du nicht. Du gibst ihm lie­ber Geld, wenn er wie­der al­les ver­pul­vert hat.» Sie ver­ließ die Kü­che, und Car­los hör­te sie in die Bi­blio­thek stapfen.

Als sie kurz dar­auf zu­rück­kehr­te, war sie bleich. «In­crei­b­le», zisch­te sie.

«¿Cuan­to?», frag­te Carlos.

«Trein­ta mil», drei­ßig­tau­send. Für et­was, das man nicht ein­mal mehr trin­ken kann!»

Die Fla­sche er­hielt in der Bi­blio­thek ei­nen Eh­ren­platz auf ei­nem ho­hen Ma­ha­go­ni So­ckel, der zu­vor ei­ne et­was zwei­fel­haf­te rö­mi­sche Büs­te ge­tra­gen hat­te. All­men be­trach­te­te sie oft und stell­te sich die Zeit vor, in der ihr In­halt noch frisch war.

Ma­ría und Car­los such­ten das In­ter­net ab nach et­was, das der Fla­sche glich. Das ein­zi­ge, was sie fan­den, war ei­ne Eti­ket­te von 1826 des ehe­ma­li­gen Teil­ha­bers von Ve­uve Cli­quot Pon­s­ar­din, G.C. Kessler.

Es be­saß kei­ner­lei Ähn­lich­keit mit Don Johns al­ter Fla­sche. De­ren Eti­ket­te be­sass ei­nen et­was aus­ge­frans­ten Rand, der aus­sah wie aus­ge­stanzt. Und «Ve­uve Cli­quot Pon­s­ar­din» war nicht mit Blei­satz son­dern li­tho­gra­phisch gedruckt.

«¿Es ge­nui­no?», frag­te Ma­ría, ist das echt?»

Car­los hob die Schultern.»

«No es ge­nui­no. Oder?»

Car­los schüt­tel­te stumm den Kopf.»

«Trein­ta mil», stieß Ma­ría aus. «Mad­re mía de mi al­ma.» Mut­ter mei­ner See­le. «Wer sagt es ihm?»

«Nie­mand.»

Ma­ría über­leg­te nur kurz. «Ver­ste­he.»

«Er darf es nie er­fah­ren», füg­te Car­los , der für­sorg­li­che Die­ner, hinzu.

So stand die ge­fälsch­te Fla­sche «Ve­uve Cli­quot Pon­s­ar­din» stumm auf ih­rer Ma­ha­go­ni-Säu­le, und wür­de auch heu­te noch dort ste­hen, wenn Kordo von Ai­bel­burg nicht ge­we­sen wäre.

Kordo war ein drei­jäh­ri­ger Wei­ma­ra­ner, ein sehr ner­vö­ser, sehr un­ter­for­der­ter Ap­por­tier­hund, der seit kur­zem Re­mo di Go­ya ge­hör­te, ei­nem et­was halb­sei­de­nen Par­ty­lö­wen, der mit dem Tier hoff­nungs­los über­for­dert war. Er ver­such­te, Kordo so oft als mög­lich in sei­nem Be­kann­ten­kreis un­ter­zu­brin­gen. Das ge­lang ihm je­weils nur ein­mal, so schwer er­zieh­bar und stür­misch war das Tier.

Dies­mal traf es All­men, den di Go­ya an­frag­te, mit der Be­grün­dung, dass die­ser ja in der gro­ßen Vil­la Schwarza­cker mit Park wohn­te und Per­so­nal hatte.

Um die­se Il­lu­si­on auf­recht zu hal­ten, nahm Car­los den Hund am schmie­de­ei­ser­nen Tor ent­ge­gen und führ­te ihn, als di Go­ya ge­gan­gen war, zum Gärt­ner­häus­chen. Bes­ser ge­sagt, liess sich füh­ren. Denn Kordo von Ai­bel­burg war ein fünf­und­drei­ßig Ki­lo schwe­res Mus­kel­pa­ket, das in der La­ge wä­re, sein Herr­chen an der Lei­ne ein paar hun­dert Me­ter über den Ra­sen zu schlei­fen. In der klei­nen Die­le des Gärt­ner­häus­chens band Car­los die Lei­ne an die Tür­klin­ke und mel­de­te den Be­su­cher bei All­men an, der in der Bi­blio­thek saß und las.

Kaum hat­te Car­los den Raum be­tre­ten, hör­te er ein Schep­pern hin­ter sich. Das Vieh stob an ihm vor­bei, hin­ter sich die Lei­ne mit der Tür­klin­ke, ras­te im wil­den Zick­zack im Raum her­um, sprang an All­men hoch und an al­len Möbeln.

Auch an der Mahagoni-Säule.

Sie kipp­te nicht, sie schwank­te nur. Aber der Ve­uve Cli­quot Cu­vée 1823 fiel wie in Zeit­lu­pe von ih­rem Po­dest und traf den Bo­den ei­nen Se­kun­den­bruch­teil be­vor Car­los’ Hecht­sprung die Fla­sche er­reicht hatte.

Der Hund be­schnüf­fel­te die Scher­ben und die un­de­fi­nier­ba­re Flüs­sig­keit nur kurz, zog den Schwanz ein und ver­ließ an­ge­wi­dert den Raum.

Ma­ría stand er­starrt in der Tür, Car­los rap­pel­te sich auf.

«Scha­de», sag­te All­men nur, und wand­te sich wie­der sei­ner Lek­tü­re zu.

«Ca­tá­s­tro­fe, Don John”, rief Car­los aus. Ma­ría hielt bei­de Hän­de vors Gesicht.

«Cal­mense», be­ru­hi­gen Sie sich. Es ist nicht so schlimm», trös­te­te sie Allmen.

«War­um nicht?», frag­ten bei­de im Chor.

«Sie war nicht echt.»

«War­um ha­ben Sie sie denn gekauft?»

„Für drei­ßig­tau­send!“, füg­te Ma­ría hinzu.

«Mon­sieur Heb­stock hät­te es für mich auch getan.»

Es war wie­der Ma­ría, die als ers­te Wor­te fand: “Sa­gen Sie nicht, Sie hät­ten die gan­ze Zeit ge­wusst, dass es sich um ei­ne Fäl­schung handelt.”

“Doch. Das sah doch je­des Kind.”

“Und Sie ha­ben nichts ge­sagt?”, frag­te nun Carlos.

“Wo­zu auch. Er wuss­te ja auch, dass ich es wusste.”

Wie­der dau­er­te es ei­ne gan­ze Wei­le, bis die bei­den sich ge­fasst hat­ten. Kopf­schüt­telnd sag­te Ma­ría: “Sie ha­ben es bei­de gewusst?”

Jo­hann Fried­rich von All­men lä­chel­te. „Das ist et­was vom Wich­tigs­ten ist im Le­ben. Den Schein zu wahren.”

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